Thilo Sarrazin / 26.10.2023 / 12:00 / Foto: Achgut.com / 102 / Seite ausdrucken

Die Angst der CDU vor der AfD

Die deutsche Politik ist gegenwärtig weit davon entfernt, sich mit der Problematik des ungebremsten Zustroms über offene Grenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Schon das öffentliche Nachdenken über solche Fragen wird sanktioniert und moralisch bekämpft, und das ist Wasser auf die Mühlen der AfD.

Vergleicht man aktuelle Umfragen mit dem Ergebnis der Bundestagswahl im September 2021, so kommen zwei Parteien offenbar ganz ungeschoren davon: Mit 13 bis 15 Prozent für die Grünen und 4 bis 5 Prozent für die Linke liegen beide auf dem Niveau des letzten Wahlergebnisses. Ihre ideologisch gefestigten Anhänger scheinen ihnen so schnell nichts übelzunehmen.

Unter den Ampelparteien erfahren allein SPD und FDP dramatische Wählerverluste. Von denen kann die CDU/CSU allerdings kaum profitieren, bundesweit liegt sie bei 29 bis 30 Prozent. Das liegt am Aufstieg der AfD, die mittlerweile in allen Umfragen die zweitgrößte Partei ist und mit 21 bis 23 Prozent die SPD weit hinter sich gelassen hat.

Nach den gegenwärtigen Umfragen hätte nicht einmal eine ehemals „groß“ genannte Koalition aus Union und SPD im Bundestag eine parlamentarische Mehrheit. Solange die CDU/CSU selbst jede indirekte Duldung durch die AfD kategorisch ausschließt, sitzt sie in einer Falle. Dieses Verhalten war rational, solange man hoffen konnte, durch das eigene dezidiert vorgezeigte konservative Profil die AfD in den Augen ihrer Wähler überflüssig zu machen. Das wollte man in der Unionsführung nicht, lieber machte man der SPD in der linken Mitte Konkurrenz. So wurde die AfD (und in Bayern auch die Freien Wähler) immer stärker. Mittlerweile wählen in Bayern 30 Prozent rechts von der CSU, und bei der SPD ist nichts mehr zu stibitzen, weil diese in Bayern nur noch 9 Prozent der Wähler an sich bindet.

Alle gegen Merz

So wirken die Schwüre aus der Führung der CDU und der CSU, unter keinen Umständen jemals etwas mit der Unterstützung der AfD durchzusetzen, mit der Zeit immer verzweifelter, hilfloser und hohler. Nicht nur SPD und Grüne, sondern auch Funktionäre aus dem linken Flügel der CDU kritisieren mit Eifer Friedrich Merz, sobald dieser irgendetwas äußert, das AfD-Wählern unter Umständen gefallen könnte. 

Schon der elementare Hinweis aus dem Mund von Friedrich Merz, dass die Milliarden Euro, die allein die Gesundheitsversorgung der Asylbewerber kostet, an anderer Stelle im Sozialsystem fehlen, wurde kürzlich von seinen innerparteilichen Gegnern, von Grünen und SPD sowie vom öffentlichen-rechtlichen Rundfunk skandalisiert und moralisch abqualifiziert. Für den zögernden konservativen Wähler ist der dissonante Chor ein Bild der Schwäche, so enthält er sich lieber oder wählt die AfD.

Natürlich könnte man der AfD ganz einfach das Wasser abgraben. Man müsste sich zu einer Migrations- und Asylpolitik durchringen, die entschlossen die Grenzen sichert. Dazu müsste man alle nationalen und internationalen Verfahrensweisen und Regeln infrage stellen und gegebenenfalls ändern, die dem im Wege stehen. Das bedeutet Änderungen bei der Genfer Flüchtlingskonvention und bei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es bedeutet einen Stopp für staatlich subventionierte Schlepperdienste im Mittelmeer, und es bedeutet den Einsatz der Marine zur Sicherung der Seegrenzen im Mittelmeer. Die damit verbundenen Reformaufgaben sind objektiv sehr schwierig, denn es müssen viele Maßnahmen simultan erfolgen, um Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen. 

