Fabian Nicolay / 30.01.2022 / 10:00 / Foto: Ich / 54 / Seite ausdrucken

Die Kirche der Politik-Prediger

Der Unterschied zwischen Glauben und Wissen ist, dass der Glaube das Wissen wie einen Mantel tragen kann. Wer glaubt, vergisst gern, dass er eigentlich nichts weiß. Denn der Glaube, vor allem der frenetische, ersetzt das Wissen und färbt sich selbst zu einer Wissenschaft ideologischer Art. Das macht stark. Während der Wissende nichts mehr glauben wird, außer, dass sein leises Wissen zu gering ist, um vor dem lauten Glauben – der bekanntlich Berge versetzen kann – Bestand zu haben. Echtes Wissen bedeutet Schwäche, denn ihm wohnt der Zweifel inne. Und wer sagt, dass Wissen Macht ist, spricht eigentlich über das Werkzeugwissen, das die Macht erst ermöglicht, nicht aber über das Wissen an sich. 

Wer ein Zweifler vor dem Herrn ist, der kann keine Macht ausüben. Da ist er also wieder: Der Glaube an sich selbst und jene Berufung, die auch der Glaube an die eigene Macht ist. Ihr Begleiter ist das unehrliche Wissen, folglich die gekaufte Expertise, die gefälschte Statistik, die bürokratisch kontrollierte Wissenschaft und die willfährige, journalistische Berichterstattung. Allesamt sind Instrumente der Machtausübung und Voraussetzung für die erfolgreiche Hyperventilation des als Wissen betriebenen Glaubens. 

Vorsintflutlich anmutende Aggressionsmuster

Die letzten 24 Monate haben wir in unserer als aufgeklärt geltenden, westlichen Welt ein Paradox erlebt. Ein propagandistischer Feldzug gegen die abwägende Vernunft hat tektonische Verwerfungen tief in der Gesellschaft hinterlassen. Aus ihnen stiegen vorsintflutlich anmutende Aggressionsmuster und ein mittelalterlicher Glaubenseifer nach oben, lanciert durch politische und medizinische Prediger. Viele Mitmenschen sind noch immer befangen von diesem Glauben, der ihnen eine Kerze in der Dunkelheit war. 

Wenn nun langsam Licht ins Dunkel tritt und die Schäden der kopflosen Politik zutage treten, wird diesen Menschen ein Horror Vacui gewahr, jene Angst vor dem Nichts und dem nicht (mehr) wissen. Psychologisch ist das ein haltloser Zustand. Nun will man vor allem nichts davon wissen, dass das Wissen unecht, der eigene Glaube an die Ernsthaftigkeit der Politik ein falscher war. Wer will sich das schon eingestehen, ein Spielball der Macht geworden zu sein, ein Mitläufer, Opfer und naiver Konsument eines gefährlichen Experiments?

Narzissmus, Falschbehauptung, Machtanspruch. Das sind die Biwak-Stationen einer politischen Gipfelexpedition, in deren dünner Luft der Glaube und das Wissen einer schicksalhaften Umdeutung und Instrumentalisierung unterzogen worden sind. Begrifflich verschmolzen sie bereits in den Bannwäldern politischen Denkens, fanden ihren Weg in Parteiprogramme, wo sie zum schamlosen Hochamt erkoren wurden, treten mit gespaltenen Zungen aus Parteivorsitzenden, Ministern und Interessensvertretern und lassen nun die Bürger erschauern vor der Weltfremdheit der führenden Gestalten. Denn sie sind fast alle nackt. Vor allem nackt an echtem Wissen, im Delirium ihrer Gefallsucht, ohne Demut, eigentlich arm an Geist. Die Gipfelstürmer sind nach oben geklettert, ohne das Wetter zu beobachten. Wo zuvor verordnete Klarheit herrschte, ziehen nun dunkle Wolken auf. Panik kommt auf, der Weg ins Tal ist ungewiss und die Seilschaft zerstritten. Letzte theatralische Appelle an die Geschlossenheit helfen nicht: Ein Ende der „Maßnahmen“ und Freiheitsbeschränkungen ist unumgänglich. Die Impfpflicht verkommt zur Farce ausgepowerter Expeditionsteilnehmer.

