Thilo Sarrazin / 10.04.2021 / 06:05 / Foto: achgut.com / 124 / Seite ausdrucken

Dilettanten an die Macht!

Deutschland galt einmal als Effizienzwunder, als Land der professionellen Organisation. Und nachdem den Deutschen durch die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Niederlage im Zweiten Weltkrieg der Nationalstolz abhandengekommen war, waren sie umso stolzer auf ihre wissenschaftlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Leistungen, die sich im Wirtschaftswunder der Fünfziger- und Sechzigerjahre so glücklich vereinten.

Auch die Energie, die das wiedervereinigte Deutschland seit 1990 in den Aufbau Ostdeutschlands steckte, und der Gestaltungswille, der 2003 und 2004 unter Bundeskanzler Schröder in die Reformen des Arbeitsmarkts und der Sozialpolitik floss, schienen Deutschland zu einem leistungsfähigen Gesellschaftsmodell zu machen. Seitdem aber ist es so, als sei ein Schalter umgelegt worden.

In zentralen Fragen ist deutsche Politik gefühlsgetrieben und undurchdacht geworden. Moralisierendes Dilettieren hat an Boden gewonnen, ein auf gründlicher Expertise beruhender, zum Konflikt bereiter Entscheidungswille ist dagegen immer seltener anzutreffen. Das zeigt sich auf zahlreichen Feldern in der Sozial-, Finanz-, Bildungs- und Gesellschaftspolitik, dazu einige Beispiele:

Sehenden Auges ins Verderben

Der überstürzte, geradezu kopflose Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima macht das Ziel einer CO2-armen Energieerzeugung und -verwendung noch viel schwieriger, als es ohnehin schon ist. Zusammen mit dem vorgezogenen Kohleausstieg läuft Deutschland sehenden Auges auf eine riesenhafte Energielücke zu, die entweder die ehrgeizigen international vereinbarten Klimaziele oder die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland gefährdet.

Die Einführung des Euros gründete auf dem vertraglich fest und eindeutig vereinbarten Konzept, dass alle Länder für ihre Schuldenpolitik selbst verantwortlich sind und dass es keine direkte oder indirekte Schuldenfinanzierung durch die Europäische Zentralbank gibt. Beginnend mit der Griechenlandrettung im Jahr 2009 wurde dieses Prinzip konsequent in sein Gegenteil verkehrt. Die deutsche Politik schaute zu oder machte mit. Der offenkundige Vertragsbruch und die Umkehrung des ursprünglichen Konzepts in sein Gegenteil werden bis heute geleugnet.

Deutschland – ein offenes Scheunentor

Bei der Flüchtlingskrise 2015/16 zeigte sich in teilweise dramatischen Ereignissen, dass die Europäische Union im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen kein funktionierendes Konzept für die Steuerung von Einwanderung und den Umgang mit Asylbegehren haben. Insbesondere Deutschland hat für illegale Einwanderer die Anziehungskraft eines offenen Scheunentores. In dem halben Jahrzehnt, das seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vergangen ist, gab es in Deutschland keine nennenswerten Bemühungen um eine operativ wirksame Steuerung von Einwanderung.

Durch das verantwortungslose politische Dilettantentum bei den großen Themen der Eurorettung und der Steuerung von Einwanderung haben die etablierten Parteien den Boden für die Gründung der AfD und ihren Einzug in die Parlamente von Bund und Ländern bereitet. Ihre kollektive Strategie, die AfD als Schmuddelkind zu behandeln, mit dem man unter keinen Umständen spielen darf, ist erneut undurchdacht und dilettantisch. Für die CDU/CSU bewirkt sie eine babylonische Gefangenschaft in Koalitionen mit Grünen oder SPD, soweit sie künftig überhaupt noch mitregieren will.

Wenn der Dilettantismus zum Prinzip wird

Zur Meisterschaft wurde das politische Dilettantentum aber seit einem Jahr im Umgang mit der Corona-Pandemie gebracht: Große Konjunktur hatten anspruchsvolle Konzepte für eine ethisch vertretbare Impfreihenfolge. Aber die Einführung einer wirksamen Corona-App scheiterte am Datenschutz. Die rechtzeitige Bestellung einer ausreichend großen Impfstoffmenge wurde verschlafen und die Zuständigkeit nach Europa verschoben, aber der Einsatz des wirksamen Impfstoffs von AstraZeneca wurde mit immer neuen Bedenken behindert. Die wirksame Durchimpfung der Bevölkerung wird beim einstigen Organisationsweltmeister Deutschland erst ein Vierteljahr später erreicht sein als in den USA. Israel oder Großbritannien. Das verursacht zusätzlich tausende von Corona-Toten und dreistellige Milliarden-Einbußen bei der Wirtschaftsleistung.

