Quentin Quencher / 13.07.2021 / 16:30 / 21 / Seite ausdrucken

Die Amis im Haus

Wie die Erzählung meiner Großmutter über die kurze Zeit, in der 1945 US-Soldaten ihr Haus besetzten, auch mein Leben als später Geborener beeinflusste.

Als meine Großmutter noch lebte, es ist also schon sehr lange her, erzählte sie von amerikanischen Soldaten, die in ihrem Haus übernachteten, zum Kriegsende, also 1945. Es war so eine kleine Doppelhaushälfte in einer Siedlung, wie sie vielfach im Deutschland der Dreißiger Jahre entstanden war. Viel Platz gab es da nicht. Das Haus meiner Großmutter lag in Südwest-Sachsen, bis hierher waren die Amerikaner gekommen. Sie konnte von den Soldaten eigentlich gar nichts berichten, schloss sich in einem Zimmer mit ihren drei damals noch kleinen Kindern ein, weil sie natürlich Angst hatte. Ihr Mann, mein Opa, war in Stalingrad vermisst, sie musste also allein klarkommen.

Lange waren die Amis nicht dort, ein paar Tage vielleicht, ich kann mich nicht mehr an alle Details aus der Erzählung meiner Großmutter erinnern. Nur an eines, die Soldaten hätten nichts weggenommen, zerstört oder geklaut, und als sie gingen, ließen sie ein paar Kleinigkeiten wie Schokolade auf dem Tisch liegen. Offensichtlich haben die sich sehr korrekt verhalten, was man nun ja nicht von allen Besatzungssoldaten behaupten kann. Doch eben dieses kleine Detail hat später mein Amerikabild maßgeblich beeinflusst, was noch sehr wichtig werden sollte, denn damit hatte die spätere kommunistische Indoktrination, der ich zwangsläufig in der DDR ausgesetzt war, keine Chance. Leute, die ihre Macht nicht ausnutzen und sogar noch Schokolade verschenken, können nicht die Bösen oder Klassenfeinde sein, als die sie immer dargestellt wurden.

Und noch etwas prägte mich in diesen frühen Kindertagen: eine tiefe Abneigung gegenüber Politik, den Mächtigen und ihren Spielchen mit dem kleinen Mann, dem einfachen Menschen. Wir waren verraten worden. Eigentlich hätte ich im Westen aufwachsen müssen, schließlich waren die Amis bis zu uns gekommen. Doch die zogen sich zurück, gaben uns für West-Berlin preis. Die Aufteilung Deutschlands war ja schon lange vor Kriegsende beschlossen worden, und wir gehörten eben den Kommunisten, wurden ihnen übereignet, das war so beschlossen worden.

Freilich erkannte ich später, wie wichtig Verträge und Abmachungen sind, dass diese eingehalten werden müssen, auch um nicht sofort in einen neuen Krieg zu schlittern, aber das Gefühl, nur ein Spielball der Mächtigen zu sein, hat mich seit den Kindertagen nicht mehr verlassen.

Nun, da ich die Sechzig auch schon überschritten habe, kommen mir solche alten Geschichten wieder in den Sinn, und ich denke, ich sollte sie aufschreiben. Was ich damit sagen will, weiß ich selbst nicht, doch die Erzählung meiner Großmutter über die Amis im Haus hat mich geprägt, davon bin ich überzeugt, auch wenn sie nur aus wenigen Sätzen bestand. Es sind manchmal solche Kleinigkeiten, die ein Leben verändern.

Der Beitrag ist auch auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser erschienen.

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Gabriele Klein / 13.07.2021

Danke für den feinen Beitrag, ja, bleiben Sie dabei und schreiben Sie es unbedingt auf. Es ist wichtig. Man lege neben diese Erfahrungen jene des Zeitzeugen Pesach Anderman mit der Roten Armee die er in seinem erschütternden Buch Der Wille zu Leben niederschrieb, um zu begreifen was wir gerade an jenen Werten demontieren die dem Stückchen Schokolade der amerikanischen Besatzer Pate standen ...

Dr. Udo Junghans / 13.07.2021

Lieber Quentin Quencher, Die gleichen Soldaten sind auch in meinem Heimatort Nähe Zwickau gewesen und haben an die Kinder der bösen Nazis Schokolade verteilt. Das war die erste Schokolade für meine Mutter. Auch ich war und bin traurig, dass meine Heimat für ein Stück Berlin an die Kommunisten verschachert worden ist. Das hat mein Bild vom “Klassenfeind” sehr geprägt, natürlich auch der Kontrast, was ich so gesehen und gehört habe, was die sowjetischen Soldaten so veranstaltet haben…

Sirius Bellt / 13.07.2021

Auch kleine Erlebnisse können uns nachhaltig prägen. Ich hatte als kleiner Junge einen amerikanischen Freund. Dadurch ist schon in jungen Jahren meine Liebe zur englischen Sprache entstanden.