Wetteiferndes, anthropozentrisches Artefakt

Unehrliches „Wissen“ hat eine geringe Halbwertszeit. Es ist ein Element, das kurz und hart strahlt, aber leicht zerfällt. Dann ist auch der Glaube hin. Und mit ihm vergeht der Glaube an die Zukunft der Arbeit, der Freiheit, der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Ideale, der Demokratie und an solche altmodischen Attribute wie Rechtschaffenheit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Verbindlichkeit und Einsicht. Die Bürger sind nicht nur enttäuscht. Viele fühlen sich verschaukelt und betrogen und werden Schuldige suchen.

Am schlimmsten finde ich die Mitläufer, die Beflissenen und eilfertigen Anbiederer aus den Reihen der „Glaubens-Profis“. Gott hat sie anscheinend nicht berufen, sondern der steuereintreibende Staat, der sie alimentiert und dessen Lied sie singen. Denn anders als die Politiker, die ohnehin unter Generalverdacht stehen und allesamt „auf Bewährung“ vorverurteilt sind, tun diese „Zeitgeistlichen“, als „stünden sie hier und könnten nicht anders“, als seien sie heroische Sprachrohre einer neuerweckten Klima-, Corona- und Weltrettungskirche, die eine Zeitenwende ausruft. 

Diese neugefasste Kirche hat sich als ein wetteiferndes, anthropozentrisches Artefakt über das empathische Gebäude des Christentums gestülpt, das nach außen Modernität herbeilächelt, aber nach innen maliziös den Glauben an Gott auffrisst. Es entsteht eine neue verweltlichte Kirche, die eine heidnisch-kultische Versessenheit um den Untergang und die Schöpfungsbewahrung betreibt und als politischer Agitator auftritt. Es fühlt sich unangenehm an, die eigenen Steuergelder an NGO-Kirchen zu verplempern, die uns einreden wollen, dass Jesus zu Pontius Pilatus gegangen wäre, um sich boostern zu lassen.

Heiliger als der eigene Glaubensanspruch

Die Kirchen-Obrigkeit redet der Politik das Wort, schmeißt sich also zeitgeistig agierenden Machthabern an den Hals. Sie nimmt Ausgrenzung und Diskriminierung bewusst in Kauf, anstatt die Unschuldigen aller Couleur in Schutz zu nehmen. Eigentlich soll die Kirche gerade für die Schwachen und Benachteiligten da sein, auch wenn ihr deren Meinungen nicht passen. Es ist ihr Auftrag, sich vor diejenigen zu stellen, die den übergriffigen Staat fürchten, aber nicht eine herbeigeredete Pandemie. Sie hat auch nicht darüber zu befinden, was medizinisch und politisch für Gläubige und Nichtgläubige angezeigt ist, denn ihre Domäne ist nicht das Verhandeln des Wissensstandes, sondern der Abgleich der Wirkung gesellschaftlicher Entwicklungen mit den ethischen Veranlassungen des Glaubens. Die Kirche darf sich dann natürlich einmischen, aber nicht auf Kosten von Teilen ihrer Schäfchenherde. Leider hat auch die Kirche ein Problem mit Meinungsfreiheit, das macht sie ja so anschlussfähig für die derzeit praktizierte Politik.

Und genau da sind wir nun angekommen: In die Phalanx der Politik-Prediger reihen sich nun noch die Glaubens-Profis ein, um das Konglomerat aus Wissen und Glauben gemäß „weltlicher“ Vorgaben wie eine x-beliebige NGO zu vertreten. Sie finden es richtig, wenn Menschen gezwungen werden sollen, sich impfen zu lassen. Dem politischen Auftrag folgend, haben die Kirchenoberen ihren ureigenen vergessen. So kommt es, dass die deutsche Staatskirche sich in den letzten zwei Jahren keineswegs gegen die verheerenden Folgen eines unethischen Pandemie-Managements stellte. Aufgrund der Restriktionen hatte man in den Altenheimen und Hospizen keinen Trost spenden und den Segen erteilen können, weil das staatlich verordnete Kontaktverbot heiliger war als der eigene Glaubensanspruch. Lieber beugte man sich unter dem Segen der Pandemie-Paniker, statt dagegen vorzugehen, dass Sterbende in den Kliniken von ihren Verwandten isoliert wurden und einsam in ihren intensivmedizinischen Kokons verendeten. Hier hat die Kirche nicht nur versagt, sondern mitverschuldet.

