Peter Grimm / 16.05.2022 / 08:51 / Foto: Tim Maxeiner / 145 / Seite ausdrucken

Die Wahl der 55,5 Prozent

Ganz Nordrhein-Westfalen hat gewählt. Ganz Nordrhein-Westfalen? Nein! Eine kleine Minderheit von 44,5 Prozent der Wahlberechtigten hat ihre Stimme nicht abgegeben.

Wie schon nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein eine Woche zuvor fand dieser Teil des Wahlergebnisses kaum öffentliche Aufmerksamkeit. In den meisten Wahlsendungen und Wahlanalysen ging es vor allem darum, dass die CDU mit dem Ministerpräsidenten Hendrik Wüst ihr Ergebnis verbessern und mit 35,7 Prozent der abgegebenen Stimmen wieder stärkste Partei werden konnte. Der Abstand zum Zweitplatzierten hat sich vergrößert, weil die SPD mit 26,7 Prozent auf ihr schlechtestes NRW-Wahlergebnis stürzte. 

Die zweiten Wahlgewinner wurden die Grünen mit 18,2 Prozent, und ihre Vertreter fühlten sich am Abend sicher, dass ohne sie nicht regiert werden kann. In der WDR-Wahlsendung hieß es am Abend, dass es im Grunde nur noch zwei mögliche Koalitionsmehrheiten gäbe: schwarz-grün oder – wie im Bund – eine Ampelkoalition. Die rechnerische Möglichkeit einer Großen Koalition aus CDU und SPD wurde nicht einmal erwähnt. 

Die rekordschwache SPD träumte am Wahlabend derweil noch von der Macht am Rhein, denn wie in Berlin könnte doch die FDP bei der Verwirklichung rot-grüner Träume helfen. Eigentlich sollte das undenkbar sein, aber was das Maß inhaltlicher Selbstverleugnung angeht, schafft es die Partei, die immer noch behauptet, liberal zu sein, ja immer wieder, das Publikum zu überraschen. Bei dem schwachen FDP-Wahlergebnis von 5,9 Prozent sollten diese Wahlverlierer sich eigentlich fragen, ob es von ihren Wählern wirklich goutiert wird, wenn sie – wie im Bund – einen rotgrünen Regierungskurs ermöglichen. 

Die AfD zieht mit 5,4 Prozent wieder in den Landtag ein, was für die Partei nach ihrem Scheitern an der Fünfprozent-Hürde in der letzten Woche in Schleswig-Holstein sicher erleichternd war. Aber die Stimmen der AfD-Abgeordneten will ja keine andere Partei zur Mehrheitsbeschaffung haben. 

Im Westen nichts Neues?

Es sieht also ganz danach aus, dass es nun auch in Düsseldorf eine schwarz-grüne Koalition geben wird. Das hat nichts Innovatives oder Überraschendes mehr, denn die Konstellation ist nicht neu. Zudem haben sich etliche ideologische Eckpfeiler des Grünen-Weltbilds inzwischen überparteiliche Akzeptanz gefunden, zumindest in den Parteiapparaten.

Also im Westen nichts Neues? Nicht einmal eine solche Fehleinschätzung der Demoskopen, es stünde ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Spitzenkandidaten von CDU und SPD an, ist neu. 

Das Statement von 44,5 Prozent Nichtwählern wird inzwischen einfach ignoriert. Die besorgten Stimmen früherer Jahre ob der gesunkenen Wahlbeteiligung sind verstummt oder werden nicht gehört. Jetzt wird die traurige Zahl der Wahlbeteiligung allenfalls nebenher kurz erwähnt. Dabei – so stand es hier schon vor einer Woche nach der Schleswig-Holstein-Wahl – ist es eine verheerende Aussage dieser Wahlberechtigten über die Demokratie, wenn sie in solchen Größenordnungen nicht mehr abstimmen. Denn immer mehr Nichtwähler bleiben der Wahl fern, weil es nichts für sie Wählbares im Angebot gibt. Immer nur deshalb für ein schlechtes politisches Angebot zu stimmen, um eine vielleicht noch schlechtere Variante zu verhindern, ist vielen Bürgern nicht mehr genug. Gerd Buurmann hat diese Ratlosigkeit in der letzten indubio-Ausgabe gut auf den Punkt gebracht. 

Und was wäre eine Lösung? Gern wird denen, die nicht wissen, was sie wählen sollen, weil sie nichts Geeignetes finden, gesagt, sie müssten sich halt selbst engagieren und in die Parteien gehen. Doch wie aussichtsreich ist es, in eine Partei zu gehen, die man nicht gern wählt, um sie so umzugestalten, dass man sie gern wählen würde? Wer kann denn, im normalen Leben stehend, den entsprechenden Aufwand in verkrusteten Parteigremien und -apparaten treiben? Und auch eigene Parteien zu gründen und organisatorisch so aufzubauen, dass sie in Wahlen überhaupt eine Chance haben, dürfte in der Regel keine realistische Option sein.

