Cora Stephan / 01.04.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz – Professoren-Schlachtung

Im Garten meiner Eltern hauste ein Rotkehlchen, das meinem Vater hinterherhüpfte, wenn er mit dem Spaten unterwegs war. Am liebsten war dem Vogel, wenn der Mensch den Komposthaufen umsetzte oder wenigstens lüftete, bei jedem Spatenstich kringelten unfassbar viele essbare Dinge an die Oberfläche, ein Fest fürs Rotkehlchen. 

In meinem Garten gibt es keinen offenen Haufen, Pech fürs Rotkehlchen, ich ziehe schon aus Platzgründen einen geschlossenen Komposter vor. Der wird im Laufe des Jahres mit Obst- und Gemüseresten gefüllt, auch mit Holzasche und Kaffeesatz und Küchentuch. Nur Kartoffeln und Tomaten lasse man besser aus, die sind unverwüstlich und verrotten kaum. Im Frühjahr kommt dann der magische Moment, in dem unten die Klappe geöffnet wird und man den Verwandlungsprozess bestaunen kann. Alles hat sich in dunkle duftende Erde verwandelt; Würmer fürs Rotkehlchen sind auch dabei. Humus. Der Garten dankt. 

Ja, schon gut, ich habe ein sentimentales Verhältnis nicht nur zu Humus, sondern generell zu Boden (ohne Blut). Das hat mit Krieg und Wein zu tun. An der Westfront des Ersten Weltkrieges starben nicht nur Menschen und Pferde, bei Verdun entstand im Jahre 1916 nach monatelangem Trommelfeuer eine trostlose Schlamm- und Steinwüste, mit Öl und Sprengstoff vergifteter und mit menschlichen und tierischen Kadavern verseuchter Boden, seines Humus beraubt. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Aufforstung mit Nadelbäumen, mit der man 1929 begann, den Boden wieder mit Humus versorgte. Die Gegend um Verdun verdankt ausgerechnet dem Krieg ein großes zusammenhängendes Waldgebiet. Ein Teil des umkämpften Bodens enthält allerdings noch heute derart viele Blindgänger, das sein Betreten Lebensgefahr bedeutet. 

Dass der Mensch dem Boden nicht immer gut tut – wissen wir ja, schweigen wir davon. Gar nicht so schädlich ist das, was empfindliche Nasen und Umweltschützer besonders stört: Gülle und Mist. Schlimmer ist, wenn daran Mangel herrscht. So wie im Deutschen Reich während des Krieges. Schon damals führte es in die Irre, „der Wissenschaft“ zu folgen. Professoren hatten ausgerechnet, dass das Schwein des Menschen schlimmster Nahrungsmittelkonkurrent sei, und da dank Handelsblockade die Lebensmittel knapp waren, wurden fünf Millionen Tiere gekeult.

So kam es streng wissenschaftlich zu einer Hungerkatastrophe

Ebenfalls kriegsbedingt fehlte Metall, man konnte das Fleisch also nur mit minderwertigem Blech eindosen, um es wenigstens kurze Zeit haltbar zu machen. Und so kam es, wie es kommen musste: Erst sank der Preis von Schweinefleisch dank Überangebot ins Bodenlose, dann, als das meiste Fleisch verdorben war, stieg er in himmlische Höhen. Und jetzt fehlte auch noch der Schweinemist zum Düngen, denn Stickstoffdünger war rar. Es gab kein Salpeter, dafür sorgte die Handelsblockade und das Militär, das ihn für Munition brauchte. Und so kam es streng wissenschaftlich zu einer Hungerkatastrophe, infolge der Hunderttausende starben. 

Man nennt die Episode Schweinemord oder auch „Professorenschlachtung“. Vielleicht wäre das eine brauchbare Alternative gewesen.

