„Deutscher Humor ist, wenn man trotzdem nicht lacht“, lautet ein dem Schriftsteller Sigismund von Radecki zugeordnetes Bonmot, das sich an öffentlich-rechtlichen sowie verbandsmäßig organsierten Journalisten aktuell besonders schön illustrieren lässt.
Wenn nämlich Wolfgang Grebenhof, der stellvertretende Bundesvorsitzende des 33.000 Mitglieder starken „Deutschen Journalisten-Verband“ (DJV), einen politischen Witz reißen möchte, kommt so etwas dabei heraus: „Engländer folgen einem blonden, verlogenen Vollidioten. Amerikaner folgen einem blonden, verlogenen Vollidioten. Kann es sein, dass die englische Sprache massenhaft einen seltsamen mentalen Defekt auslöst?“
Äußerliche Attribute, charakterliche Eigenschaften, politische Loyalität, Sprache und mentale Verfasstheit in einen inneren Zusammenhang zu bringen, hätte wohl selbst den überzeugtesten Rassisten des 19. Jahrhunderts in konzeptionelle Schwierigkeiten gebracht. Aber um Logik, derer auch Witze bedürfen, ging es ohnehin nie. Grebenhof wollte seinem Geraune zufolge dem „grotesken Phänomen Trump/Johnson“ mit einem „Scherz“ begegnen. Das endete damit, seiner sehr deutschen Trotzhaltung gegen die amerikanischen und britischen Wähler, die von der deutsch-egomanen EU-Politik nachvollziehbar wenig halten, einen angemessen verwirrt-hässlichen Ausdruck zu verleihen.
Geschickter in der Form, doch inhaltlich genauso plump, stellte sich der WDR Ende des Jahres an. Dessen Redakteure gossen ihre Ressentiments zunächst in Liedform und ließen sie dann durch unschuldige Kindermünder auf ihre Financiers los. Ging es in dem neu-vertexteten Kinderlied über die ursprünglich im Hühnerstall Motorrad fahrende Oma, die nun eine „Umweltsau“ sei, schlichtweg darum, der oftmals verarmten älteren Bevölkerung, die ihre Lebensweise noch nicht an die neue Ökomoral angepasst hat, den angeblich „klimaschädlichen“ Verzehr von günstigem Fleisch oder Kreuzfahrten am Lebensabend madig zu machen, wurde dieses Propagandastück vom „Deutschen Journalisten-Verband“ schließlich als „Satire“ verteidigt. Von der hat man kaum eine Vorstellung und noch weniger Respekt, sondern weiß nur, was man bei Tucholsky irgendwann einmal aufgeschnappt hat: Sie dürfe „alles“. Auf diese Weise lässt sich noch der dümmste Klamauk zur „journalistischen Stilform“ (Grebenhof) hochjazzen.
Der Senior und seine Koteletts
„In dieser Debatte geht es vor allem nicht um die Geschmacksfragen von Satire, sondern um den Schutz von Satire- und Meinungsfreiheit“, entschied der DJV von oben herab, womit er Kritik an bestimmten Verhaltensweisen und Inhalten des WDR prinzipiell ins Leere laufen lässt. Denn der Journalistenverband ahnt, dass solche Kritik von sich aus dahin tendiert, das Geschäftsmodell und das anmaßende Selbstverständnis des WDR („Wir sind der Kitt für das Zusammenleben in NRW“) sowie die Tendenz der Öffentlich-Rechtlichen, immer mehr Geld zu fordern, infrage zu stellen. Das könnte den vom DJV vertretenen Journalisten gefährlich werden, weshalb gefordert wird: „Eine Senderleitung muss [in so einer Situation] in der Öffentlichkeit auf redaktionelle Freiheit pochen [die damit eine beliebige würde], anstatt auf diejenigen zu hören, die gesellschaftliche Konflikte, die in den Medien ausgetragen werden, für sich gegen die Medien instrumentalisieren wollen.“
Was das bedeutet, liegt auf der Hand: Jeder Senior, der sich seine Koteletts nicht von WDR-Redakteuren schlecht reden lassen möchte – und das auch noch auf seine Kosten –, ja seinen Unmut darüber auch noch öffentlich zur Sprache bringt, trachte eigentlich nur danach, aus egoistischen Motiven heraus journalistische Grundrechte zu kassieren – wohingegen man beim DJV nicht etwa schnöde Eigeninteressen verfolge, sondern im hehren Auftrag der Demokratie handele.
