Gunnar Heinsohn / 16.07.2019 / 06:24 / Foto: AMISOM / 67 / Seite ausdrucken

Deutschland im Afrikakrieg

„Ihr werdet zehn von uns töten, wir werden einen von euch töten, aber schließlich werdet ihr zuerst aufgeben!" 1946 vernimmt Paris diese Botschaft des Vietminh-Führers Ho Chi Minh (1890-1969). Doch man hört nicht auf den Mann. Noch in der Entscheidungsschlacht von Dien Bien Phu im Jahr 1954 erleiden die Rebellen dreimal so hohe Verluste wie Parachutistes und Fremdenlegionäre mit Altkadern der Waffen-SS. An der westlichen Niederlage ändert das nichts. Frankreichs Kriegsindex steht damals zwar bei passablen 1.6 (heute 1). Auf 1.000 ältere Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen 1.600 Jünglinge zwischen 15 und 19 Jahren, die den Lebenskampf aufnehmen müssen. Auf vietnamesischer Seite aber sind es fast 3.000. Allerdings wird so etwas seinerzeit nicht berechnet. 

Entsprechend unvorbereitet übernimmt Amerika 1955 die französischen Stellungen. Angesichts der immer nur wachsenden vietnamesischen Siegeszuversicht formuliert der legendäre Kriegsberichterstatter Edward Murrow (1906-1965): "Jeder, der von der Situation nicht verwirrt ist, hat keine Ahnung von der Lage.“ Als Washington – nach fast einer Million Toten (davon 95 Prozent beim Gegner) – 1975 sieglos abrückt, steht Vietnams Kriegsindex über 4, der amerikanische  hingegen unter 2. Überzählige Söhne, die sich mit der Ehre des Heldentods zufrieden geben, wachsen im Westen nicht mehr heran. Bei den Unterworfenen aber halten hohe Geburtenraten den Heroismus am Leben. Die Studentenbewegungen mit ihren Straßenchören „Ho, Ho, Ho Chi Minh, eins, zwei drei, viele Vietnams“ begreifen das so wenig wie die Politiker und Militärs. Sie spiegeln die Lage immerhin dadurch, dass von ihnen nur verschwindende Minderheiten mit dem Schießen beginnen. Jetzt erfüllen sich ihre Sehnsuchtsgesänge und doch bleibt selbst bei den Radikalsten der Jubel aus.

In den Kolonialkriegen der 1960er und 1970er Jahre wiederholt sich das Fatum von Vietnam fast eins zu eins. Die Afrikaner verfügen über einen Kriegsindex, der drei- bis viermal so hoch liegt wie in Belgien, Frankreich, Großbritannien oder Portugal. Bei drei bis vier Brüdern pro Familie kann auch nach heftigen Verlusten weitergekämpft werden. Üppige Geburtenraten halten die Sterberaten souverän in Schach. Jeder Gefallene aus den Herrennationen hingegen stirbt – statistisch – als einziger Sohn seiner Mutter. Die Rebellenführer hätten Ho Chi Minh, die westlichen Experten Edward Murrow wörtlich übernehmen können. Der Westen verliert alle Kriege.

Um ein paar hundert Soldaten betteln 

Ist 2019 die Ratlosigkeit gewichen? Die typischen Jubiläumsrituale unter europäischen Führern sprechen dagegen. Bewegt danken sie ihrem Friedensbund in der Europäischen Union dafür, dass sie nicht mehr mit millionenstarken Armeen übereinander herfallen. Dass es die längst nicht mehr gibt, merken sie tags drauf, wenn sie untereinander um ein paar hundert Soldaten für den Einsatz in Mali, Niger oder Burkina Faso betteln müssen. 

Man werde allein Mali – mit jährlich 65 Millionen Euro – unter dem Schutz der Bundeswehr „schrittweise ertüchtigen. […] Afrika braucht einen selbsttragenden Aufschwung“. Dass selbst etwa Merkels Schützling Griechenland nach 350 Milliarden Euro seit 2010 von einem solchen Zustand nur träumen kann, wird taktvoll verschwiegen. Demografisch entspricht Subsahara-Afrika hundert Griechenlands.