Doch lassen wir den Krieg. Die Sache mit dem Wein ist entschieden schöner. Im Wein kann man den Boden schmecken, in dem die Reben gewachsen sind. Das nennt man dann natürlich nicht mehr Boden, sondern, weit eleganter, Terroir. Reben wurzeln tief, sie nutzen den Boden nicht nur, um sich darin zu verankern, sondern vor allem zur Aufnahme von Wasser und Nährstoffen. Gestein und Boden zusammen bilden das Mikroklima, das für Wachstum und Reife wichtig ist: Die Wärme des Bodens hängt nicht nur vom Klima, sondern auch vom Wassergehalt des Bodens und der Luftzirkulation ab. Doch nicht nur der Ertrag wird vom Boden bestimmt, sondern auch der Geschmack. Sandige Böden seien gut für Säure und Lebendigkeit, heißt es, kalkreiche für Weichheit, tonreiche für Vielfalt.

Kann man das wirklich schmecken? Bei jeder Weinprobe bei unseren großartigen deutschen Winzern, deren Weine nicht vor allem im Keller entstehen, bin ich überzeugt: ja, man kann. Wein ist eine Reise dorthin, wo seine Trauben gewachsen sind, und er ist eine Reise in die Vergangenheit – des Bodens, der ihn geprägt hat. Mancherorts kommen, wenn man den Weinberg bis in die Tiefe umgewendet und durchmischt hat, versteinerte Muscheln an die Oberfläche. Einst war hier Meer. 

Seit der Industrialisierung ist die unterschiedliche Qualität des Bodens nichts mehr, was im Bewusstsein der Menschen eine Rolle spielt. Jedenfalls hängt die Art und Güte der landwirtschaftlichen Produktion kaum noch von der Geschichte der Böden ab. Nur beim Wein ist das anders. Ich gestehe: ich bin Weinpatriot. 

Nach Ostern kommt die Stimme aus der französischen Provinz. Nein: dort ist der Wein nicht unbedingt besser. Aber vieles andere – ich sage nur: Chevre.


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Thomas Taterka / 01.04.2021

@Hjalmar Kreutzer ” Fay ce que vouldras” . Rabelais

Karola Sunck / 01.04.2021

Man sollte nicht so blauäugig sein und jedes Gutachten und die Analysen von früheren und jetzigen Zeiten für bare Münze nehmen. Regierungen können passende Gutachten erstellen lassen und von Gutachtern kaufen, totalitäre Systeme bekommen sie durch Erpressung und Gewaltandrohung. Denn Wissenschaft ist oft käuflich, dass merkt der aufmerksame Betrachter, besonders in dem heutigen aufgeklärten digitalen Zeitalter. Der erste Weltkrieg, entstanden durch Dummheit und Wichtigtuerei, war die Jahrhundertkatastrophe schlechthin. Alle anderen, folgenden Katastrophen, menschlicher Unzulänglichkeit, haben dadurch ihren Ursprung erfahren und dass bis in die heutige Zeit. Nach dem I. Weltkrieg interessierten sich die Menschen nicht um das Tierrecht, sondern nur was jeden Tage auf ihrem Teller war, um hungrige Mägen zu besänftigen und zu überleben. Und unter diesem Aspekt kann man auch die Schweineschlachtung betrachten, die als Schweinemord in die Analen eingegangen ist. Durch die Handelsblockade war man auf eigene Erzeugung angewiesen. Hunger und fehlende Nahrung fociert die grauen Zellen zur Höchstleistung. Ständige Sattheit macht träge. Durch Überkonsum und dadurch fehlender Anreiz zu einer Überlebensstrategie, ist der Mensch in der heutigen Zeit nicht mehr in der Lage, vorausschauend seine Gedankenkapazitäten zu ordnen. Wenn die heutigen Menschen, nur ein Bruchteil der Überlebensstrategie der Menschen von früher in die heutige Gegenwart gerettet hätten, wären wir heute nicht in diesem Dilemma, wo es kein Ausweg heraus zu geben erscheint. 

Claudius Pappe / 01.04.2021

Bin ja sonst einer der mit der Vergangenheit und dem Schuldkomplex der Deutschen abschließen möchte. Zur Zeit finden in Belgien die Frühjahrsklassiker im Radrennen statt. Erschütternd, die vielen Weltkriegs-Friedhöfe in Ypern und Umgebung zu sehen. ......................................wir Deutschen sind schon ein dummes Volk….......................erst bringen wir Europa und der Welt Tod und Leid, jetzt bringen wir uns selbst freiwillig Leid und Tod .......................