Emmanuel Precht / 13.07.2021

Meine Mutter erzählt gerne wie sie als junges Mädchen, während des Pflichtjahrs beim Bauern, die Russen aus dem Nachbarzimmer und die Endsiegpropaganda aus dem Volksempfäger hörte. Wohlan…

Matschke, Volker / 13.07.2021

Bei Kriegsende waren meine Mutter und ihre Geschwister in Erfurt bei einer Tante. Es wurde trotz seiner östlichen Lage von den Amerikanern eingenommen und im Sommer dann den Russen übergeben. Die Tante hatte ein riesiges, weißes Bettlaken aus dem Fenster gehängt, was streng verboten war. Es hatte immer geheißen „Vorsicht, der Feind hört mit!“ Aber im Grunde musste man sich vor den eigenen Leuten in acht nehmen, die mithörten. Jeder konnte jeden denunzieren, und das wurde aus privaten Gründen und Fehden auch gemacht. Muttern war Milch holen. Als sie zurückkam, waren alle amerikanischen Soldaten weg. Statt derer standen überall russische und sahen schrecklich aus. Statt Stiefeln hatten viele Lappen um die Füsse gewickelt. Innerhalb von vier Wochen waren sie dann aber alle eingekleidet. Es war eine „Materialschlacht“, sächt Muttern. Mitten in der Nacht klingelte es, und auf deutsch war zu hören „Hausdurchsuchung“. Tante Karlchen öffnete auch. Im nu war das Haus mit Russen voll. Tante Karlchen erklärte, hier seien nur Frauen und Kinder. Die Russen seien fair geblieben. Sophie war zwar schon 16 Jahre alt - und hatte sich schnell noch Zöpfe geflochten, worüber sich Hiltrud aus ihrem Kinderbettchen amüsierte, aber der Kommandeur, der deutsch sprach, interessierte sich eher für einen Staubsauger, den seine Leute gefunden hatten, und war sichtlich beruhigt, nachdem Sophie das Ding erklärt und vorgeführt hatte. Er wollte den Sauger auch nicht haben, sondern von Onkel Kako ein Messer der Hitlerjugend. Hatte der aber nicht. Man versuchte, dem Soldaten ein Klappmesser stattdessen zu geben, aber da war kein Hakenkreuz drauf. Das wollte er nicht. Drei solcher Hausdurchsuchungen hatten sie erlebt. Dann sind Sophie und Onkel Kako über die grüne Grenze in den Westen gelangt, und die Kleinen mit der Mutter offiziell mit Papieren. In Köln haben sich alle dann wieder getroffen.

Stanley Milgram / 13.07.2021

“Das Leben ist ein Mysterium – weder ein Mysterium, wie man es in Büchern findet, noch ein Mysterium, über das die Leute sprechen, sondern ein Mysterium, das jeder für sich selbst entdecken muss; und deshalb ist es so wichtig, die kleinen Dinge zu kennen, das Begrenzte, das Triviale, um darüber hinauszugehen.” (Jiddu Krishnamurti) MFG

Chr. Kühn / 13.07.2021

Der benachbarte Landkreis Oberallgäu wurde im Frühjahr ‘45 in Teilen von Einheiten der französischen Armee besetzt. Darunter waren auch Marokkaner. Welche sich zum Teil wie die sprichwörtliche Axt im Walde aufgeführt haben. Man ist versucht, in diesen lange zurückliegenden Ereignissen, die in das geschichtliche Gedächtnis der Menschen in der Region eingegangen sind, mit einen Grund zu sehen, warum Afrikaner (egal, ob nördlicher oder sub-saharischer Ausprägung) bei uns mit Skepsis und wenig offenen Armen begegnet wird. Mithin: ganz Deutschland wäre zu einer SBZ geworden, wenn die Rote Armee bis an den Rhein marschiert wäre. Soviel Ehrenrettung für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen muß sein.

Ridley Banks / 13.07.2021

Ich gehoerte dereinst zu den Kindern, die immer wenn die Rosinenbomber mit lautem Gebruell sich ankuendigten, wir den Weg ueber die Truemmerberge in Tempelhof (Westberlin) bestiegen, um unsere Bekundungen den wahren Helfern zuteil werden lassen. Klar es ging fuer uns um Schokolade die an kleinen Fallschirmen “herunterrieselte”, was auch sonst. Die grossen Zusammenhaenge kannten wir nicht, das kam spaeter. Auf der alljaehrlichen Wiedersehensshow in Tempelhof lernte ich auch einen von diesen Helden persoenlich im Gespraech (in bestem englisch), kennen. Diese Begebenheit hat mich beruehrt, und bis in mein Alter nun kurz vor 80, werde ich daran gern zurueckdenken. Nun lebe ich im Land der Helden, und gehoere zu den Beschenkenden. R.B. Texas

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