Leider ist es derzeit auch keine realistische Option in Deutschland, über die Möglichkeit eines Mehrheitswahlrechts zu reden, obwohl genau das ein Ansatz wäre. Denn wenn sie nur „ihren“ Abgeordneten wählen würden, wird die Wahl, werden die Unterschiede, die Angebote – auch unabhängig von der Programmatik jeweiliger Parteien – konkreter und fassbarer. Aber das ist leider derzeit keine realistische Option. Vielleicht denkt ja mal jemand darüber nach, wenn die 50-Prozent-Grenze bei Landtags- oder Bundestagswahlen erstmals unterschritten wird.

Foto: Tim Maxeiner

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Karl-Heinz Boehnke / 16.05.2022

Der Vergleich der Anzahl der Wähler im Lokal in einigen Wahlkreisen zeigt, dass 2017 14,5% in den letzten beiden Stunden, also 20% der Zeit, gewählt haben, während es 2022 nur 8,1% waren. Das Wetter kann die Ursache ja nicht gewesen sein. Es sieht so aus, als ob die jetzt häufigeren Briefwähler damals eher spät ihre Stimme abgegeben haben.

Christian Frank / 16.05.2022

Aber wehe, die AfD schneidet mal gut ab - gerne im Osten. Da wird Seite von allen Seiten gewettert gegen jede Wahlbeteiligung unterhalb der 65% und den Leuten mal grundsätzlich das Demokratieverständnis abgesprochen.

Steffen Lindner / 16.05.2022

Irgendwie lustig sind die Kommentare der MSM: Nachdem man schon jahrelang die Grünen und ihr Personal mit Lobhudeleien pampert , tut man nach den erwartbaren Ergebnissen erstaunt, wie diese wohl zustande kamen. Über den besagten Teil der Wählerschaft muss man allerdings kein Wort mehr verlieren.Kommentartitel eines alternativen Blogs:“ Wir können das Buch Deutschland zuklappen. „

Reinhard Schröter / 16.05.2022

Das Schauspiel, welches uns auf der deutschen politischen Bühne geboten wird , hat ein Niveau erreicht, dass man sich nur noch angeekelt anwenden kann. Die Darsteller auf eben dieser Bühne stellen in Gänze eine Negativauslese dar, die es so nach dem 2.Weltkrieg weder in der damaligen DDR noch in der alten Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung, gegeben hat. Man muss keinen dieser Akteure benennen, alle eint sie, ihre Unfähigkeit, ihre unsägliche Dummheit, ihre Borniertheit und ihre Kleinkariertheit, die , sobald sie das Maul aufmachen, einem die Zornesröte ins Gesicht treibt. Und dann soll man , zur Wahl gerufen, solchen Leuten, die man nur verachten kann, seine Stimme geben, was am Ende bedeutet,auf das Niveau dieser Leute herab zu steigen und sich mit denen gemein zu machen . Niemals ! Es ist unter meiner Würde. Nicht einmal bei den lächerlichen Pseudowahlen in der DDR genannten Ostzone Deutschlands,Falten genannt, habe ich mich jemals so gedemütigt gefühlt.wie heute in der Wahlkabine, wo man mir nur die Wahl zwischen Pest und Cholera anbietet.    

Arthur Duszynski / 16.05.2022

Momentan ist “last generation” bei den Wahlen am Zug. Sie stellen die größe Wählerschaft mit 18 bis 30 Jahren und villeicht leicht drüber. In der Voraussicht des Wahlergebnisses wie es tatsächlich zustandegekommen ist, bin ich nicht zur Wahl gegangen. Es ist mir im Grunde auch egal, welches Regime mir den nächsten Lockdown und die Maulkorbpflicht verordnet. Nach 40 Jahren bin ich wahlmüde und mache das Ritual nicht mehr mit. Es reicht!

Daniel Oehler / 16.05.2022

Die Propaganda der grünen SchreiberlingerInnen zeigt Wirkung. Das Land lebt kollektiv im Grün-woken Wolkenkuckucksheim und wird dafür den Preis bezahlen und die von Deutschland finanzierte EU steht ebenfalls am Abgrund

Helmut Bühler / 16.05.2022

Einen Lichtblick gibt es: die FDP-Wähler haben erkannt, dass FDP nur aussen drauf steht, innen aber Lindner hockt. Und eine Lindner-Partei braucht niemand, da sie keinerlei Inhalte mehr hat. Diese klare Ansage im Homeland Lindners lässt hoffen, dass liberale Reste in dieser Partei die Notbremse ziehen.

Claudius Pappe / 16.05.2022

Ist das nicht krank ? Da wird der FDP Kandidat aus Viersen ( Brockes ) dessen Partei in seinem Wahlkreis 3700 Stimmen bekam, in den Landtag gewählt. 3700 von 13 000 000 genügen um in den Landtag zu kommen….irre…...

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