Wut und Mitleid mit Scholz und Baerbock

Die deutsche Politik ist gegenwärtig weit davon entfernt, sich mit der Problematik des ungebremsten Zustroms über offene Grenzen ernsthaft auseinanderzusetzen. Schon das öffentliche Nachdenken über solche Fragen wird sanktioniert und moralisch bekämpft, und das ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Der gegenwärtigen Asyl- und Migrationspolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien fehlt jedes realistische Konzept, wie man den anhaltenden Zustrom nach Europa und insbesondere nach Deutschland wirksam begrenzen und auswählend steuern kann. Man verspürt eine Mischung von Wut und Mitleid, wenn man sieht, wie hilflos Bundeskanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser in Berlin und in Brüssel bei Fragen von Asyl und Migration agieren. 

Bislang vergeblich ist aber auch das Warten auf konkrete alternative Konzepte aus der CDU/CSU. Die Union muss in der Migrations- und Asylpolitik endlich wissen, was sie will, dieses klar kommunizieren und öffentlich mutig vertreten. Dazu gehört, dass ihr der Gegenwind von Grünen und SPD sowie der zu erwartende Entrüstungssturm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunächst einmal egal sind, und dass ihre Führung das auch in den eigenen Reihen eindeutig durchstellt. Wenn man weiß, was man will, wird es auch politisch und sachlich leichter, mit einer Zustimmung durch die AfD richtig umzugehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zürcher Weltwoche.

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Dr. R. Möller / 26.10.2023

Wer heute noch CDU wählt, will den Bock zum Gärtner machen und hätte vermutlich auch 1949 noch eine „geläuterte“ NSDAP gewählt. Wem haben wir dieses Chaos und den Untergang zu verdanken? Und das die CDU jetzt verbal auf AFD Kurs einschwenkt, läßt mich dann doch lieben beim Original bleiben und hoffen, daß es zu seinem Wort steht.

Winfried Jäger / 26.10.2023

Bei aller Wertschätzung, für Ihren Mut gegen den Strom zu schwimmen. Wenn ich den Beitrag richtig verstanden habe, dann fordern Sie als SPD Mitglied, daß die CDU das vertreten soll, was die AfD vertritt. Bin verwirrt. Um der AfD den garaus zu machen, sollen deren Positionen übernommen werden? Mmh, da wähle ich doch lieber das Original, weil da aus Überzeugung und nicht aus taktischen Gründen argumentiert wird.

Markus Kranz / 26.10.2023

Wer Hamas/IS die Staatsbürgerschaft gibt & währenddessen über die AfD schimpft ist bestenfalls gefährlich, schlimmstenfalls bösartig. Sorry, aber Israel hat 8 Millionen Einwohner. 17 Millionen AfD Wähler, Meloni’s Mehrheiten, Le Pens Wähler, Trumps Wähler usw. sind so viele, dass sie nicht mehr um Demokratie, Vernunft & Sicherheit betteln müssen. Sie sind längst genug, um diesen lebensgefährlichen Unsinn nicht mehr länger mitzumachen. Der einzige Grund, wieso die Israelis überhaupt noch leben, ist, dass sie 1948 einen Staat ohne die damaligen Vorläufer von Hamas & IS aufgemacht haben. & exakt dasselbe sollten die Europäer/Konservativen auch machen.

Werner Arning / 26.10.2023

Dieser Zustrom geschieht ja nicht zufällig. Dahinter stehen ja konkrete Interessen und Pläne. Interessen und Pläne von bestimmten Leuten, die vermutlich mit den Grünen, aber auch mit einem Friedrich Merz gut können und diese möglicherweise als ihre Interessenvertreter auserkoren haben. Merz würde deshalb wahrscheinlich auch eher den Grünen zuneigen als der AfD, denn man will ja niemanden vergraulen. Die Brandmauer zur AfD muss stehen, denn deren Ziele sind nicht kompatibel mit der derzeit durchgeführten Politik. Und diese wird, trotz mancher patziger (werbeträchtiger) Einwürfe von Merz, die so ernst gemeint jedoch nicht sein dürften, von der CDU/CSU unterstützt.

