Rainer Grell / 02.02.2017 / 06:00 / Foto: Tim Maxeiner / 2 / Seite ausdrucken

Die Parallel-Welt der Statussymbole

Wir leben in einer Zeit der Rekorde. Nicht nur im Sport. Rekorde und Rankings findet man überall, auch da, wo man sie gar nicht vermutet. Doch jetzt bin ich auf ein Terrain gestoßen, dass noch nicht Rekord- und Ranking-vermint ist: Die (Parallel-)Welt der Statussymbole, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Das erstaunt umso mehr, als diese zu den ältesten Zeugnissen menschlicher Kultur zählen. Erinnern wir uns an den Streit zwischen Brunhild und Kriemhild, wer zuerst den Dom zu Worms betreten durfte, der letztlich zum Untergang der Nibelungen geführt hat. Okay, das gehört ins Reich der Sagen. Aber nicht weniger sagenhaft war die Kette aus Grizzly-Zähnen, die jene Rothaut tragen durfte, die den Riesen unter den Bären nur mit dem Bowiemesser getötet hatte – heute sind das die vier Sterne auf den Trikots der Nationalspieler Müller, Özil und Co. (übrigens nicht nur über dem Herzen, sondern auch auf dem rechten Hosenbein – achten Sie mal darauf).

Statussymbole sind so zahlreich, dass man manchmal den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Nehmen Sie nur die so genannten Markenklamotten oder Accessoires, die dem Kenner sofort den sozialen Status des jeweiligen Trägers und vor allem der Trägerin signalisieren: Mit Gucci, Valentino oder Dior gehörst Du unweigerlich zur High Society. Da steht der Rolls Royce oder der Lambo mit Sicherheit als Zweitwagen in der Garage. Mit Calvin Klein, Peter Hahn oder Etienne Aigner geht’s auch – nur eben ein paar Etagen tiefer.

„Konservierte Zerstörung“ als Modegag

Und wenn’s oben nicht mehr weiter geht, fängt man wieder ganz unten an: Kauft Jeans von der Stange, lässt sie von einem Promi-Schneider auftrennen und von Hand wieder zusammen nähen, mit gut sichtbarem Label natürlich (machte früher Jaguar-Fahrer Max Dietl sen.. In München hieß es jedenfalls mal irgendwo; fesch samma, Moos hamma). Oder, eine Nummer kleiner, man trägt Flicken-Jeans mit Destroyed-Effekten vom Profi. Herrlicher heißt die Firma, mit der Herr Licher (Erwin O. Licher) und andere instinktsicher „konservierte Zerstörung“ als Modegag verkaufen.

Mal schimmert Haut durch die zerschlissenen Stellen, mal sind diese mit Stoff unterlegt. Welche einen höheren Status symbolisieren, hab ich noch nicht herausgefunden. Und wie zahlt man? Klar! Mindestens mit der Gold Card, besser noch mit der Platin Card (Platinium ist das gleiche, klingt aber noch „edler“ oder?).

Begeben wir uns in die Bürowelt. Vorstandsetagen kenne ich nur aus der Zeitung. Danach sitzt der CEO etwa in der 24. Etage, hat einen komplett leeren Schreibtisch und einen echten van Gogh an der Wand (nicht etwa so einen, über den Alfred Kerr reimte: „Ich habe einen van Gogh, sprich Goch, der tote Vincent hat ihn noch vor wenigen Wochen gemalt...“).

Oben muss man auf die Nuancen achten

Dafür kenne ich mich in Behördenbauten umso besser aus. Ein Blick in ein Beamtenzimmer und ich weiß, wen ich vor mir habe. Wer ein Zimmer mit einem Kollegen (egal welchen Geschlechts) teilen muss, hat schon verloren. Bei einem Einzelzimmer kommt es auf die Zahl der Fenster bzw. die zwischen ihnen befindlichen Achsen an: Ein Einachser (mit zwei Fenstern also) ist für Sachbearbeiter oder Referenten, ein Zweiachser für Referatsleiter, ein Dreiachser für stellvertretende Abteilungsleiter und ein Vierachser für Abteilungsleiter.

