Burkhard Müller-Ullrich / 23.11.2016 / 08:08 / Foto: jimmyweee / 11 / Seite ausdrucken

Die Frechheit des Flugpersonals

Fliegen ist für Menschen kein natürlicher Zustand, wie Lufthansa-Boss Carsten Spohr einmal so schön gesagt hat, aber es ist uns doch zu einer zweiten Natur geworden. In einer globalisierten Welt, in einer mobilen Gesellschaft gehört Lufttransport zur Normalität. Nun gehört auch vieles andere zur Normalität, und wir werden uns dessen meist erst bewußt, wenn diese Normalität gestört wird. Von einem intellektuellen Standpunkt aus ist das zweifelsohne zu begrüßen; man soll sich das Dasein immer so denken, wie es gerade nicht ist.

Blicken wir also durch die Brille der Negation auf unseren Alltag: Strom- und Wasserversorgung sind zivilisatorische Selbstverständlichkeiten;  ein Ausfall selbst für wenige Stunden bringt alles durcheinander. Wir erwarten auch, daß die Polizei kommt, wenn wir sie rufen, und uns beschützt, wenn es nötig ist; täte sie das nicht, wäre der Staat als solcher in Gefahr. Genauso ist der Verkehr zu einer Grundbedingung des modernen Lebens geworden, auch der Luftverkehr. Wir erwarten von einem Linienflug kein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, sondern daß die Maschine pünktlich startet und landet. Wir müssen uns darauf verlassen können, denn die ganze Fliegerei beruht in hohem Maße auf Systemvertrauen.

Natürlich sind kleine und große Zwischenfälle niemals auszuschließen, aber hinnehmbar sind solche Zwischenfälle nur als Zufälle. Das heißt, nur wenn die Verkehrsstörung nicht absichtlich herbeigeführt wird, können und müssen wir uns damit abfinden. Das sehen manche Angehörige einiger Berufsgruppen allerdings anders: Flugbegleiter, Piloten, Fluglotsen, Sicherheitspersonal – sie alle haben schon durch Streikmaßnahmen den Flugbetrieb lahmgelegt, weil sie mehr Gehalt, längere Ferien, höhere Rente, andere Verträge oder größere Zukunftsgewißheit in einer von Umbrüchen gebeutelten Branche verlangen, alles akzeptable Anliegen, denen sie jedoch auf eine Weise Nachdruck verleihen, wie es andere Berufsstände nicht vermögen.

Heutzutage gehört der Lufttransport zur Grundversorgung.

Es ist ja nicht so, daß die Angestellten in den Wasserwerken mehr verdienen würden als Flugbegleiter oder daß ihr Job weniger verantwortungsvoll wäre. Sie dürfen der Bevölkerung bloß nicht zum Zweck der öffentlichen Aufmerksamkeitserregung einfach das Wasser abdrehen. Das Streikrecht hat schon immer seine Grenzen dort gefunden, wo statt der betroffenen Unternehmen die Allgemeinheit übermäßig in Mitleidenschaft gezogen oder in Gefahr gebracht wird. Es ist eben etwas anderes, seinem Arbeitgeber einen Denkzettel zu verpassen oder prinzipiell Unbeteiligte als Geiseln zu nehmen.

In einer sich verändernden Welt muß man auch die Modalitäten des Streikrechts gelegentlich rechtsphilosophisch und staatspolitisch neu durchdenken. Zu diesen Veränderungen gehört, daß der Luftverkehr von einem Luxusprodukt zu einem Grundrecht geworden ist. Manch einer muß einen Termin wahrnehmen, der für sein persönliches, berufliches oder geschäftliches Fortkommen essentiell ist, ein anderer kann einen im Sterben liegenden Familienangehörigen nur per Flugzeug noch ein letztes Mal sehen – wie lassen sich denn solche Reisemotive mit der Arbeitsrechtsfolklore des Airline-Personals ethisch überein bringen?

