Josef Hueber, Gastautor / 07.02.2019 / 06:25 / Foto: Elvert Barnes / 46 / Seite ausdrucken

Deutsche wollen sich gegenseitig alles verbieten

Es ist so eine Sache mit der zweischneidigen Freiheit. Wirkliche Befreiung verleiht sie nur, wenn man das Gefühl hat, frei zu sein, ohne jedoch die Last der freien Entscheidung schultern zu müssen. Dostojewski gibt uns dazu ein Psychogramm im Großinquisitor, der mit dem zu einer kurzen Visite auf der Erde erschienenen Gottmenschen über die Krone der Schöpfung und deren Verlangen nach Freiheit eine entlarvende Konversation führt. Resümee der deprimierenden Sezierung menschlicher Befindlichkeit: Die Menschen wollen nicht frei sein.

Wenn man erfahren will, wie es speziell mit des Deutschen Sehnsucht nach Freiheit bestellt ist, geht es aber auch weniger literarisch. Sagen wir es anders. Die Bürger eines der bisher freiheitlichsten Länder der Erde haben die Freiheit so satt, dass sie nach Entmündigung geradezu hungern. So titelte Die Welt schon vor Jahren: „Deutsche wollen sich gegenseitig alles verbieten“, gestützt auf eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie in Allensbach. 

Die Skala der inakzeptablen Freiheiten reicht von Genuss bis Gedanken. Hochprozentiger Alkohol und schnelle Autos, irgendwann mal Symbole männlicher Standfestigkeit und männlichen Eroberungswillens, sind im Zuge der Hybridisierung von Geschlechterspezifika in der Abfallkiste ausgedienter Macho-Symbole verschwunden. Die Zigarette, einst viriles Zeichen für Männer und solche auf dem Weg dahin, sowie die Fluppe mit dem Touch von Sexiness bei Frauen, ist zum Igitt-Stengel verkommen.

„Geben Sie Gesetze!“, ruft Volkes Stimme

Aber auch die Äußerung provokanter Gedanken ist längst nicht mehr eine Frage der Freiheit. Ihre Verursacher sehen ständig dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und den Kontrollarmeen bei Facebook und Konsorten furchtsam entgegen. „Geben Sie Gedankenfreiheit!“, einst in Schillers Drama Don Carlos vom heroischen Marquis von Posa dem Despoten Spaniens unter Lebensgefahr entgegengeschleudert – solches Freiheitspathos kann die träge Gemütsmasse der Deutschen nicht mehr in Bewegung setzen.

„Geben Sie Gesetze!“, ruft heute Volkes Stimme zum Despoten Gesetzgeber.
Und der ist gnädiger als Schillers König Philipp von Spanien. Denn er sieht in diesem Auftrag einen willkommenen Vorteil für sich und die Armee von Anwälten, die alle beschäftigt sein wollen und werden. Mikromanagement des Alltagslebens ist angesagt. Ein Leserbrief vom 30. Januar dieses Jahres, tapfer formuliert in unserem lokalen Eichstätter Tagesblatt, zeigt, wie auch im Kleinen des Lebens, im privaten Gärtchen, ganz groß von der menschlichen Freiheit gedacht wird. Eine ehrsame Bürgerin, fordert, „um der Gleichbehandlung willen“, von den Initiatoren des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“, folgende Eigensinnigkeiten bei der privaten Gartengestaltung per Gesetz durchzusetzen:

Geht gar nicht:  

  • englischer Rasen 
  • Mähroboter
  • Ziersteine
  • Thujenhecken 
  • Straßenrandmulch 
  • Mähen öffentlicher Grünflächen 

Muss sein:  

  • zeitlich genau definierte Erlaubnis zum Rasenmähen  
  • mindestens 1 Obstbaum im Garten 
  • Nachweispflicht jedes Bürgers (bis 2030), mindestens 50 Prozent seiner Lebensmittel „in deutscher Bioqualität“ gekauft zu haben 

Kurzer Blick nach Süden zum Aufwärmen: Ich schlendere in einem italienischen Städtchen durch eine enge Gasse, plötzlich taucht aus der Nebenstraße ein frecher Kerl auf mit seiner jungen Mieze, diese stehend auf dem Gepäckträger seiner knatternden Vespa, sich abstützend auf der Schulter des gesetztesbrecherischen Draufgängers. Hierzulande ein klarer Fall für eine Anzeige. In Bella Italia nicht einmal ein Kopfschütteln der Bio-Italiener. 

Der Italiener, meinte einmal ein Teilnehmer einer TV-Diskussionsrunde, lebe das Leben „an den Gesetzen vorbei“. Die Deutschen, wer hat das noch nicht beobachtet, leben behütet nur innerhalb der Gesetze. So nahm in unserem Städtchen ein Jurastudent auf der Durchreise einen von den Medien hochgejazzten Anstoß an Frauenparkplätzen, für ihn ein Zeichen der Diskriminierung, um in seinem Portfolio juristisch Spektakuläres vorweisen zu können, er bekam Recht vor dem Verwaltungsgericht München. 

