Rainer Grell / 04.02.2019 / 16:00 / 0 / Seite ausdrucken

Leichtes Sprache, schweres Sprache

“The awful German language“ (Die schreckliche deutsche Sprache), stöhnte Mark Twain 1880 in seinem äußerst amüsanten Essay, der zweisprachig für läppische 4,95 Euro von verschiedenen Verlagen zu haben ist (hier kostenlos anzuhören), nachdem er mit seinem Freund Harris „bereits mehrere Wochen lang hart an unserem Deutsch gearbeitet“ hatte.

Diese Klage muss wohl an das Ohr von „KLAR & DEUTLICH“, der „Agentur für Einfache Sprache“ gedrungen sein, denn sie „wendet sich an Menschen mit niedrigen Lesefähigkeiten. Das sind zum Beispiel: funktionale Analphabeten, Menschen mit geringer Bildung oder Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch.“ Also gerade richtig für Leute wie Mark und Harris. Und weiter erfahren wir: „Etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland brauchen Einfache Sprache.“ Das sind rund 33,12 Millionen Menschen. Was für ein Markt!

Einfache Sprache ist nicht zu verwechseln mit „Leichter Sprache“. „Leichte Sprache ist für Menschen gedacht, die nur mit sehr großer Mühe lesen können. Oder für Menschen, die kaum Deutsch können. Also zum Beispiel für Menschen mit einer Lernschwäche oder für Menschen, die gerade erst anfangen, Deutsch zu lernen.“ KLAR & DEUTLICH schätzt, dass etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland Leichte Sprache brauchen. Das wären etwa 4,41 Millionen.

„Leichte Sprache“, so erfahren wir bei Wikipedia, „ist eine speziell geregelte einfache Sprache. ... Das Regelwerk wird von dem seit 2006 bestehenden Netzwerk Leichte Sprache (Verein seit 2013) herausgegeben.“

„Inbegriff von Herablassung“

Eine Einrichtung, die sich Leichter Sprache bedient, ist die Wochenzeitung „Das Parlament“. So wird zum Beispiel in Ausgabe 100 „Staats-Schulden“, in 101 „Werbe-Verbot für Abtreibungen“ und in 102 „Gewalten-Teilung“ erklärt. Aber Achtung: Wer Ausgabe 101 anklickt, bekommt „Demos in Chemnitz“ „Rechts-Extreme gehen auf die Straße“ angeboten (jedenfalls bei meinem Abruf am 3. Oktober 2018). Auf diese Ausgabe ist die Welt-Journalisten Susanne Gaschke (kurzzeitige Oberbürgermeisterin von Kiel) gestoßen und hat sich am Tag 194 nach der GroKo dazu wie folgt geäußert:

Die Redaktion der ‚Sendung mit der Maus‘ zeigt seit 47 Jahren, wie man komplizierte Sachverhalte so darstellt, dass auch Kinder sie verstehen können. Sie ist dabei nie herablassend, nie respektlos gegenüber ihren Zuschauern und nie grausam gegen die Grammatik.

Die ‚Parlament‘-Beilage [101] hingegen ist der Inbegriff von Herablassung. Sie drückt komplizierte Dinge nicht einfach, sondern dumm aus.“

Fazit von Gaschke: „Die abstrakt-dozierende ‚Parlament‘-Beilage regt diejenigen auf, für die sie nicht gemacht ist, und dürfte an all jenen vorbeigehen, die sie politisch bilden will.

Diese Äußerung hat wiederum die langjährige Bundesgesundheitsministerin MdB Ulla Schmidt (SPD) in ihrer Eigenschaft als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe aufgeregt und zu einem Leserbrief an die „Welt“ veranlasst, der am 2. Oktober 2018 in der Druckausgabe veröffentlicht wurde. Darin bedauert sie zunächst, dass Gaschke, die bereits im September 2016 das Konzept der Leichten Sprache kritisiert habe, sich zwischenzeitlich offenbar nicht intensiver damit befasst habe. Im Gegensatz zu Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der das Manuskript seiner Rede zum 60. Jubiläum der Lebenshilfe am 28. September 2018 schon vorab in Leichte Sprache habe übersetzen lassen (wer sie nachlesen möchte, kann das hier tun). In seiner Rede habe der Bundespräsident betont: „Ich kann allen, die Reden und Vorträge halten, nur empfehlen, das auch einmal auszuprobieren – denn man lernt selbst eine Menge darüber, wie man seine Sprache verständlicher machen kann.“

Ist die „leichte Sprache“ nur ein Vorspiel?

Es ist heutzutage viel von „gespalten und ausgegrenzt“ die Rede. Auf die Idee, dass genau dies durch Leichte Sprache geschieht, ist offenbar noch niemand gekommen. Oder ist das nur das Vorspiel für die große Nummer, dass nur noch politisch korrekt handelt, wer sich in leichter Sprache ausdrückt.

Wohin das führen kann, meldeten die Kieler Nachrichten am 5. April 2017: „Leichte Sprache verschreckt Wähler“.

„Erstmals in der Landesgeschichte ist die Wahlbenachrichtigung in sogenannter leichter Sprache formuliert: Angesprochen werden auch Menschen, die nur über geringe Sprachkompetenzen verfügen.

Entsprechend verwendet das zweiseitige Schreiben kurze Sätze und koppelt zusammengesetzte Wörter konsequent mit Bindestrich. Der Landtag wird zum Land-Tag, der Familienname zum Familien-Namen und die Postleitzahl zur Post-Leit-Zahl. Bei manchem Empfänger löst das Irritationen aus.“

Keine Sorge. Das legt sich bald. Ist alles nur eine Frage der Gewöhnung. Oder haben Sie etwas gegen Inklusion? Doch was wird am Ende aus der Gesellschaft für deutsche Sprache, die „allen helfen [will], die in sprachlichen Fragen Rat brauchen“? Wer bei Einfacher oder Leichter Sprache noch Rat braucht, dem dürfte kaum noch zu helfen sein.

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