Es geht also wahrhaftig um Ethik, nicht bloß um Tarifverhandlungen. Denn es ist einfach unethisch, eine gewerkschaftliche Forderung mit schicksalsartiger Gewalt auszustatten. Selbstverständlich muß jeder Reisende gewärtig sein, daß Terroranschläge, Vulkanausbrüche oder sonstige Formen von höherer Gewalt seine Planungen über den Haufen werfen. Die Flugbegleiter aber spielen höhere Gewalt, sie gebärden sich selbst als Katastrophe. In dieser Arroganz liegt der eigentliche Mißbrauch ihrer Sonderstellung, und dieser Mißbrauch sollte – wie bei der Notbremse, die jemand mutwillig zieht – verboten sein. 

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Waldemar Undig / 23.11.2016

Ab einer gewissen Gehaltsklasse sollten Streiks verboten sein. Streiks wurden damals erfunden, um das Überleben zu sichern und nicht, um gegen Tarif-Ungerechtigkeiten vorzugehen. Natürlich dürfen Arbeitnehmer für ihre Interessen eintreten. Dies sollte aber so geschehen, dass nicht gleich die halbe Wirtschaft lahmgelegt wird, nur weil man sich nicht schnell genug mit der Arbeitnehmerseite geeinigt hat.

Jochen Ehrenfeld / 23.11.2016

Guten Tag, Ihrem Artikel muss ich vehement widersprechen. Ich selbst bin in der Luftfahrtbranche beschäftigt und kann Ihrer These, der Luftverkehr sei eine bürgerliche “Grundversorgung”, nicht teilen. Zunächst einmal ist er schlicht und ergreifend ein Transportmedium wie Bus und Bahn, nicht mehr und nicht weniger. Wenn sie also in einer schon anmaßend klingenden Aussage behaupten, man müsse das Streikrecht neu durchdenken, ist ihr Gedankengang zu kurz gefaßt, denn schließlich ist es das “freche Flugpersonal”, dass die Exzesse einer verrückt geworden Kaste namens “Management” ausbaden muss, und sich leider nicht anders zu helfen weiss als mit Arbeitskampf. Eine andere Möglichkeit haben wir leider nicht. Es würde sicherlich helfen, wenn man auf demokratische Weise den einen oder anderen Despoten in der Chefetage loswerden könnte, die zudem nicht im Stande sind auf Basis des Konsenses und der Kooperation mit der Belegschaft Lösungen zu finden. In der heutigen Zeit, so scheint es mir jedenfalls, ist jeder Manager auf Krawall gebürstet und sitzt Arbeitskämpfe gnadenlos auf zermürbende Art und Weise aus, gleichwohl der immensen Kosten die ein Streik mit sich bringt und das für beide Seiten. Getreu dem Motto: Welche Kasse ist zuerst leer, die Streikkasse oder das Streikbudget… Hauptsache in der Vorstandsetage muss man nicht nachgeben und verliert nur Geld und nicht sein Gesicht! Was für eine narzisstische und erbärmliche Haltung!

Heribert Müller / 23.11.2016

Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Sie tun ja gerade so, als ob die Lufthansa die einzige Fluglinie auf der Welt wäre. Es gibt da reichlich Mitbewerber, ich hab aber noch nichts von 3 Wasserleitungen und 3 Stromleitung in ein Haus gehört, die ich bei Bedarf wechseln könnte. Spinnt man die Gedankenkette weiter, sollten Sie in Zukunft auf 2/3 ihrer Entlohnung verzichten (Unterschied Gehalt LH KTV und Eurowings). Durch ihre wertvollen Beiträge nehmen Sie maßgeblich an der politischen Meinungsbildung teil, da kann man ethisch schon erwarten, dass sie zurückstecken.

Georg Dobler / 23.11.2016

Danke! Endlich hat es Jemand geschrieben. Der Gipfel von dem Ganzen fand statt als Bsirske noch als Arbeitnehmervertreter im Lufthansa-Aufsichtsrat saß und den Fraport bestreikte und der Lufthansa einen zweistelligen Millionenverlust bescherte oder noch besser, als er seine Mitarbeiter zum Streik gegen Lufthansa aufrief um nahezu gleichzeitig im kostenlosen 1.-Klasse-Flug mit Lufthansa Richtung Los Angeles - Südsee abdüste.