Skeptisch bleibt denn auch ein erprobter Kommandeur aus dem 7.000 Mann-Kontingent der Amerikaner (Kriegsindex 1) in der MINUSMA Allianz (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali): „Bemühungen, den Dschihadismus durch Training einheimischer Truppen und das Töten aufständischer Führer einzudämmen, funktionieren offensichtlich nicht: Bauen wir nur Sandburgen bei Ebbe?" Was wäre dann die Flut?

Die drei genannten Sahel-Ländern springen zwischen 1950 und heute von zehn auf über 60 Millionen Einwohner und wollen 2050 bei 130 Millionen stehen. Nimmt man Tschad und Kamerun als ebenfalls terrorbefallene Exkolonien Frankreichs hinzu, geht es von heute gut 100 auf 215 Millionen Betroffene im Jahr 2050. Ihr aktueller Kriegsindex zwischen 6 und 7 liegt fast zehnmal so hoch wie in der Bundesrepublik (0.65) oder in Italien (0.70), das mit einem Kontingent von 470 Bewaffneten 1.100 Deutschen und 4.500 Franzosen beisteht. Auch 2050 wird der Sahel-Kriegsindex rund siebenmal höher liegen als zwischen Nordsee und Sizilien. 

Die Bundesregierung wirkt wie ein Schwejk

Berlin will trotzdem weiterkämpfen. Es stellt sich damit in die Tradition der Schröder-Fischer-Regierung, die 2001 Truppen nach Afghanistan schickt, wo schon der Warschauer Pakt bis 1989 rund 13.000 Mann verliert. Die Bundeswehr ist immer noch vor Ort, obwohl das Land am Hindukusch einen Kriegsindex oberhalb von 6 stetig durchhält und seit Abzug der Russen die Zahl seiner Kampffähigen zwischen 15 und 29 Jahren von 1,6 auf knapp 6 Millionen steigert.

Einerseits wirkt die Bundesregierung wie ein Schwejk mit seinem immer fröhlichen „den nächsten Krieg gewinnen wir “. Denn wie schon 2001 bewilligt der Bundestag auch die Sahel-Einsätze ohne Kenntnis der stetig schlechter werdenden demografischen Kräfteverhältnisse. Andererseits scheint die – ohne einschlägige Informationen losgeschickte – Kanzlerin die Aussichtslosigkeit auch des zweiten noch aktiven deutschen Krieges irgendwie zu spüren. Sie fürchtet ihn als bisher „gefährlichste Mission“ für sich und ihre Nachfolge. Recht hat sie!

 

Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt seit 2010 Kriegsdemographie am NATO Defense College (NDC) in Rom. In Stavanger hat er 2018 die Grundsatzrede zum 15. Geburtstag des Joint Warfare Center (JWC) der NATO gehalten.

Zahlen siehe auch in: G. Heinsohn, „Security implications of changing demographic trends”, NATO Defense College (NDC/Rom), 3. Juli 2019

Foto: AMISOM Flickr CC0 via Wikimedia

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Michael Hoffmann / 16.07.2019

“Wenn man auf jemanden schießt, sollte er tot umfallen. Sonst hat man ein Problem.” (Verfasser ist mir unbekannt, vielleicht Clint Eastwood?).

Jan van Rushyn / 16.07.2019

Vietnam 1950 sollte man nicht mit Afrika heute vergleichen. Ob der Islamismus in Afrika ein totalitäres System wie der Kommunismus unter Ho Chi Minh etablieren kann, ist fraglich - bisher ist in Afrika noch jede Idee verwässert, korrumpiert und in Stammesfragen zerlegt worden. Afrika besteht aus schwachen Staaten die mit wenig arabischem Geld leicht destabilisierbar sind. Stabilisierung kann auch den Europäern gelingen, die Fremdenlegion hat da positive Erfahrung.