Der Begriff „Lügenpresse“ mag durchaus problematisch sein; seinen Wahrheitsgehalt stellt der Journalisten-Verband jedoch zum Beispiel dann unter Beweis, wenn WDR-Skeptiker, unter die sich auch Aktivisten der tatsächlich sehr rechten Identitären Bewegung gemischt hatten, allesamt zu „Medienhassern“ zurechtgelogen werden (ob und wie „rechts“ jene waren, ist hierbei irrelevant), welche der Vorsitzende des DJVs, Frank Überall, auf einer Kölner Kundgebung am 4.1.20 schließlich gar mit islamischen Terroristen in Verbindung brachte. Man lese und staune:
„Was wir rund um den Jahreswechsel erlebt haben, war eine krude Mischung: Auf der einen Seite berechtigte, kritische Meinungsäußerung zur ‚Umwelt-Sau‘-Satire des WDR. Natürlich darf man über jede Satire unterschiedliche Meinungen haben – das ist ja der Sinn der Sache. Wenn etwas humoristisch zugespitzt wird, gefällt das immer irgendwelchen Menschen nicht. Ich erinnere mich noch gut an die Mohammed-Karikaturen, die sogar zu Gewaltakten in aller Welt geführt haben. Da haben wir uns gefragt, wie können sich Emotionen angesichts einer solchen Satire hochschaukeln? Wie können sich Menschen so sehr ärgern, dass sie bereit sind, mit Terror zu antworten? Hass hat sie dazu getrieben. Und Hass wird jetzt auch im Internet gegen den WDR, gegen öffentlich-rechtliche Sender, gegen uns Journalistinnen und Journalisten geschürt und liebevoll befeuert. Indem Grundrechte wie Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit infrage gestellt werden, wird Hass befördert. Hass auf wesentliche Werte, die unsere Verfassung ausmachen.“
Wer gegen den WDR demonstriert, wolle die Demokratie zerstören
Der Deutsche Journalisten-Verband in einem Boot mit Jyllands-Posten, WDR-Gegner in einer Hetztradition mit Al-Qaida – die Mischung aus Anmaßung, Unverfrorenheit und geistiger Schlichtheit, mit welcher der DJV auch in einer Pressemittelung anlässlich des Anschlags auf Charlie Hebdo die von Islamisten wegen tatsächlicher Satire Ermordeten für die eigene primitive „Umweltsau“-Apologie instrumentalisiert, verschlägt einem glatt die Sprache.
„Wer sich eine Alternative zur Demokratie wünscht, soll ruhig weiter gegen gesellschaftliche Institutionen wie den WDR demonstrieren.“
Wer also sein demokratisches Recht in Anspruch nimmt, um gegen die Öffentlich-Rechtlichen im Allgemeinen bzw. den WDR im Besonderen zu demonstrieren, die übrigens kein Exklusivrecht auf den Journalismus und die Meinungsfreiheit haben, wird im Namen der Demokratie vom DJV zum Republik- bzw. Volksfeind erklärt. Derartige Demagogie könnte ohne die weithin akzeptierte analytische Nullkategorie „Hass“ übrigens kaum verfangen.
Wäre es nicht möglich, dass ein solcherart verfasster „Journalismus“ am „Zeitungssterben“ seinen Anteil hat? Könnte es nicht sein, dass viele der Aufgebrachten zurecht nicht (mehr) bereit sind, für die öffentlich-rechtliche Beleidung des Intellekts und des Geschmacks auch noch zu bezahlen? Sebastian Huld weiß es auf dem DJV-Blog besser:
„Das Zeitungssterben ist keine Medienkrise. Es ist die Folge eines Wirtschaftssystems, das sein angestammtes Gesellschaftssystem, die Demokratie, nicht braucht. Das Zeitungssterben ist Ausdruck einer tiefgreifenden Systemkrise.“
Die Linke zieht deshalb so viele Menschen an, weil sie das ideologische Rüstzeug anbietet, individuelle Verantwortung auszulagern und auf äußere Umstände zu schieben, um sich somit dem „Realitätsprinzip“ (Freud) zu entziehen. Damit betreibt man nicht, wie intendiert, Gesellschaftskritik, sondern zementiert die eigene Unmündigkeit und überantwortet sich gerade so den sozialen Verhältnissen.
