Zwei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima quält sich Deutschland mit seiner Energiewende. Im Rest der Welt erlebt die Atomkraft ein erstaunliches Comeback. Ist unser Ausstieg überhastet?
Zum zweiten Jahrestag der Katastrophe von Fukushima meldet die Internationale Atomenergiebehörde IAEA, was hierzulande niemand hören mag: Es gibt einen weltweiten Boom der Kernenergie. Nicht weniger als 66 neue Atomkraftwerke sind derzeit im Bau. Mit den 437 bestehenden wird damit die magische Marke von 500 Kernkraftwerken bald überschritten. Nicht nur die aufstrebenden Wirtschaftsgroßmächte Indien, China und Rußland investieren massiv, immer mehr Länder entscheiden sich für den Neu-Einstieg, darunter die Türkei, Polen, Bangladesh, Ägypten, Jordanien, Nigeria and Vietnam. Selbst die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit dem Bau eines Atomkraftwerkes begonnen. Der japanische (!) IAEA-Generaldirektor Yukiya Amano resümiert: “Die Kernenergie ist ein globaler Wachstumsmarkt”.
Die deutsche Politik dachte vor zwei Jahren, als sie sich panikartig aus der Atomenergie verabschiedete, die Welt werde folgen. Nur atompolitische Geisterfahrer würden die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Nun zeigt sich, dass eher wir Deutschen die Geisterfahrer der globalen Energiepolitik sind. Selbst die neue japanische Regierung drängt zurück zur Atomkraft.
Die hastige Berliner Energiewende wirkt rückblickend wie eine einsame Kurzschlußreaktion. Sie funktioniert hinten und vorne nicht. Der Netzausbau stockt, Milliardensubventionen in alternative, aber unrentable Energien sind vergeudet, die Strompreise steigen dramatisch. Zugleich wird die Stromversorgung in Deutschland labiler, denn die irrwitzigen Einspeisesubventionen für Ökostrom zwingen inzwischen sogar die modernsten und saubersten Gaskraftwerke der Welt (etwa das Vorzeigewerk in Ingolstadt) zum Stillstand. Und da in der Not auch noch mehr Kohle verstromt wird, trübt sich sogar die Klimabilanz ein.
Damit ist die Energiewende in allen drei Zielen Sauberkeit, Sicherheit und Bezahlbarkeit bislang erfolglos. Die Politik reagiert auf das drohende Desaster mit planwirtschafltichem Aktionismus, man erfindet “Strompreisbremsen” wie “Zertifikatehandel” oder “Freikontingente” und hantiert an der sozialistischen “Netzgeldverordnung” herum, denn inzwischen entscheidet in Deutschland nicht mehr der Markt, sondern die Parteien über die Strompreise.
Das Kardinalproblem der Energiewende liegt im unnötigen Zeitdruck, den der Schnellaustieg aus der Kernenergie erzwingt. Die Schweiz – eines der wenigen Länder, das dem deutschen Ausstieg überhaupt folgt – ist klüger, wählt besonnene Restlaufzeiten und schadet damit den eigenen Interessen nicht so blindlings wie Deutschland.
Die Geisterfahrer-Situation wird dadurch grotesk, dass auch unsere unmittelbaren Nachbarn Frankreich, Tschechien und Polen ihre Atomanlagen ausbauen – wir also das direkte Sicherheitsrisiko mittragen müssen, den wirtschaftlichen Schaden unserer Abschaltungen aber alleine übernehmen. Schon jetzt sind die Strompreise in Deutschland um ein Drittel höher als in Frankreich. Obendrein fördern wir über EU-Hilfen die Atomindustrie bei den Nachbarn mit, weil Kernenergie als besonders klimafreundlich gilt.
Nun bedroht diese Energiewende zusehends ein Kraftzentrum der deutschen Wirtschaft – die energieintensive Industrie. Auch die Konzerne Eon und RWE waren internationale Bastionen technologischen und wirtschaftlichen Erfolgs. Jetzt taumeln sie jämmerlich einer Politik hinterher, die nicht danach fragt wie viele Arbeitplätze und Zukunftoptionen und Milliarden alleine bei diesen beiden Unternehmen schon vernichtet worden sind. Mehr als 50 Milliarden sind es inzwischen, die beide Unternehmen an Marktkapitalisierung verloren haben. Eine der größten Kapitalvernichtungen der deutschen Wirtschaftsgeschichte vollzieht sich, ohne dass sich in Berlin darüber irgend jemand sorgt.
In Frankreich hingegen meldet der führende europäische Atomtechnik-Konzern Areva glänzende Ergebnisse – der Umsatz ist auf 9,3 Milliarden Euro gestiegen, der Gewinn springt auf eine dreistellige Millionenhöhe. Die Grundlage dafür sei “das starke Wachstum beim Auftragseingang im Nuklearbereich”. Und in Deutschland ? Da wird Areva massiv Arbeitsplätze abbauen. Fazit: Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie mag richtig sein. Die stolpernde Flucht ist es nicht.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online