Andreas Zöller / 01.04.2021

“Nach Ostern kommt die Stimme aus der französischen Provinz. Nein: dort ist der Wein nicht unbedingt besser. Aber vieles andere – ich sage nur: Chevre.” Na, Sie sind mir ja eine echte Optimistin. ‘Macron verschärft und verlängert Lockdown in Frankreich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine Verlängerung und Verschärfung des landesweiten Lockdowns angekündigt. Paris (dts Nachrichtenagentur) - Schulen und Läden würden für drei Wochen geschlossen und Menschen dürften sich ohne triftigen Grund nicht weiter als zehn Kilometer von ihrem Wohnort entfernen, sagte der französische Regierungschef am Mittwochabend in einer Fernsehansprache. “Wir machen das, weil der Erfolg der Strategie im April von jedem von uns und seinem Verantwortungsbewusstsein abhängt. Auf diese Weise können wir diesen Weg der Hoffnung wieder aufbauen, der es uns ermöglicht, allmählich ein normales Leben zu finden, und der es uns auch ermöglicht, alle Lehren aus dieser Tortur zu ziehen. Aber wir werden vereint und entschlossen bleiben”, appellierte Macron. Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 31.03.2021” (Irgendwie werden sich dieser Macron und der Kurz, diese beiden Muttersöhnchen, immer ähnlicher)

Uwe Neumann / 01.04.2021

Ich muss meinen vorherigen Beitrag etwas korrigieren, Carl von Voit ist ja schon 1908 gestorben. Insofern war er nicht mehr direkt verantwortlich. Sein Voit’sches Kostmaß mit der besagten Menge Fleisch war jedoch während des Krieges noch das Maß der Dinge.

Uwe Neumann / 01.04.2021

Der Artikel weckt den Anschein, als wäre die Hungersnot durch die 5 Mio. gekeulten Schweine entstanden. Der historische Kontext sieht wohl etwas anders aus. Nachdem die 5 Mio. Schweine gekeult waren, waren noch 17. Mio. Schweine übrig, und 20 Mio. Rinder. Der fehlende Mist wird es wohl nicht gewesen sein. Vielmehr war das Kaiserreich der weltgrößte Importeur von Agrarprodukten. Das fiel dann mit der Handelsblockade weg. Daran hätte man vielleicht auch mal denken sollen, bevor man in einen Krieg eintritt. (Wohlgemerkt eintritt, nicht auslöst. Die Dinge waren ja komplizierter….) Im übrigen war Dänemark auch von der Seeblockade und Nahrungsmittelknappheit betroffen. Doch da gab es keine Hungersnot. Warum? Dänemark hat seinen Schweinebestand um 80% und den Milchkuhbestand um 30% verringert. Zusätzlich wurde die Obst- und Gemüseproduktion forciert und die Alkoholproduktion eingedämmt. In Deutschland verantwortlich: Carl von Voit (tgl. 230 gr. Fleisch), in Dänemark Mikkel Hinhede (25 gr.). Die DGE empfiehlt heute 45-85 gr. höchstens. Tja, hätten die Deutschen mal mehr geschlachtet….

Hjalmar Kreutzer / 01.04.2021

Verehrte Autorin, liebe Mitleser, ich würde hier gern Beiträge zum Glaubensstreit „Käse zum Wein, Wein zum Käse, ja, nein, kommt drauf an“ lesen ;-)

Dr. Robin Schürmann / 01.04.2021

@Alexander Mazurek / 01.04.2021 Darwin hat die Ursache der Entstehung der Arten gefunden. Dass spätere Generationen von schurkischen Halbidioten seine Erkenntnisse politisierten und missbrauchten, kann man ihm nicht anlasten - im Gegensatz zu gewissen heutigen Wissenschaftlern, die sich als Prostituierte der Politik andienen.

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