In Loriots Film Ödipussi begegnen wir einem Mann, der sich einer beginnenden Demenz erfreut. Einst Mitarbeiter der städtischen Müllbeseitigung, fuchtelt er während eines kurzen Gesprächs mit seinem Stock in Weggeworfenem auf dem Boden herum und meint, typisch deutsch beunruhigt, angesichts mangelnder Ordnung: Alles durcheinander!

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Leserpost

netiquette:

Peter Seidler / 07.02.2019

Nicht alle Verbote müssen schlecht sein, bei zigarettenrauchenden Nachbarn zu Hause vor dem eigenen Fenster hört der Spass selbst bei jedem Freiheitsliebenden auf, der davon betroffen ist. Wetten?

Marcel Seiler / 07.02.2019

Der Artikel geht am Thema vorbei. Die Frage ist nicht, ob man Verbote liebt oder nicht, sondern für *welche* Verbote/Gesetze sich ein Volk entscheidet. Wir haben z.B. die Wahl zwischen (1) geschlossenen Grenzen und (2) geschlossenen Weihnachtsmärkten. Zwischen den (1) abstrakten Normen der Marktwirtschaft und den (2) schikanierenden Normen der Planwirtschaft. Zwischen (1) echtem Respekt zwischen den Geschlechtern bei Anerkennung ihrer Unterschiede und (2) detaillierten Regeln der sexuellen Belästigung. Die jeweils ersten Regelungen sind zwar auch mit Verboten verbunden, aber geben einen Rahmen für individuelle Freiheit. Die jeweils zweiten Regelungen schaffen Freiheit ab zu Gunsten kleinteiliger Schikanierungen. Deutschland antscheidet sich – ironischerweise im Name der Freiheit! – typischerweise gegen die festen, aber abstrakten Normen, die Freiheit geben (also jeweils die 1), und bekommt stattdessen die Gängelung der Mikroverbote von allem (also jeweils die 2).

Steffen Weihe / 07.02.2019

Dieser Leserbrief war mehr als Satire oder als Spiegel gedacht und dies vor allem für diejenigen, die uns eine schöne bunte Welt vorschreiben wollen - frei nach dem Motto Wasser predigen, Wein trinken. Welches “unserer” vielen Themen wollen wir aufgreifen? Um bei den Bienen und den Bauern, resp. Landwirten zu bleiben: hier soll einer Branche vorgeschrieben werden, wie zu produzieren sei -komplett am Markt vorbei nur um der “größeren Sache” wegen. Warum also auch nicht im Kleinen damit anfangen? Hier liesse sich das auch Neubaugebiete ausdehnen. Gegen Versiegelung der Landschaft, für mehr Bienen: Minedstgröße der Baugrundstücke 1.000 qm, Bepflanzung nur heimische Laubgehölze, mindestens drei große Laubbäume und 75 qm Nutzgarten. Warum nicht? Wer zwingt uns Fleisch beim ALDI und nicht beim Bauern direkt zu kaufen. Ich habe mal gelernt, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Beispiele über Beispiele. Gerade das Thema Bienen zeigt ja, wie mit Emotionen und Schudzuweisungen gespielt werden kann. Kaum eine andere Branche wie die der Agrarwirtschaft bringt soviele Experten hervor, hier kann nur noch der Fußball mithalten. In kaum einem Sachverhalt wird journalistische Hintergrundarbeit geliefert., nachgefragt und recherchiert. Da sind solche Leserbriefe sehr hilfreich, um mal den einen oder anderen wachzurütteln. Was hier allerdings scheinbar auch tlw. schiefgegangen ist…. Im übrigen glaube ich sind nicht die Verbote das wirkliche Problem, sondern die EInhaltung und Überwachung derjenigen. Dies mag an des Deutschen Blockwart und Stasimentalität liegen….

M. Hartmann / 07.02.2019

Das blöde an Kants kategorischem Imperativ ist eben, daß die Deutschen nur den Teil mit dem ” Gesetz werden” verinnerlicht haben, nicht den Teil mit dem “handele so…”. Mit anderen Worten: es ist immer der Andere schuld. Gesetze sollte es eigentlich nur im Notfall geben, wenn das Miteinander nicht so richtig funktioniert. So z.B. als die Fehde, die den Kaiser irgendwann zu viele potentielle Soldaten kostete, durch ein staatliches Strafrecht ersetzt wurde. Ein Reset scheint in unserer durchorganisierten und multi-kulti-riesierten Gesellschaft aber jetzt wohl auch echt unmöglich.