Die Entscheidung nach Opportunität und vermuteter Mehrheitsströmung, ohne die Dinge ausreichend tief zu durchdenken und operativ sauber zu gestalten, hatte in der Vergangenheit auch deshalb immer wieder Erfolg, weil die negativen Folgen zunächst nicht spürbar waren und ggf. sogar viele Jahre auf sich warten ließen. Im Falle der Pandemie zeigen sich die Folgen der politischen/sachlichen Fehler dem „normalen Bürger“ aber schneller, bzw. nahezu unmittelbar. Das bewirkte und bewirkt eine beispiellose Legitimationskrise, die sich auch in den Umfragewerten für die Union dramatisch niederschlägt. 

Im nahenden Bundestagswahlkampf werden die Fehler in der Corona-Politik, wenn es nach der CDU/CSU geht, kein Thema sein, denn man möchte sich nicht Wahlchancen verscherzen, indem man Angela Merkel kritisiert. Es gilt also weiter: Avanti Dilettanti!

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Henni Gedu / 10.04.2021

Der kürzeste Weg nach oben geht durch Merkels Hintern. Die Aussitzerin ist vom Bodenniveau gut erreichbar. Merkels inhaltslose Mantras braucht keiner verstehen. Mantras wirken durch Wiederholungen. Kein Wunder, wenn Sprücheklopfer die gut bezahlten Jobs bekommen. Speichellecker wedeln mit dem Schwanz, um Leckerli zu bekommen. Kann jeder, den MINT-Fächer überfordern. Aber Obacht: Kaviar mit dem kleinen Löffel!

Kurt Müller / 10.04.2021

Auch hat der überbordende Wohlstand den Menschen die Gehirne vernebelt. An die Stelle ehrlicher Barmherzigkeit, Bescheidenheit und Nächstenliebe, die also nicht nur Lippenbekenntnisse sind, sondern sich in konkretem ethischen Handeln auch im grauen Alltag niederschlagen, wurde ein schäbiges Ich-Konzept gesetzt, das keine Barmherzigkeit in Wort, Tonfall und Schrift und keine Bescheidenheit im persönlichen Auftreten mehr kennt, was sich zum Beispiel in höflichen Umgangsformen und Auftreten niederschlagen würde. Man würde Alter, Lebenserfahrung mehr achten, wenigstens Aufmerksamkeit schenken, und hätte nicht diesen Drang, die ganze Welt belehren oder verbessern zu müssen. Auch in früheren Systemen war Individualismus möglich, jedoch wurde der Mensch recht rigide an sein Gewissen und seine Verantwortung und an die Folgen seines Tuns erinnert. Das hörten die meisten Menschen noch nie gerne und suchten stets neue Wege, dies zu umgehen. Der auf bedingungslosen Konsum nicht nur von Gütern, sondern auch von Kultur ausgelegten Gesellschaft, die eigene Regsamkeit und eigene Kreativität überflüssig werden lassen und einen Schutzraum vor Erinnerung an ethische Verantwortung bietet, sind Tugenden wie Barmherzigkeit, Bescheidenheit, Gewissenhaftigkeit und auch Fleiß abhanden gekommen. Der nach einer solchen Entwicklung hervortretende Mensch mag freier sein als früher, denn er wird weniger zur Verantwortung gezogen. Für d i e s e Art von Freiheit ist jedoch ein hoher Preis zu zahlen: man wird kaum noch zur kritischen Selbstreflektion und Bildung ermahnt oder gezwungen, die Kraft des Geistes verkümmert. Der intellektuelle Ruin des ungebildeten Menschen führt zu Ideenlosigkeit, Passivität und Dilettantismus. Der zum Nachdenken und Abwägen gezwungene Mensch mag sich nicht als so frei empfinden, ist im Allgemeinen aber der angenehmere, kreativere und klügere - auch ehrlichere - Zeitgenosse, nur leider immer seltener in Beruf und Gesellschaft anzutreffen.

