Zwei Drittel der Deutschen sind mit ihr zufrieden. Angela Merkel erreicht mit der Eurokrise den Zenit ihrer Kanzlerschaft. Sie moderiert nicht mehr bloß, sie steuert Deutschland tapfer durch die Krise.
Sie ist so beliebt wie Franz Beckenbauer, der Sommerwind oder der Osterhase. Angela Merkel bekommt dieser Tage Zustimmungswerte, die sonst nur jenseits der Politik zu haben sind. Der ARD-Deutschlandtrend mißt 66 Prozent Zufriedenheit – das ist mehr als CDU/CSU und SPD in der Sonntagsfrage zusammen mobilisieren. Die große Mehrheit findet, dass sie Deutschland tapfer und klug durch Europas Schuldenkrise steuert. Selbst der zum Lob selten aufgelegte Altkanzler Helmut Schmidt preist – zum Ärger seiner SPD – ihr staatsmännsiches Geschick ungewöhnlich offen. Beide sind in ihrem norddeutsch-souveränen Pragmatismus ohnedies seelenverwandt.
Nun sind Krisenzeiten immer Kanzlerzeiten. Doch in ihrem Fall schätzen die Menschen über alle Parteigrenzen hinweg, dass sie nicht so testosterongesteuert ist wie ihr Vorgänger, dass sie selbst in hitzigen Phasen wilder Aggressionen besonnen bleibt und kühlen Kopf bewahrt.
Ihr Naturell entstammt nicht der wüsten Welt von Gefühlen, Pathos und Ressentiments. Ihr Wesen ist aus einem nordeutschen Klinkerbau erwachsen, kühl und schmucklos und rational und bescheiden. Sie ist in jeder Beziehung protestantisch. Das heißt, dass sie sich weniger durch das defininiert, was sie ist, als durch das, was sie nicht ist.
Bundeskanzlerin zum Beispiel ist sie lange gar nicht gewesen. Die Eurokrise erst hat Angela Merkel dazu gemacht. Davor war sie Darstellerin des Amtes, sie spielte politische Führung und also wechselte sie die Rollen und Meinungen. Sie wollte oder konnte nicht voran gehen, sondern entschied sich für eine politische Strategie des Moderierens. So wurde sie zur Meisterin von “liquid democracy” längst bevor die Piraten das zur Mode machten.
Man nannte sie wahlweise behutsam, opportunistisch oder präsidal. Sie rief sich selbst als “die Mitte” aus. Doch die Chamäleonphase der Merkelschen Regentschaft ist vorbei. Denn nun ist sie nicht mehr die große Abwarterin, nun ist wirklich Kanzlerin geworden. Ihre Geschmeidigkeit weicht einem entschiedenem Zug. Als habe sie im vergangenen Jahr bei Altmeister Helmut Kohl die Abendschule besucht, so agiert Merkel auf einmal zielstrebig, machtbewusst und europagestaltend.
Ihre Strategie, Politik als summierende Nachhutveranstaltung zu organisieren, wird auf den Kopf gestellt. Gelingt ihr das Manöver namens Geradlinigkeit und schafft sie es tatsächlich, Europa zusammenzuhalten und auf einen Pfad der langfristigen Sanierung zu führen, zugleich aber Deutschland vor der Ausplünderung zu schützen, dann wird sie eine große Kanzlerin.
In Europa sammelt sie hinter den Kulissen mehr Rückendeckung als man sieht. Die Skandinavier, die Balten, die Osteuropäer, Dänemark, Holland und Österreich stehen beim europäischen Merkelianismus an ihrer Seite. Irland, Portugal und Spanien folgen ihrem Kurs gequält, aber zusehends aus Einsicht. Nur Griechenland, Italien und vor allem Frankreich leisten offene Opposition.
Ihr eigentlicher Gegner heißt Francois Hollande. Denn der hat ein klares Antiprogramm zum Merkelianismus – er will den offenen Schuldensozialismus und die Enteignung deutscher Kapitalreserven.
Doch genau das ist die historische Chance von Angela Merkel. Sie wird ihm Widerstand leisten wie weiland Margaret Thatcher den Kontinetaleuropäern Widerstand geleistet hat – mit der gleichen Entschiedenheit, aber mit leiseren Tönen. Hollande beschert Merkel die Konstellation, dass sie eins werden kann mit dem nationalen Interesse Deutschlands und zugleich zur Verteidigerin Europas vor dem kollektiven Schuldensozialismus.
Die Deutschen spüren in diesen Tagen, dass sie draußen für ihr Land kämpft – ohne Europa zu verraten. Angela Merkel hat das shakespearhafte Drama, das sie nie gesucht hat. Und sie hat die Chance dem schillernden, trunkenen Europa einen Weg aus dem verhexten Sommernachtstraum zu weisen. Was ihr wollt, gilt nicht mehr. Was sie will, das gilt.