Steffen Huebner / 16.07.2019

Eine interessante Analyse der Kriegsführung, die Gunnar Heinsohn aus demographischer Sicht vertritt. Meiner Ansicht nach sollte man auch Faktoren wie Ausrüstungsqualität und Motivation der Kampftruppen nicht vernachlässigen. Wenn man davon ausgehen kann, dass moderne Kampfmittel heutzutage von jedem Staat durch Geld oder über einen politischen Protegé beschafft werden können, dann spielt Motivation eine nicht zu unterschätzende Rolle dafür, welche Entbehrungen, Risiken und Gefahren für Leib und Leben der einzelne Kämpfer einzugehen bereit ist. Clanmitglieder,  iheren Familienverband schützend, vietnamesische Kämpfer oder russische Soldaten - hochmotiviert ihre kulturelle Heimat und die Grenzen des Nationalstaates zu verteidigen -  sind ganz anders motiviert, als Söldner oder berufliche Soldaten, denn deren Motivation ist in erster Linie Geld verdienen und das möglichst lange. Logischerweise legt man wenig Wert auf die Ehre, als toter Patriot zu enden, sondern wie jeder andere Arbeitnehmer auch, viel Wert auf eine soziale Absicherung sowie einen guten Arbeitsschutz, welcher tödliche Arbeitsunfälle verhindert. Es wird “gearbeitet”, wenn das Risiko akzeptabel und solange die Bezahlung stimmt…

Juliane Mertz / 16.07.2019

Mir gefällt die eiskalte Logik des Herrn Heinsohn. Aber: In beinahe allen genannten Konflikten hat nicht der Westen gegen die Dritte Welt gekämpft, sondern der Westen hat in einen bestehenden Konflikt eingegriffen und eine Seite unterstützt. So auch in Afrika. Auch das ist ein Grund für geringe Opferbereitschaft seitens des Westens.

Erwin Ober / 16.07.2019

Es hat kaum Sinn. In einer Reportage sagte ein Security Mann mit Bogen:Der Krieg war gut,da gab es immer Arbeit! Reporter:Und wenn du nicht töten willst? Afrikaner:Warum sollte ich nicht töten wollen,im Krieg ist der Tod gefragt nicht das Leben. Reporter:Hast du keine Angst vor den Bomben gehabt? Afrikaner:Nein,wir graben Löcher und legen uns rein,da passiert nichts… Jetzt vergleiche man mal mit Deutschen Soldaten die mit psychischen Störungen aus dem Friedenseinsatz Afghanistan oder Kosovo heimkommen…

Michael Koch / 16.07.2019

@ Achim Kaussen Sie schrieben: “Hallo Herr Heinsohn, Kenngroessen wie der Kriegsindex werden zukuenftig uninteressant. Der Krieg wird zunehmend automatisiert.” Damit mögen Sie - oberflächlich betrachtet - recht haben. Allerdings eben nur oberflächlich. Wir holen uns asymetrische Kriege/Bürgerkriege gerade ins eigene Territorium. Wir zerstören unsere Basis! Wenn Sie gar nicht mehr wissen, wohin Sie mit Ihren automatisierten Waffen schießen sollen, weil das Feuer aus allen Richtungen kommt und dazwischen Ihre eigenen Leute stehen, dann machen Sie entweder alles platt, oder Sie müssen aufgeben, weil Ihnen Leute, Munition und jegliche Unterstützung abhanden kommen. Ein paar gezielte Anschläge - von INNEN heraus -und der Strom ist weg! Dann funktioniert gar nichts mehr! Und genau auf diesem Wege befinden wir uns!

S. v. Belino / 16.07.2019

@Achim Kaussen. Sicher haben Sie nicht unrecht, was die Zukunft der Kriegsführung angeht. Zur Veränderung von Kriegs-Charakteristika möchte ich hier auf das Buch “Siegen oder vom Verlust der Selbstbehauptung” (Paris Amoghli und Alexander Meschnig, 2018) hinweisen. - Was die Kriegsführung mittels Einsatz von Drohnen angeht, bin ich mir noch nicht so sicher, ob die Weltgemeinschaft (UN) wirklich bereit wäre, diese - im wahrsten Sinne völlig entmenschlichte - Form der kriegerischen Auseinandersetzung als “humanitär vertretbar”, also gar universell einsetzbar, zu erklären. Oder ob man sich letztlich doch darauf einigen könnte, diese Art der Kriegsführung mittels eines global verbindlichen, weltweit gültigen, Vertragswerk zu verbieten. Man möge sich nur einmal den Einsatz von Kampf-Drohnen in Gebieten vorstellen, von denen hier in Herrn Heinsohns Artikel die Rede ist. Ein solcher Einsatz gegen konventionell bewaffnete Einheiten z. B. in Afrika würde mich auf furchtbar beklemmende Weise an die völlige Ungleichheit der Chancen, an das “Waffengefälle” erinnern, das während der europäischen Vereinnahmung der Welt allenthalben und über lange Zeit herrschte. Wenn also Kriege denn unbedingt sein müssen (sie sollten immer die “ultimissima Ratio” darstellen), dann doch bitte mit vergleichbaren Mitteln. Wobei sowohl heute, als auch noch auf sehr lange Zeit, die Menge(!) der jeweils zur Verfügung stehenden, zum Kampf entschlossenen und bereiten jungen Männer ihre Spitzenposition unter den zu vergleichenden Mitteln der Kriegsführung erfolgreich verteidigen wird. Da muss man Herrn Heimsohn leider, aber sicher zustimmen.