Petra Wilhelmi / 10.04.2021

Im Prinzip haben Sie recht, Herr Sarrazin. Ich widerspreche aber bei der Corona-App und Corona. Dass die App vielleicht dilettantisch ist, sei dahingestellt, aber Corona an sich ist fragwürdig. Diese sogenannte Corona-App greift tief in die Rechte anderer Menschen ein und macht, wenn es dumm kommt, gesunde Menschen zu Virenschleudern, um die man einen riesengroßen Bogen machen soll, die auszugrenzen sind. Dadurch können gesunde Menschen in Quarantäne gesteckt werden. Wir haben ja keine Erkrankung à la Pest, Ebola u.ä. Dort ist es legitim den 1. Fall zu suchen und Infektionsketten zu unterbinden. Corona ist aber nur eine aufgeblasene Grippe, die gerade recht kam, um Weltveränderungspläne von Oligarchen zu pushen. Grippale Infekte kann es zu jeder Jahreszeit geben, im Herbst/Winter am meisten und an Grippe wird auch jedes Jahr gestorben. Ziel ist es, eine Neue Weltordnung zu schaffen. Das Mittel ist Corona und das Werkzeug der PCR-Test und die Dummheit weiter Kreise der Bürger. Damit kann der Impfpapst Gates, seinen 2 Hobbys frönen - impfen und die Bevölkerung der Welt zu reduzieren.  Wer sich für Impfungen, statt für Medikamente und Immunstärkung ausspricht, hat die Gesundheit der Bürger der Erde nicht im Blick. Und was mich nervt, ist, dass diese Herren der Oligarchenschöpfung das auch noch kundtun und viele hören einfach nicht zu oder wollen aus mir unerfindlichen Gründen nicht zuhören. Drosten und Co. sowie Krankenhäuser, Ärzte, Politiker und viele, viele Unternehmen verdienen daran, dass man den Bürgern Angst macht und ihnen eine Seuche so wie Ebola einredet und die Bürger nehmen das hin. So sagt z.B. der Ex-Pfizer-Vizepräsidende Dr. Michael Yeadon, dass die Regierungen uns anlügen und eine Massenentvölkerung vorbereiten. Das trifft sich mit den Zielen von z.B. Gates oder den Entwicklern des Oxfortstöffchens, die Verbindungen zu Eugenikgesellschaften haben. Man sollte immer dem Geld folgen und hinter die Kulissen schauen.

Sabine Schönfelder / 10.04.2021

Dr. @ Stefan Lehnhoff, möchte Ihnen heute bewundernd zu Ihrer Einmaligkeit gratulieren. Wenn es Sie nicht schon gäbe, würde ich Sie gerne erfinden. Der Erfolg Ihres Buches wird den jetzigen und künftigen demokratischen und pluralistischen Zustand jedes Landes widerspiegeln; WENN es in Zukunft überall veröffentlicht werden wird, WENN wir die diktatorischen Bestrebungen einer globalen Elite durch ZERSCHLAGUNG ihrer markt- und politikdominierenden Herrschaft ERREICHT HABEN WERDEN. LG

F. Zimmert / 10.04.2021

Wer hat die Kraft/Macht/Klugheit, uns aus dieser unseligen Allianz aus Presse und Politik, aus Angstmacherei und tendenziöser Information zu befreien? Söder? Baerbock? Laschet? Die einzige Erkenntnis aus dem bisherigen COVID-Hype ist, dass der Anteil an Deppen in unserem Land weit höher ist, als gedacht. Und alle sind wahlberechtigt…

Claudius Pappe / 10.04.2021

Habe gerade erfahren, das Prinz Phillip gestorben ist . Hätte sich wohl besser impfen lassen sollen !............................Frau Merkel lassen sie sich impfen ! Ich mache es dann auch…............in zehn Jahren.

Steffen Huebner / 10.04.2021

Herr Sarazin ist auch schon - vermutlich unbewust - Opfer des allseits gegenwärtigen Framing der Staatsmedien und Konzernpresse geworden: Das war keine Nuklearkatastrophe in Fukushima, das war eine Tsunamie- Katastrophe. Der einzige Tode im Kraftwerk war ein ertrunkener Elektriker. Die zahlreichen Opfer waren ertrunken durch den Tsunamie bzw. dessen Folgen.

Dieter Kief / 10.04.2021

@ Peer Munk - ja, eine Denkstörung der deutschen Ärzteschaft hat Gunter Frank festgestellt. Und einen Skandal, weil durch fehlgeleitete ärztliche Kunst tausende von Menschen auf den Intensivstationen zu Tode gekommen seien. - Viele Ärztinnnen und Ärzte wären also nicht nur denkgestört, sondern feige grad au no. - Na Servus!

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