Es fühlt sich an, als verleugnete die Kirche die Ideale ihres Herrn Jesus, der die Schwachen und Ängstlichen tröstete, zu den Leprakranken ging, den Niedrigen die Füße wusch und die Behinderten heilte. Er schloss niemanden aus. Aber genau das tun heute seine „Würdenträger“, die sich auf ihn berufen – neben all den anderen krassen Verfehlungen, die aktuell aufgedeckt werden. Jesus hätte die Ungeimpften und „Coronaleugner“ in seine Kirche gelassen und die Kinderschänder rausgeschmissen.

Dieser Text erschien zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den sie hier kostenlos bestellen können.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Roland Stolla-Besta / 30.01.2022

@Michael Müller   Ich stimme Ihrem Kommentar absolut zu. Dennoch erscheint mir das Problem der katholischen Kirche zu sein: sie sieht sich als von Christus gegründet, wird aber von Menschen geführt, die alle Größen und Schwächen haben wie wir alle. In der Geschichte des Christentums gab es große Geister, Denker und Heilige, jedoch auch geradezu Verbrecher. Und doch hat auch Herr Ratzinger trotz seines beschämenden Versagens tiefe Gedanken in etlichen seiner Schriften niedergelegt, die mich u.a. vor bald 30 Jahren veranlaßten, wieder in die katholische Kirche zurückzukehren. Und ich bleibe dabei. Gerade jetzt, denn ich hoffe sehr, daß die Oberen endlich die Lehre aus diesem selbstverschuldeten Desaster ziehen! Im übrigen: auch unseren Polit-Hanseln sieht man über ihr Vertuschen und lockeren Umgang mit der Wahrheit schon mal großzügig hinweg. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Gregor Kühn / 30.01.2022

@Sirius Belt: Geht’s nicht etwas differenzierter? Wieviele Kirchenoberen und Kirchenunteren kennen sie denn so gut, dass sie mit solchen Allgemeinverurteilungen um sich werfen dürfen? Ihr Kommentar ist mir als Nichtkirchenmitglied um einiges zu platt

Christoph Horrix / 30.01.2022

Die Haltung der Kirche kann man gut bei Dostojewski, Der Grossinquisitor nachlesen. Jesus wird nicht mehr gebraucht und soll verschwinden. Ich habe schon einige kennengelernt, die jetzt nach Jahrzehnte aus der Kirche ausgetreten sind.

Karla Kuhn / 30.01.2022

Sicher, DIRK JUNGNICKEL, habe ich davon “gehört”, Bonhoeffer wurde sogar im UNRECHTSSTAAT genannt und stellen Sie sich vor, auch sein Gedicht “Von guten Mächten….” was er vor seiner Hinrichtung geschrieben hat,  ist mir bekannt, tragischerweise kurz vor der Befreiung von den Nazis.  Diese beiden und noch andere kritische Geister sind nun mal die Ausnahme !! In der Regel waren die meisten “GOTTESDIENER” immer die Unterdrücker und Ausbeuter. Ich brauche keine Kirche,  um an GOTT zu glauben. Was die “karitativen Leistungen” betrifft , die können auch nur mit der KIRCHENSTEUER der Gläubigen geleistet werden. Oder glauben Sie wirklich, der ENORME Reichtum des Vatikans (WARUM besitzt der ein EIGENS FINANZAMT??) wird dazu benutzt ? Hören Sie bitte auf ,mir etwas zu unterstellen. Oder sind Sie etwa mit den SCHANDTATEN der KIRCHE, mit denen sie seit Jahrhunderten das Volk geknechtet und ausgebeutet hat, einverstanden ? Eine HEBAMME wurde, wenn das Kind bei der Geburt gestorben ist , als HEXE verbrannt. Aber das ist “harmlos” gegenüber dem, was die INQUISITIONEN angerichtet haben. Die Rückständigkeit der Kirche (Geschiedene dürfen nicht mehr mit “Gottes Segen” heiraten etc. ) Das Gebaren mancher Bischöfe, , jetzt wieder das anbiedern vieler “Diener” an den CORINASTAAT. Sie sehen “Ihre ” Kirche so, ich sehe das Gebaren der KIRCHE SO! Da sollte sich jede Diskussion erübrigen, abgesehn davon,  Sie müssen meinen Text betimmt nicht “AUFWERTEN”

A. Iehsenhain / 30.01.2022

Weise Worte, Herr Nicolay! Bei diesbezüglicher Betrachtung des Fegefeuers von St. Egid in Klagenfurt stelle ich fest, dass die Purgation für etliche Kirchenfürsten und ihre Getreuen wohl eine Reise ohne Wiederkehr wäre.