In der Beletage muss man dann auf die Nuancen achten: ein echter Perser oder eine Leihgabe aus der Staatsgalerie (z.B. ein Canaletto für den Bauminister). Natürlich gibt es Ausnahmen, etwa weil jemand eine Sonderaufgabe hat und deshalb ein größeres Zimmer braucht als ihm an sich zusteht, oder weil gerade kein seinem Status entsprechender Raum frei ist; da kann einer schon mal rauf oder auch runter gestuft werden.

Richtig mitreden kann aber eigentlich nur, wer eine Sekretärin hat („meine Sekretärin“, bei Behörden spricht man eher von Vorzimmerdame, klingt vermutlich noch bedeutsamer). Ja, und dann wird’s immer dünner. Es folgt der Dienstwagen, dessen Typ dem Kenner sofort zeigt, wen er vor sich hat. Obwohl der Kauf ausgeschrieben werden muss, trifft man erstaunlich häufig auf Marken, die irgendwie heimisch sind: In München also auf BMW, in Stuttgart auf Mercedes oder auch Audi (Neckarsulm), in Hannover auf VW.

Mit viel Liebe zum Detail geregelt

Natürlich ist das alles kein Ergebnis frei schweifender Fantasie, sondern mit viel Liebe zum Detail geregelt, wie zum Beispiel in NRW in den „Richtlinien über die Haltung und Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen im Lande Nordrhein-Westfalen“ (Kraftfahrzeugrichtlinien - KfzR) RdErl. d. Finanzministeriums v. 5.3.1999 - B 2711 - 1.7 - IV A 3“ mit 32 Paragraphen.

Darin heißt es zum Beispiel: „Vorhandene Personenkraftwagen sind allen Bediensteten einer Dienststelle für Dienstreisen zur Verfügung zu stellen. Eine ständige Benutzung durch einzelne Beschäftigte ist nur in den in § 7 Abs. 4 und 5 genannten Fällen zulässig.“

§ 7 Absatz 4 bestimmt: „Den Mitgliedern der Landesregierung, den Staatssekretärinnen oder Staatssekretären und den diesen besoldungsrechtlich gleichgestellten Beamtinnen oder Beamten, Richterinnen oder Richtern, der Parlamentarischen Staatssekretärin oder dem Parlamentarischen Staatssekretär, der Regierungssprecherin oder dem Regierungssprecher können Dienstkraftfahrzeuge zur ständigen Benutzung zugewiesen werden.

Gleiches gilt für die Präsidentinnen oder die Präsidenten der Oberlandesgerichte, die Regierungspräsidentinnen oder Regierungspräsidenten, die Oberfinanzpräsidentin oder den Oberfinanzpräsidenten, die Präsidentin oder den Präsidenten des Landessozialgerichts, die Präsidentinnen oder die Präsidenten der Finanzgerichte, die Präsidentinnen oder die Präsidenten der Landesarbeitsgerichte und die Generalstaatsanwältinnen oder Generalstaatsanwälte.

Die zur ständigen Benutzung zugewiesenen Dienstkraftfahrzeuge sind, außer bei den obersten Landesbehörden (das sind in NRW die Ministerpräsidentin, die elf Ministerien und der Landesrechnungshof) in Zeiten, in denen der Berechtigte sie nicht benötigt, zur allgemeinen Benutzung einzusetzen.“

Die Herrschaften fahren nicht selbst

Natürlich fahren die Damen und Herren der obersten Landesbehörden nicht selbst. Doch das ist so selbstverständlich, dass man den Begriff „Fahrer“ oder gar „Chauffeur“ (auch nicht Schofför) in der Richtlinien vergeblich sucht. Mit etwas Übung kommt man jedoch dahinter: „Als Kraftfahrzeuge für Selbstfahrerinnen oder Selbstfahrer kommen je nach Einsatzart nur Kraftfahrzeuge der Stufen I oder II in Betracht.“ Ministerfahrzeuge gehören jedoch in Stufe V. Und für diese gilt § 21 Absatz 1 Buchstabe a): „Dienstkraftfahrzeuge werden geführt von Beschäftigten, die als Berufskraftfahrerinnen oder Berufskraftfahrer tätig sind“. Wem diese Ausführungen immer noch nicht genügen, findet Weiteres hier.

