Wolfram Weimer / 19.07.2009 / 22:15 / 0 / Seite ausdrucken

Die Wehrpflicht wankt

Der Wahlkampf wirkt müde, Sachthemen gibt es kaum. Doch hinter den Kulissen von Berlin wird leise, aber lustvoll eine kleine Sachrevolution vorbereitet: Die Wehrpflicht soll fallen. Einerseits ziehen die FDP, die Linken und die Grünen mit genau dieser Forderung offen in den Wahlkampf. Andererseits rumort es jetzt auch bei den Volksparteien. In der SPD zeichnet sich ab, dass die neue Bundestagsfraktion mehrheitlich für eine Abschaffung votieren wird. Und selbst bei der CDU wächst die Sympathie für eine Berufsarmee. Dabei spielt auch eine Rolle, dass weniger als 10 Prozent der Bundestagsabgeordneten noch selber gedient haben. Egal wie die Bundestagswahl also ausgeht, die Wehrpflicht wankt. „Die Berufsarmee wird kommen, und zwar schneller als man denkt“, raunt es parteiübergreifend im Parlament.

Ein zentrales Argument der Pflichtgegner ist die so genannte „Wehr-Ungerechtigkeit“ der gegenwärtigen Situation. Denn derzeit leisten weniger als 20 Prozent der zur Verfügung stehenden jungen Männer überhaupt noch Wehrdienst, ungefähr 60 Prozent eines Jahrgangs machen hingegen weder Wehr- noch Zivildienst. Damit werde die allgemeine Wehrpflicht zur Farce.

Das zweite Argument verweist darauf, dass fast alle anderen westlichen Staaten die Wehrpflicht inzwischen abgeschafft haben. Nicht nur die USA und Großbritannien, sogar das etatistische Frankreich und das militärstolze Spanien, zuletzt Italien und derzeit Polen. Immer weniger Staaten wollten massenweise ihre Kräfte in Zwangsarmeediensten verschleudern und entschieden sich für die Option der Professionalisierung.

Das dritte Argument verweist auf die zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr, vor allem in Afghanistan. Der Einsatz geht ins siebte Jahr, und ein Ende ist nicht abzusehen. Wenn es aber Normalität sei, dass deutsche Tornados über dem Hindukusch flögen, die Marine vor Beirut schippere und das Heer auf dem Balkan stehe, dann werde es dringend Zeit für die Berufsarmee. „Wir haben uns für eine Söldnertruppenpolitik entschieden, dann sollten wir uns auch eine Söldnertruppe zulegen“, hört man im Bundestag.

Tatsächlich kann es mit der Flickschusterei einer Waffenstreichung hier, Truppenzusammenlegungen da und tropischen Sondertruppen dort in der nächsten Legislatur kaum weitergehen. In Berlin mehren sich daher einflussreiche Stimmen, die eine grundlegende Remedur wollen. Auch innerhalb der Bundeswehr wird inzwischen leidenschaftlich über Vor- und Nachteile einer Berufsarmee diskutiert. Denn Deutschland leistet sich – neben aller Krisenintervention - immer noch Zeit totschlagende Wehrpflichtigentruppen aus Informatikstudenten, Banklehrlingen und Zahnlaboranten. Dabei – so klagt man in den Planungsstäben - bräuchte es eine schlagkräftige, flexible Profitruppe mit Motivation und Expertise.

Seitdem aus der Territorialarmee eine Kriseninterventionstruppe geworden, hat sich auch die Meinung in der Armee selber gewandelt. „Die rasante technische Entwicklung, und das Ende des territorialen Prinzips sprechen für eine Armee aus qualifizierten Sicherheitsexperten und gegen die nette Heerschar aus Schützengrabenjungs von nebenan“, heißt es aus der jüngeren Generalität. Sie sagen: „Die Wehrpflicht gehört ins Einmachglas der Geschichte, das „Dienen“ sollte durch das „Leisten“ ersetzt werden.“ Die alten Generale hingegen halten an der Wehrpflicht fest, betonen die Vorteile der Rekrutierung und der politischen Verankerung der Armee in der Bevölkerung. Doch die Verteidiger geraten immer weiter in die Defensive.

Die allgemeine Wehrpflicht und das Konzept des Bürgers in Uniform entstammt einer weltanschaulichen Vorratskammer aus preußischer Tugend („Die Armee ist Teil unseres Volkes, und nicht der schlechteste“), den landesverteidigerischen Zwängen des Kalten Krieges und der frühbundesrepublikanischen Sehnsucht nach Überwindung des Militarismus durch die Vergesellschaftung des Militärs.

All dies scheint heute hinfällig. Der Kalte Krieg ist nachhaltig gewonnen, und die Sorge vor dem militärischen Staat im Staate treibt wohl niemanden mehr ernsthaft um. „Unsere politische Kultur ist reif genug, sich neben einer Profi-Polizei endlich auch eine Profi-Armee zuzulegen“, erklären grüne wie liberale und linke Politiker gleichermaßen. Es sieht danach aus, dass eine 200 Jahre alte Tradition auch in Deutschland zu Ende geht – egal wie die Wahl ausgeht.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 27.02.2020 / 06:11 / 135

Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten…/ mehr

Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / 19

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im…/ mehr

Wolfram Weimer / 14.02.2020 / 06:14 / 106

Die CDU sucht den Merkel

„Angela Merkel will Armin Laschet. Die CDU-Basis will Friedrich Merz.“ So fasst ein CDU-Spitzenpolitiker aus der Bundestagsfraktion die K-Debatte in der Union zusammen. Mit dem…/ mehr

Wolfram Weimer / 13.12.2019 / 06:23 / 33

Batterien aus Deutschland? Potzblitz, und es geht doch!

Monatelang war es bloß ein Gerücht: Angeblich verbaut der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern “AirPods” deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen…/ mehr

Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / 69

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com