Fliegen ist für Menschen kein natürlicher Zustand, wie Lufthansa-Boss Carsten Spohr einmal so schön gesagt hat, aber es ist uns doch zu einer zweiten Natur geworden. In einer globalisierten Welt, in einer mobilen Gesellschaft gehört Lufttransport zur Normalität. Nun gehört auch vieles andere zur Normalität, und wir werden uns dessen meist erst bewußt, wenn diese Normalität gestört wird. Von einem intellektuellen Standpunkt aus ist das zweifelsohne zu begrüßen; man soll sich das Dasein immer so denken, wie es gerade nicht ist.
Blicken wir also durch die Brille der Negation auf unseren Alltag: Strom- und Wasserversorgung sind zivilisatorische Selbstverständlichkeiten; ein Ausfall selbst für wenige Stunden bringt alles durcheinander. Wir erwarten auch, daß die Polizei kommt, wenn wir sie rufen, und uns beschützt, wenn es nötig ist; täte sie das nicht, wäre der Staat als solcher in Gefahr. Genauso ist der Verkehr zu einer Grundbedingung des modernen Lebens geworden, auch der Luftverkehr. Wir erwarten von einem Linienflug kein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, sondern daß die Maschine pünktlich startet und landet. Wir müssen uns darauf verlassen können, denn die ganze Fliegerei beruht in hohem Maße auf Systemvertrauen.
Natürlich sind kleine und große Zwischenfälle niemals auszuschließen, aber hinnehmbar sind solche Zwischenfälle nur als Zufälle. Das heißt, nur wenn die Verkehrsstörung nicht absichtlich herbeigeführt wird, können und müssen wir uns damit abfinden. Das sehen manche Angehörige einiger Berufsgruppen allerdings anders: Flugbegleiter, Piloten, Fluglotsen, Sicherheitspersonal – sie alle haben schon durch Streikmaßnahmen den Flugbetrieb lahmgelegt, weil sie mehr Gehalt, längere Ferien, höhere Rente, andere Verträge oder größere Zukunftsgewißheit in einer von Umbrüchen gebeutelten Branche verlangen, alles akzeptable Anliegen, denen sie jedoch auf eine Weise Nachdruck verleihen, wie es andere Berufsstände nicht vermögen.
Heutzutage gehört der Lufttransport zur Grundversorgung.
Es ist ja nicht so, daß die Angestellten in den Wasserwerken mehr verdienen würden als Flugbegleiter oder daß ihr Job weniger verantwortungsvoll wäre. Sie dürfen der Bevölkerung bloß nicht zum Zweck der öffentlichen Aufmerksamkeitserregung einfach das Wasser abdrehen. Das Streikrecht hat schon immer seine Grenzen dort gefunden, wo statt der betroffenen Unternehmen die Allgemeinheit übermäßig in Mitleidenschaft gezogen oder in Gefahr gebracht wird. Es ist eben etwas anderes, seinem Arbeitgeber einen Denkzettel zu verpassen oder prinzipiell Unbeteiligte als Geiseln zu nehmen.
In einer sich verändernden Welt muß man auch die Modalitäten des Streikrechts gelegentlich rechtsphilosophisch und staatspolitisch neu durchdenken. Zu diesen Veränderungen gehört, daß der Luftverkehr von einem Luxusprodukt zu einem Grundrecht geworden ist. Manch einer muß einen Termin wahrnehmen, der für sein persönliches, berufliches oder geschäftliches Fortkommen essentiell ist, ein anderer kann einen im Sterben liegenden Familienangehörigen nur per Flugzeug noch ein letztes Mal sehen – wie lassen sich denn solche Reisemotive mit der Arbeitsrechtsfolklore des Airline-Personals ethisch überein bringen?
Es geht also wahrhaftig um Ethik, nicht bloß um Tarifverhandlungen. Denn es ist einfach unethisch, eine gewerkschaftliche Forderung mit schicksalsartiger Gewalt auszustatten. Selbstverständlich muß jeder Reisende gewärtig sein, daß Terroranschläge, Vulkanausbrüche oder sonstige Formen von höherer Gewalt seine Planungen über den Haufen werfen. Die Flugbegleiter aber spielen höhere Gewalt, sie gebärden sich selbst als Katastrophe. In dieser Arroganz liegt der eigentliche Mißbrauch ihrer Sonderstellung, und dieser Mißbrauch sollte – wie bei der Notbremse, die jemand mutwillig zieht – verboten sein.