Merke: Sekretärinnen sind immer weiblich (nur Staatsekretäre sind öfter männlich), Chauffeure stets männlich. Was sagen Sie dazu, Frau Schwesig? Wer Vorzimmerherren oder Minister-Chauffeusen kennt bitte melden. Ich kannte mal eine weibliche Führungskraft, die unbedingt einen männlichen Sekretär haben wollte, aber nicht bekommen hat.

Wichtige erkennt man an den Leibwächtern

Was bleibt noch an Statussymbolen? Natürlich, der Personenschutz, dessen Angehörige als Personenschützer, gemeinhin aber als Bodyguards oder, biederer, als Leibwächter bezeichnet werden. Als ich meinen Dienst im Innenministerium Baden-Württemberg am 1. Juli 1971 antrat, konnte man noch ungehindert von der Straße direkt bis zum Ministerzimmer im fünften Stock spazieren. Ein Jahr später war es mit dieser Bürgernähe vorbei. Es war die Zeit der RAF. Wer wirklich wichtig ist, erkennt man heute an den Bodyguards, die ihn oder sie in der Öffentlichkeit umgeben. Woran man diese erkennt? Man erkennt sie einfach.

Und jetzt wird die Luft richtig dünn. Eine Air Force One steht weder dem Bundeskanzler noch dem Bundespräsidenten noch dem Verteidigungsminister zur Verfügung, egal welchen Geschlechts die jeweiligen Personen sind. Aber die Damen und Herren unserer politischen „Elite“ sind natürlich nicht auf Linien- oder Charterflugzeuge angewiesen, sondern bedienen sich der Dienste der „Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung“.

Die „Richtlinien für den Einsatz von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft BMVg (Bundesverteidigungsministerium) zur Beförderung von Personen des politischen und parlamentarischen Bereichs“ habe ich zwar nirgends finden können (wer weiß mehr?), wohl aber Hinweise auf deren Inhalt. Danach darf folgender Personenkreis die Flugbereitschaft in Anspruch nehmen:

  • „Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, der Bundesratspräsident, der Bundeskanzler, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Bundesminister sowie die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag
  • Sonstige Mitglieder des Bundestages auf Anforderung des Bundestagspräsidenten
  • Die Parteichefs der im Bundestag vertretenen Parteien
  • Die Kanzlerkandidaten für die Zeit von zehn Wochen vor einer Bundestagswahl“

Bin gespannt, ob Martin Schulz das Flaggschiff der Flugbereitschaft, die „Konrad Adenauer“ umbenennen lässt, sollte er nach dem 24. September 2017 ins Kanzleramt einziehen. Doch das nur nebenbei.

Morddrohung als ultimatives Statussymbol

Das ultimative Statussymbol ist und bleibt die (konkrete) Morddrohung (namentlich aus der islamistischen Szene). Danach ist an sich keine Steigerung mehr denkbar.

Doch. Man fängt wieder ganz unten an: „Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen“ (Dacia-Werbung mit dem ehemaligen Fußballprofi Mehmet Scholl).

Jetzt fragen Sie sich natürlich, liebe Leserinnen und Leser, wie kann er nur das Thema „Statussymbole“ beenden, ohne das Wort „Orden“ einmal erwähnt zu haben. Was Sie nicht wissen können: Mit einem Beitrag „Orden, Orden, Orden“ begann vor knapp acht Jahren meine Mitwirkung als Gastautor der „Achse“ (Henryk M. Broder sei Dank!). Danach wollte ich eigentlich nichts mehr über Orden sagen. Aber wenn Sie mich so direkt fragen:Natürlich sind Orden ebenfalls Statussymbole und demzufolge gibt es Stufen.

Verdienstkreuz in acht Stufen

Beschränken wir uns auf den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, der in acht Stufen verliehen wird:

Für normale Sterbliche endet die Ehrung beim Verdienstkreuz 1. Klasse, maximal beim Großen Verdienstkreuz. Bei einigen Stufen gibt es eine spezielle „Damenausführung“. „Die Sonderstufe des Großkreuzes ist entsprechend internationaler Praxis Staatsoberhäuptern vorbehalten. Der Bundespräsident als Ordensstifter und Ordensherr trägt diese Ordensstufe kraft seines Amtes.“ Weitere Details findet der interessierte Leser hier.