Thomas Weidner / 07.02.2019

Absolut klar - die Neidrepublik lässt grüßen. Der Neid ist auch die Erklärung, warum die Gleichheitsforderungen der LinksGrünen auf so fruchtbaren Boden fallen. Warum ist das so? Das Einfrieren der Löhne und Gehälter bei Beschäftigten unter 100 KEUR Jahreseinkommen von Beginn der rotgrünen Schröderregierung an bis zum Ende der schwarz-gelben Koalition 2013 - fünfzehn lange Jahre -  bei welcher Merkel das FDP-Wahlversprechen (mehr Netto vom Brutto) aus Futterneid gegenüber dem FDP-Wahlerfolg erfolgreich sabotierte, tat ein Übriges: Welcher Beschäftigte ballt nicht die Faust in der Tasche, wenn er die Einkommensexplosion der upper class mit Lohnverzicht finanzieren muss. Und dazu die Beleidigung der eigenen Intelligenz mit dem Märchen vom “Facharbeitermangel” - wenn jede Preiserhöhung im Supermarkt mit “Angebot und Nachfrage” begründet wird - aber der Fachkräftemangel zu einem Sinken der Löhne führen soll. Oder um persönlich zu werden: Wenn ich - bildlich gesprochen - meinem Vorstandsvorsitzenden all die Porsches wegnehmen kann, die ich ihm mit Lohnverzicht bezahlen musste - dann nur los… Irgendwann ist die Gedult überstrapaziert. Die alte Geschichte von Ursache und Wirkung. Die spezielle Sauerei ist die, wenn sich die Verursacher von damals als Retter von heute und morgen aufspielen. In Bayern hat man die Selbstbedienung eines Franz-Josef Strauss natürlich mitbekommen. Aber die Bayern haben sie stillschweigend akzeptiert - da vom “Tisch der Großen” nicht nur Brotkrumen herunter fielen, sondern vielmehr volle Teller nach “unten” weiter gereicht (nicht aus Versehen herunter gefallen) wurden. Das war sie - die “gute, alte Zeit”.

Dr. Klaus Klinner / 07.02.2019

@Dr. Gerhard Giesemann Guten Morgen, aber Ihr Beitrag klingt als wären Sie nie dabei gewesen. Genau dies war nun gerade kein Charakteristikum vom OstDeutschland “sozialistischer Prägung”. Aber wohlan, formen Sie sich ihre Geschichte nach Gutdünken, vielleicht hilft Ihnen dabei die Promotion.

HaJo Wolf / 07.02.2019

Haben “die Deutschen” (wer immer das ist) Freiheit überhaupt erlebt? Haben Sie sich selbige erkämpft? BEide Fragen darf man mit “nein” beantworten. Das HRR war ein Konglomerat autarker Fürsten, Kleinstaaterei und Feudalherrschertum. Freiheit? Nix da. Preußen, der deutsche Bund, das Kaiserreich, auch hier von Freiheit keine Rede. Diktatorische Macht von oben, verbunden mit preußischer Strenge und Disziplin, angereichert durch Gesetze. Die Weimarer Republik - ein kläglich gescheiterter Versuch, instabil, wirtschaftlich handlungsunfähig und von den Siegermächten, die eine Menge Verbote und Verordnungen beisteuerten, nur geduldet. Das dritte Reich? Man hatte die Freiheit, dem NS-Regime zu folgen oder nicht. Theoretisch jedenfalls. Nach dem WK 2? Ein Staat, von Alliierten geformt, mit Glück, weil als Puffer gegen Bolschewismus benötigt, am Agrarstaatdasein vorbei geschrammt. Die Gesetzgebung von den Siegern bestimmt und freigegeben. Ein Teil Deutschlands unfreier als der andere. In keinem Land der Erde gibt es mehr Gesetze, Verordnungen usw. Jeder rollende Furz auf der Gardinenstange muss gesetzlich definiert, kategorisiert, alimentiert, penetriert und wasweißich-iert werden… Das (wenigstens teilweise) geeinte Land nach 1989 ist nur einem glücklichen Zusammentreffen der günstigen Umstände und Personen zu verdanken, für uns Bürger hat sich in Bezug auf Freiheit nichts verändert. Freiheit, das ist nicht reisen können, wohin man will. Freiheit heisst, ein dürfen, wie man ist, sagen dürfen, was man denkt, leben dürfen, wie man will - alles solange die anderen davon nicht beeinträchtigt werden. Wir sind nicht frei. Wir müssen uns täglich (neu aushandeln!!) nach immer auf Minderheiten zugeschnittenen Gesetzen richten, die meisten überflüssig und unsinnig. Wir sind Unfreie, solange wir diese hirnlose Diktatur und ihre Protagonisten dulden. Und es wird täglich schlimmer…

Emmanuel Precht / 07.02.2019

Zum Thema Frauenparkplätze: Auf Auto-Stellplätzen stehen Autos, sowei so gut. Auf Frauen-Stellplätzen, allerdings, habe ich noch nie Frauen gesehen, auch dort stehen nur Autos rum. Das geht ja mal gar nicht! Das sollte per Gerichtsbeschluss geändert werden. Wohlan…

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