Dr. Gerhard Giesemann / 16.07.2019

Früher hat der Rest der Welt fasziniert zugeschaut, wie sich die Euros zerfleischt haben, Dreißigjähriger 2.0 von 1914 bis 1945. Heute tun wir gut daran, den Anderen zuzuschauen, wie sie sich dezimieren nach Vorbild Ruanda 1.0 und Iran-Irak 1980 bis 88. Wir brauchen noch viele solcher Ruandas etc., und wir müssen zusehen, die Killer draußen zu halten. DAS müssten wir mit unserer Technik und den Wenigen, die sie bedienen doch wohl schaffen. Vorbild: Israel. Und Trump mit seinem Zaun. Nicht mehr und nicht weniger. Mit übertriebener “Humanität” kommen wir allerdings nicht weiter, zumindest solange die sich ähnlich benehmen wie weiland das Volk ohne Raum oder die Japaner - da musste schon etwas robuster drauf gehauen werden. Nur so geht’s und solange der “Fertilitätsfaktor” als Vorstufe zum Kriegsfaktor so ist, wie er ist: Erst recht. Porca miseria.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gunnar Heinsohn / 01.01.2023 / 12:00 / 17

Whoopi Goldberg und „Jewish Race”

Nicht aufgrund ihrer „Rasse“, sondern wegen der „Unmenschlichkeit des Menschen gegen den Menschen“ habe Hitler die Juden ermorden lassen, erklärt Whoopi Goldberg im Magazin der…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 01.11.2022 / 10:00 / 133

Putinsturz durch heimkehrende Truppen?

Eroberungskriege aus einer demografisch so desolaten Nation wie Russland hat es bisher nicht gegeben. Das weiß auch Putin. Seine Fehlkalkulation, was die Motivation der eigenen…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 27.09.2022 / 12:00 / 114

Putins nukleare Vorsicht

Putin droht zwar gelegentlich mit dem Einsatz von Atomwaffen, doch wird er ihn wohl nicht befehlen. Nicht weil er Skrupel hätte, sondern weil er weiß,…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 21.09.2022 / 13:50 / 136

Putins Teilmobilisierung: Wofür die einzigen Söhne verheizen?

Schon am 20. September berichtet Igor Sushko über die Panik russischer Mütter, die ihre Söhne – überwiegend einzige Kinder – vor Putin Teilmobilisierung ins Ausland schaffen…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 13.07.2022 / 12:00 / 134

22 Jahre Ostpolitik gegen die Ukraine und Polen

Deutschland macht seit spätestens dem Jahr 2000 Politik zu Lasten der Ukraine und Polens- Hier eine Auflistung. Prolog 1997 Deutsche Firmen wollen ihr Gasgeschäft mit Russlands…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 28.06.2022 / 12:00 / 84

Patent und Verstand: Ex-Kolonie Südkorea überholt Deutschland

Südkorea ist überaltert, holt sich keine ausländischen Arbeiter ins Land, hat nahezu keine Bodenschätze, war unterdrückte Kolonie der Japaner und vom brutalen Korea-Krieg verwüstet –…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 09.05.2022 / 10:00 / 98

Putins Nukleardoktrin

Wer Putins Äußerungen zum Einsatz nuklearer Waffen verstehen will, muss beachten, dass Russland seit dem Jahr 2000 einer neuen Nukleardoktrin folgt. Sie erlaubt es Moskau,…/ mehr

Gunnar Heinsohn / 02.03.2022 / 08:06 / 188

Putin verrechnete sich mit dem kampflosen Sieg und steht nun mitten im Krieg

Dass Putin an die schnelle Kapitulation Kiews und das Überlaufen der ukrainischen Truppen wirklich geglaubt hat, belegt ein am Samstag, den 26. Februar bereitgestellter und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com