Dort liest man auch: „Das Ordenszeichen geht in das Eigentum des Beliehenen über. Eine Rückgabepflicht seiner Hinterbliebenen besteht nicht.“ Theoretisch könnte sich da also jemand mit fremden Federn schmücken. Egal.

Meine Haltung zu diesem Thema habe ich bei Eugen Roth gefunden:

„Ein Mensch zählt nicht zu den Bewertern
Des Ruhms nach Eichenlaub und Schwertern.
Doch auch durch Nichtbesitz von diesen
Ist nichts Entscheidendes bewiesen.“

„Der große Diktator“  Adenoid Hynkel findet noch einen freien Platz für einen weiteren Orden auf der Brust von Feldmarschall Hering (doch dessen Freude währt nicht lange. Sehen Sie hier von 1:07:30 bis 1:09:15)

Foto: Tim Maxeiner

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Heiner Mücke / 02.02.2017

Morddrohungen von islamischen Extremisten als “ultimatives Statussymbol” zu bezeichnen ist zynisch.  Westergaard, Abdel-Samad et al. könnten Ihnen sicher davon berichten, wie solche Drohungen ihr Leben -sagen wir mal- “verändert” haben.

Paula Winterwind / 02.02.2017

Warum wird in den zitierten Vorschriften eigentlich immer die weibliche Form zuerst genannt? Ich dachte, die Geschlechter seien gleichberechtigt? Müsste da nicht eine 50% Männervorne - Klausel in die Gesetzgebung eingeführt werden? Oder gilt die Erstnennung des Weiblichen als feministisches Statussymbol

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Grell / 17.01.2021 / 15:00 / 41

Wann hatten die Deutschen Gelegenheit, Demokratie zu lernen?

Wann hatten wir in Deutschland eigentlich Gelegenheit, Demokratie zu lernen? Nach dem Antritt des neuen Jahrhunderts, ein Jahrzehnt nach der Französischen Revolution, riet Friedrich Schiller…/ mehr

Rainer Grell / 20.12.2020 / 13:00 / 19

Meine Buch-Klassiker für Weihnachten

Erinnern Sie sich noch an Ulrich Roski (gest. 2003), diesen wunderbaren Liedermacher und Kabarettisten aus dem Wedding, der sich in seinem Lied „Schenken macht Freude“…/ mehr

Rainer Grell / 06.09.2020 / 16:30 / 7

Homeoffice – da war doch was…

Vor 25 Jahren schrieb ich einen Artikel über „Telearbeitsplätze in der Landesverwaltung Baden-Württemberg: Bilanz eines gescheiterten Projekts“. Falls Sie mir nicht glauben: Hier ist der Beweis.…/ mehr

Rainer Grell / 21.03.2020 / 10:00 / 12

Was mir in diesen Tagen so durch den Kopf geht

Randnotizen eines (mehrfach) Gefährdeten – glücklicherweise weder aus der Matratzengruft (Heine) noch aus dem Kellerloch (Dostojewski). Ein liebes Kind hat viele Namen, sagen die Finnen…/ mehr

Rainer Grell / 13.12.2019 / 10:00 / 1

„Mit Bildern Partei ergreifen“: Zum Todestag von Sabine Hoffmann

Am 13. Dezember 2016 starb in Stuttgart die Bildende Künstlerin Sabine Hoffmann. Sie wurde 90 Jahre alt. Für sie gilt der Satz von Ambrose Bierce…/ mehr

Rainer Grell / 17.11.2019 / 13:00 / 17

Die Wiedergutmacher

Sensible Zeitgenossen, die unter dem „Novemberblues“ leiden, sollten sich vielleicht überlegen, ob sie sich „im traurigen Monat November“ mit Raymond Unger auf die Reise durch…/ mehr

Rainer Grell / 22.04.2019 / 15:00 / 21

Das Dilemma der Religionskritik

Religion geht alle an, ob sie wollen oder nicht, die Gläubigen wie die Ungläubigen, weil sie ein zentrales Element jeder Kultur ist. Vor knapp zwei…/ mehr

Rainer Grell / 04.02.2019 / 16:00 / 0

Leichtes Sprache, schweres Sprache

“The awful German language“ (Die schreckliche deutsche Sprache), stöhnte Mark Twain 1880 in seinem äußerst amüsanten Essay, der zweisprachig für läppische 4,95 Euro von verschiedenen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com