Georg Andreas Crivitz / 26.10.2023

Um überhaupt ansatzweise glaubhaft zu sein, müsste sich die CDU zunächst ganz klar von Merkel und ihrer Politik der offenen Grenzen distanzieren und damit Fehler einräumen. Das wird nicht zu erwarten sein; stattdessen gibt’s Orden für Merkel. Dann haben wir neben der katastrophalen Migrationspolitik noch viele weitere Felder, die dringend in Angriff genommen werden müssten. Dazu gehört die gescheiterter Energiewende, die Verkehrspolitik, die Finanzpolitik usw. Ich denke, das wird nichts mehr mit der CDU.

J. Harms / 26.10.2023

Aus dem Werdegang oder sollte man besser sagen Untergang der SPD, eingeleitet von der Regierung Schröder mit der Abkehr von allen sozialdemokratischen Prinzipien, dem Verrat am Wähler, dem dadurch erstarken der Linken und Grünen, sowie dem langsam aber stetigen abschleifen in großen Koalitionen, hätte die CDU/CSU ihre Lehren ziehen können. Hat sie aber nicht - im Gegenteil. In 16 Jahren von Mutti kastriert und zum Klatschhasen-Zentralkomitee degeneriert, ebenso wie die SPD sämtliche parteieigenen Positionen aufgegeben und sich dann verwundert die Augen über das entstehen und stetig wachsende Potential der AFD zu reiben. Die Chance eines Neuanfanges wurde verpasst, auf Opposition hat man keine Lust, würde viel lieber, wie Söder nun unlängst bekannt gegeben hat, als Juniorpartner in einer neuen Groko mit der SPD und/oder den Grünen weiter am Niedergang des Landes mitarbeiten. AFD und CDU/CSU hätten eine satte absolute konservative Mehrheit in diesem Land. Entweder es kehrt der Verstand zurück, oder die CDU/CSU wird genau wie die SPD auf dem Komposthaufen der Geschichte landen und Deutschland wird mit der Wagenknecht-Partei unregierbar und in Weimarer Verhältnissen enden.

Ralf Pöhling / 26.10.2023

Und nun der vierte und letzte Streich: Ich muss mich in einem, an einem anderen Ort im Internet gemachten Punkt korrigieren: Das Absetzen von Beamten durch einen einfachen Verwaltungsakt scheint doch notwendig zu sein. Der Filz ist zu stark. Die Bremsen gehören jetzt entfernt. Sonst hört die offensichtliche Sabotage nicht mehr auf. In diesem Zusammenhang einen schönen Gruß nach Berlin. Wer sich jetzt angesprochen fühlt, ist auch gemeint. ;-) Wir stehen kurz vor dem Krieg. Und das rechtfertigt ungewöhnliche Mittel. Am besten zeitlich begrenzt, um das Problem kurzfristig aus dem Weg zu räumen, aber dieses Land nicht komplett zu demontieren. Der Ausnahmezustand hätte da seine Vorteile. Andernfalls bleibt noch der absichtliche öffentliche Geheimnisverrat. Aber das nur gegen Absicherung mit Straffreiheit.

Jochen Lindt / 26.10.2023

Die CDU hat 2015 die Grenzen geöffnet und das ganze Chaos erst verursacht.  Anders formuliert: Ein CDU-Kanzler wäre in der Tat der Bock als Gärtner.  Natürlich kann man sich jetzt hinstellen (wie der Autor Sarrazin) und fest daran glauben, dass die Merkelanhänger in der CDU allesamt verschwunden sind, jedoch die Tatsachen sprechen dagegen,

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