Peter Grimm / 03.06.2019 / 15:30 / Foto: Deutsche Fotothek‎ / 50 / Seite ausdrucken

Die Troika heißt jetzt Trio

Viele eigenwillige Dinge hört man von den Spitzengenossen der SPD, seit die letzte Vorsitzende sich Hals über Kopf verabschiedet hat. Zum einen erklärten Vorstandsmitglieder in die Fernsehkameras, dass sie jetzt beraten würden, mit welchen Inhalten sie die Wiederauferstehung der dahinsiechenden SPD vielleicht schaffen könnten. Den Spitzengenossen fällt offenbar ohne längeres Nachsinnen nicht mehr ein, mit welcher Grundhaltung eine stolze Sozialdemokratie einst einen Großteil der Deutschen für sich einzunehmen wusste. Das hatte – als Erinnerungshilfe – viel mit gesundem Menschenverstand zu tun.

Aber gut, der hat nicht nur in der SPD seine Heimat weitgehend verloren. Unterhaltungswert hatte es auch, dass plötzlich keiner mehr SPD-Vorsitzender werden wollte, nicht einmal übergangsweise. Finanzminister Olaf Scholz winkte ab, das könne er nicht schaffen bei so viel Regierungsarbeit. Wahrscheinlich hofft er, dass sich niemand daran erinnern kann, dass einstmals Bundeskanzler geschafft haben, den SPD-Vorsitz trotz Regierungsamt zu übernehmen. Es ist ja auch schon lange her und heutzutage kaum noch vorstellbar, dass es einmal SPD-Kanzler gab. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil fürchtete eine Überlastung und winkte ab. Für den Parteivorsitz stehe er nicht zur Verfügung.

Und nun folgte am Montagmittag eine weitere lustige Meldung aus dem Parteivorstand: „Trio soll Partei aus der Krise führen – Schwesig, Dreyer und Schäfer-Gümbel nominiert“, meldete Bild. Ein Trio? Toll! Mit dem Modell einer Dreierführung hat die SPD ja schon unwahrscheinlich überzeugende Erfahrungen machen können. Damals nannte man das Trio noch Troika, aber in heutigen Zeiten sind Lehnworte aus dem Russischen vielleicht nicht mehr ganz so beliebt.

Interessant ist hier ein kleiner Rückblick auf das, was manche Journalisten-Kollegen schrieben, als die SPD sich das letzte Mal von einem Dreigespann retten lassen wollte. Das letzte Mal war 2011 und dazu schrieb Susanne Höll damals treffend in der Süddeutschen Zeitung:

„Wie schwierig der Zusammenhalt in einer Dreiergruppe ist, weiß man aus Kindertagen. Manchmal herrscht Eintracht, oft aber machen zwei gemeinsame Sache gegen den Dritten im Bunde. Der ist beleidigt, nimmt übel, trampelt die Sandburg kaputt - und schon herrschen Zank und Hader. Trios, das sagt die Lebenserfahrung, sind selten Brutstätte harmonischer Beziehungen.

Deswegen wundert man sich über die Eigenart der Sozialdemokraten, das Dreigestirn zu einer Art politischem Strukturprinzip zu erheben. Den meisten anderen Parteien sind solche Konstellationen fremd. Die Union käme niemals auf die Idee, sich ein Führungstrio zu geben. […]

In der SPD heißt das Trio Troika. Und die war, wie man heute weiß, keineswegs immer ein Erfolg. Das erste Dreigestirn, bestehend aus dem Parteivorsitzenden Willy Brandt, Fraktionschef Herbert Wehner und Kanzler Helmut Schmidt funktionierte zunächst gut, war zuletzt aber von Antipathie und Misstrauen beherrscht.

Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine, die nächste Troika, gönnten sich wechselseitig nicht die Butter auf dem Brot. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel weiß sehr wohl um diese Verwerfungen der Vergangenheit - und kürt dennoch ein neues Team, holt Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück eng an seine Seite.“

Wie erfolgreich die letztgenannte Troika war, ist inzwischen bekannt und die handelnden Personen sind aus der SPD-Spitze längst verschwunden. Was ist jetzt anders? Die Troika heißt inzwischen auch bei der SPD Trio und sie könnte die letzte sein, denn eine SPD-Führung kann nicht mehr oft scheitern, bis sie ihre Bruchlandung vollendet hat. Die beiden Genossinnen Ministerpräsidentinnen und ihr glückloser Genosse Dauerwahlverlierer aus Hessen werden den Weg ihrer Vorgänger wahrscheinlich trotzdem konsequent fortsetzen.

In Sachsen, wo am 1. September gewählt wird, kam die SPD bei der Europawahl nicht einmal auf acht Prozent. Vielleicht wird ja der Landtag in Dresden das erste demokratisch gewählte deutsche Nachkriegsparlament ohne SPD-Abgeordnete. Das wäre dann wahrscheinlich wieder eine Zäsur, die nach einer neuen Führung schreit. Vielleicht wechseln die Genossen dann zum Quartett.