Kurt Engel / 30.01.2022

Der letzte Satz: Chapeau!

Ludwig Luhmann / 30.01.2022

“Wenn nun langsam Licht ins Dunkel tritt und die Schäden der kopflosen Politik zutage treten (...)” - Kopflos ist nur der, der die Politik unserer Unterdrücker für “kopflos” hält.

Dirk Jungnickel / 30.01.2022

Danke, Dirk Grote, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Wobei “undifferenziert”, was hier teilweise abgelassen wird , eher euphemistisch ist. Frau Kuhn, Sie tun sich besonders hervor, ohne zu differenzieren. Natürlich haben sich Kirchenfürsten immer der Macht angebiedert. Bis heute. Aber von Dietrich Bohoeffer oder Paul Schneider werden Sie doch schon gehört haben.  Und von der Bekennenden Kirche hoffentlich auch. Ab Kriegsbeginn riskierte man sein Leben, wenn man seinen Glauben öffentlich lebte und nicht den Deutschen Christen angehörte. Luther hat die korrumpierte Papstkirche bekämpft und erneuert. Wenn Sie das als “Knüppelwerfen” bezeichnen, muß ich Sie der Ahnungslosigkeit bezichtigen. UND: Wenn Sie von Ihren “Framing” herunter kämen, dann würden Sie vielleicht bemerken, was Kirche bei aller berechtigter Kritik an karitativen Leistungen vollbringt. @Ralf.Michael -  Eigentlich wollte ich noch auf Ihren “Kommentar” eingehen, aber damit würde ich ihn nur unnötig aufwerten.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Fabian Nicolay / 06.04.2024 / 06:00 / 56

Grüne Pickelhauben und das Getrampel der 20.000

Ich gestehe: In puncto Artenschutz schlägt mein Herz schon immer „grün“. Ich hatte als Kind das Glück, mich jeden Tag in der freien Natur aufhalten…/ mehr

Fabian Nicolay / 23.03.2024 / 06:00 / 51

Alles andere als demokratisch

Eigentlich soll die Politik nur die Rahmenbedingungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung schaffen. Wir erleben aber eine zunehmend übergriffige Vereinnahmung staatlicher Institutionen durch Parteien. So…/ mehr

Fabian Nicolay / 20.01.2024 / 06:15 / 126

Szenischer Schauprozess für rechte Langeweile

Das sogenannte Potsdamer „Geheimtreffen“ wurde im Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht. Die Zuschauer sind sich nicht gewahr, dass sie dem deutschen Topos schlechthin verhaftet…/ mehr

Fabian Nicolay / 13.01.2024 / 06:00 / 110

Demonstrationsrecht nur für Gute, Doppelstandards und grünes Mimimi

Es ist nicht der Wunsch nach Umsturz, wie es Habeck und Co. weismachen wollen, sondern der Wunsch nach demokratischer Verwirklichung echter Alternativen im Gegensatz zu…/ mehr

Fabian Nicolay / 23.12.2023 / 06:00 / 62

Im Verhörzimmer der Gedankenpolizei

Unsere Aufgabe als Medium ist, dem gesellschaftlichen Treiben möglichst früh den Spiegel vorzuhalten und die politische Gemengelage stetig zu dokumentieren. Später wird man wissen wollen,…/ mehr

Fabian Nicolay / 16.12.2023 / 06:00 / 29

Zoon politikon: Die Kunst des Überlebens in unwirtlicher Umgebung

Auch die künftigen Archäologen der jeweiligen „Moderne“ werden ihre Funde unter dem Einfluss des Zeitgeistes betrachten. Wie werden sie wohl über die 20er-Jahre des 21.…/ mehr

Fabian Nicolay / 02.12.2023 / 06:00 / 102

Schneetreiben vor Gelächter

Die Regierungserklärung von Olaf Scholz war ein Offenbarungseid an Ideen- und Teilnahmslosigkeit. Zumindest entfleuchte er diese Woche vor dem gut besetzten Plenum erneut in das…/ mehr

Fabian Nicolay / 25.11.2023 / 06:00 / 112

Abwahl vor dem Jüngsten Klimatag

Die Umfragen lassen sich unmissverständlich als Forderung nach Rücktritt und Neuwahlen deuten, das Vertrauen der Wähler ist dahin. Allein die Protagonisten wollen keine Konsequenzen ziehen.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com