Die ewig gleiche selbstmitleidige Leier
Diesem Bedürfnis, nicht erwachsen werden zu wollen, kommt ein Journalismus entgegen, der selbst nie urteilsfähig geworden ist und sich trotzdem bzw. gerade deshalb als erzieherische und demokratische Autorität aufspreizt. Der israelisch-amerikanische Autor Tuvia Tenenbom beschreibt ihn in seinem so informativen wie unterhaltsamen Buch „Allein unter Flüchtlingen“ folgendermaßen:
„Die meisten deutschen Journalisten, die ich kennengelernt habe, halten den Journalismus für ein Instrument der ‚Volkspädagogik‘, bei dem Tatsachen viel weniger zählen als das ‚richtige Denken‘. In ihrer Selbstwahrnehmung stehen sie eine Stufe über den ‚Massen‘ und halten es für ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Leute das Richtige denken (...).“ (S. 14.)
Ein ähnliches Urteil fällt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz:
„In Deutschland gibt es ein grundsätzliches Selbstmissverständnis vieler Journalisten – nämlich, dass sie die klassische angelsächsische Trennung zwischen Information und Meinung nicht mehr mitmachen wollen und stattdessen Gesinnungsjournalismus produzieren.“
Mit dieser Einschätzung korreliert, dass es im englischsprachigen Journalismus ein Äquivalent zu „Haltung“ wohl so nicht gibt. Das Wort lässt sich zwar übersetzen, doch einer entsprechenden Tugend, die von Politikern wie Journalisten allenthalben beschworen wird und die übrigens schon in Joseph Goebbels’ Sportpalastrede eine Rolle spielte, begegnet man in der englischsprachigen Presse tendenziell weniger – wenn überhaupt.
Selbst wenn man der „Haltung“ einen sinnvollen Gehalt beimessen wollte, wurde der Begriff wie „Hass“ und „Demokratie“ längst auf das Niveau einer Floskel heruntergebracht. Nicht nur wird er bezüglich der doch eigentlich selbstverständlichen Position, den Nationalsozialismus „nie wieder“ Wirklichkeit werden zu lassen, verwendet; herhalten muss die „Haltung“ zum Beispiel auch dann, wenn der WDR-Intendant Tom Buhrow vom DJV dafür kritisiert wird, auf die Kritik am „Omalied“ überhaupt nur eingegangen zu sein:
„Der WDR braucht mutige Entscheidungen, auch zu künstlerischen, satirischen Formaten. Dazu gehört es, Haltung zeigen zu können und anzuecken.“
Von Auschwitz bis zur „Umweltsau“ ist inzwischen alles eine Frage der Haltung, weshalb die ewig gleiche Leier irgendwann schlicht unerträglich wird. Wenn DJV-Journalisten etwa selbstmitleidig darüber jammern, als „links-grüne“ Haltungsjournalisten „geschmäht“ zu werden, wäre ihnen nur noch genervt der Vogel und Wolfgang Grebenhofs Twitter-Account zu zeigen: Auf ihm teilt er Sascha Lobo, Gregor Gysi, Bernie Sanders, Ralf Stegner und Jakob Augstein...
Dabei wäre doch alles so einfach.
„Warum also ist kein Kompromiss möglich? Der gebührenfinanzierte Rundfunk könnte sich auf das konzentrieren, was der freie Markt nicht bereithält, also seriöse und umfassende Fernseh- und Radionachrichten, er würde dabei auf Neutralität achten und auf alles andere verzichten. Das Ergebnis wäre ein schlankes, aber breit akzeptiertes System.“ (NZZ, 3.1.20)
Was Marc Felix Serrao hier vorschlägt, scheitert an der Selbstgerechtigkeit und Borniertheit des hiesigen Journalismus, zu dem man, selbst wenn man gewissermaßen „objektiv“ in dem Bereich arbeitet, doch nur auf Abstand gehen kann. Es ist übrigens ein populärer Irrtum, dass die Journalistenverbände ein Exklusivrecht auf die Ausstellung von Presseausweisen hätten, denn prinzipiell können das alle journalistischen Arbeitgeber, etwa die Jungle World oder die Jüdische Rundschau. Ob der DJV diesen Mythos gerne aufgeklärt sehen würde, steht indes zu bezweifeln.
Dieser Text erscheint auch in der Februarausgabe der Jüdischen Rundschau.