Foto: Deutsche Fotothek‎ CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia

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Gabriele Schulze / 03.06.2019

Och, Herr Kiescher, wollte ich gerade schreiben! Da-da-daaa…Andere Assoziationen sind das Dreigestirn im Karneval - paßt, und “Drei sind einer zuviel”. Die Dreifaltigkeit will ich mal nicht bemühen. Casus Cnactus ist der im Artikel angesprochene Verlust des gesunden Menschenverstands. Bei der Ursachenforschung stieße man vielleicht auf das Laster der Gier. Mitmischen im Chor der Globalisierten ist ruhmreicher als sich um das Wohl des Landes zu kümmern.

Mathias Bieler / 03.06.2019

“Völker hört die Signale”. Nach der Sachsenwahl gibt es dann eine europaweite Ausschreibung für den Posten.

Archi W Bechlenberg / 03.06.2019

Trio steht nicht nur für Dadada. Passend zum SPD Trio von 2019 veröffentlichte die Band bereits 1983 das visionäre Werk “Turaluraluralu – Ich mach Bätschi was machst du?”

Bernhard Krug-Fischer / 03.06.2019

Lieber Herr Grimm, als ich die Überschrift „Die Troika heißt jetzt Trio“ las, hatte ich das Gefühl, dass das mir irgendwie bekannt vorkam. Ich fing an zu googeln und siehe da, ich wurde fündig. Ich fand einen Artikel in der Berliner Zeitung vom 23.08.2012. Titel BER-Debakel: Trio statt Troika. Da wurde also auch schon davon gesprochen. Im Text steht u.a. folgendes: „Mitternacht ist längst vorbei, die meisten Gäste des Pressefestes der SPD-Fraktion sind durch den strömenden Regen nach Hause geeilt. Nicht so der Regierende Bürgermeister. Klaus Wowereit ignoriert die Aufbruchsignale.  ...Als der Kellner die letzte Bestellung aufnimmt, stoßen Raed Saleh und Jan Stöß dazu. Der Fraktions- und der Parteivorsitzende stellen sich eng neben ihren Senatschef, was die Beobachter zu kleineren Sticheleien veranlasst. ……Nun legt der Regierende seine Arme um die beiden Aufrührer, zieht sie näher an sich heran und murmelt so etwas ähnliches wie: „Hach, meine Kleinen.“ Und die Kleinen lächeln….Einige am Stehtisch zücken ihre Handys, fotografieren die Szene und fragen amüsiert, ob nun auch die Berliner SPD eine Troika habe. Wowereit winkt ab. Der Begriff Troika passe nicht, schließlich laufe dieses altertümliche Gespann dreier Zugtiere nicht von allein. Auf dem Wagen sitze jemand, der die Zügel halte und lenke. Wowereit wählt also einen treffenderen Begriff, wie er meint: „Wir sind ein Trio.“ Soweit Auszüge aus dem Artikel von damals. Ich bin zwar kein Historiker, aber irgendwie beschleicht mich eine Vorahnung.

Dr. Joachim Lucas / 03.06.2019

Zwei blinde Kampfhennen und ein lahmer Hahn und alle zusammen auf einem SPD-Misthaufen. Bei den Sozen herrscht totale Orientierungslosigkeit und Verwirrung. Realitätsferne Versager halt.

Werner Arning / 03.06.2019

Es ist völlig egal, wen oder wieviele die SPD beruft. Schließlich kommt es auf die Politik an und die ist schlecht. Noch haben die Zuwanderer kein Wahlrecht. Bei ihnen könnte die SPD womöglich punkten, Den normalen deutschen Arbeitnehmer überzeugt die SPD nicht und um den sollte es ihr eigentlich in erster Linie gehen. Na ja, so war es früher zumindest einmal. Heute haben wir andere Zeiten und mit denen muss ja man ja offensichtlich gehen, Dann viel Spaß mit eurem Trio. Ich würde zwar ein Quintett bevorzugt haben, mit Stegner und Kühnert, aber es geht auch so.

Rudolf George / 03.06.2019

Nun ja, nachdem die drei stellvertretende Vorsitzende sind, konnten sie ja nicht nein sagen, auch wenn sie sich mit erkennbarem Widerwillen der Aufgabe stellen. Dass keiner den Posten haben, will zeigt doch mit aller Deutlichkeit, dass die SPD vor dem politischen Bankrott steht. Und da hilft nur noch eins: einen Insolvenzverwalter bestellen, der den Laden abwickelt.

P. F. Hilker / 03.06.2019

Ich habe diese Partei kein einziges Mal gewählt und verspüre grosse Genugtuung, den Untergang verfolgen zu können. Die Sozis konnten nur eins, anderen Leuten das Geld wegnehmen. Aber selbst mit dieser alten Methode können sie keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor locken.

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