Elmar Knoll / 23.11.2016

Der Arbeitgeber hat allerdings auch kein Recht, die Anliegen seiner Mitarbeiter einfach zu ignorieren. Es sei denn, im Arbeitsvertrag steht: “Durch ihre Unterschrift sind sie entrechtet.” Im übrigen ist der verantwortungsvolle Mitarbeiter im Wasserwerk mit allerlei Privilegien ausgestattet, von denen ein Flugbegleiter nur träumen kann. Zum Beispiel Unkündbarkeit und Versetzung nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Mitarbeiters da in aller Regel Beamter. Nicht alles was hinkt, ist auch ein Vergleich, lieber Herr Müller-Ulrich. Im übrigen habe ich Probleme mit Begründungen aus dem Reich der Ethik, da diese darauf abzielen, die Rechte bestimmter Berufsgruppen, die einfach als billiger Jakob angesehen werden, obsolet zu machen.

Joachim Freitag / 23.11.2016

Guten Tag Herr Müller-Ullrich, sehr populär, was Sie da mit diesem Artikel fordern. Logisch aus der Sicht der Selbstbestimmung der Menschen ist es nicht. Recht ist nun einmal nicht etwas, was den Menschen in die Wiege gelegt wird, sondern wird von dritter Seite im Verhältnis zweier Parteien zueinander mit der Macht eben dieser dritten Seite gewährt. Was gefordert wird, wenn jemand “sein Recht” einfordert, ist nichts anderes als das der fordernde jenen Dritten dazu auffordert, den ihm zugebilligten Vorteil oder auch die ihm zugestandene Verhinderung eines Nachteils durchzusetzen. Hier gilt es in einem modernen, auf Gesetze basierenden Gesellschaftsleben eben abzuwägen. Man kann nicht alle Lebensumstände in Gesetzesform abbilden. Unser Streikrecht wurde von der Mehrheit als so wichtig eingestuft, das zahlreiche Gesetzte die Modalitäten regeln. Selbst Ärzte in Krankenhäusern steiken. Wenn man das Streikrecht also grundsätzlich bejaht, kann man nicht gleichzeitig die Einschränkung fordern, wenn eigene Interessen dadurch beeinträchtigt werden. Die moralische Keule (“unethisch”) zu schwingen hilft da nicht, sondern ist zutiefst unsachlich. Je nach Detaillierungsgrad kann man auf diese Weise alles menschliche Tun für “unethisch” erklären. Ich empfehle da einmal die Lektüre “Die Augen des ewigen Bruders” von Stephan Zweig, in der sehr schön auf dieses Dilemma aufmerksam gemacht wird. Das geforderte Verbot jedenfalls bringt nicht weiter, sondern schafft nur neue “Ungerechtigkeiten”. Statt also auf die Streikenden zu schimpfen sollte man vielleicht einmal darüber nachdenken, ob die vielen Gesetze, die die Gesellschaft zur Unterstützung von Streiks der “armen” Arbeiterschaft geschaffen hat, nicht vielleicht ein Irrweg sind.

Florian Bode / 23.11.2016

“daß der Luftverkehr von einem Luxusprodukt zu einem Grundrecht geworden ist.” Das kann man so sehen, aber dann dürfen nur noch die Mitarbeiter der HERMES- und Gucci-Boutiquen streiken?

Jonathan Weber / 23.11.2016

Sehr geehrter Herr Müller-Ullrich, wer das Transportwesen als “Grundversorgung” betrachten will, muss konsequenterweise ein von öffentlicher Hand gelenktes Arbeitsumfeld voraussetzen. Da Vater Staat im deutsche Flug-Transportwesen keine Aktien mehr besitzt und ihn den freien Kräften der Börse überlässt, sind Tarifverhandlungen und Streiks der Belegschaft als Ultima Ratio etwa so skandalös wie ein Donner, der dem Blitz folgt: Ein normaler Vorgang. Leider trifft es - und das haben wohl alle Streiks gemein - immer auch Menschen ohne direkte Beteiligung der firmeninternen Auseinandersetzung. Zu guter Letzt: Ihr stereotyp gezeichnetes Bild des nimmersatten Flugbegleiters, Piloten, Fluglotsen entspringt wohl ebenso schlechter Recherche wie die pauschale Klassifizierung der angeblich auf dem letzten Loch pfeifenden Branche. Mit Gruß, Jonathan Weber

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