Ob Campino den Genossen Hartmut König kennt? Dieser Mann hat, bevor er selbst zum hohen SED-Kulturfunktionär avancierte, mit seinem „Oktoberklub“ versucht, die Parteilinie ohne Abweichungen in jugendgerechtes Liedgut zu pressen. Wohl nirgends sonst, sieht man mal von Parteiveteranenchören oder Militärkapellen ab, gab es im SED-Staat wahrscheinlich so viel Übereinstimmung zwischen herrschender Ideologie und Sangeskunst wie bei den Auftritten vom „Oktoberklub“. Den Hit der Gruppe „Sag mir, wo Du stehst“ lernte später jedes DDR-Schulkind im Unterricht kennen.
Dass mir Hartmut König einfällt, wenn ich Campinos jüngsten Auftritt in Chemnitz sehe, ist natürlich etwas unfair. Königs Lieder haben nie ein so großes Publikum freiwillig angelockt, wie es die „Toten Hosen“ und „Feine Sahne Fischfilet“ vermochten. Während der „Oktoberklub“ keinen Hehl daraus machte, zu den Besten im Kreise der kommunistischen Kaisers-Geburtstags-Dichter und Barden zu gehören, pflegen Campino und Gefolgschaft ja immer noch die Illusion, nicht zum Establishment zu gehören. Und das gelingt ihnen, man muss es neidlos anerkennen, mit Erfolg.
Die Jugend als vermeintliche Outlaws zu erreichen und gleichzeitig die Regierungslinie so gut zu vertreten, dass Bundespräsident und Außenminister gern zur Werbung bereitstehen, ist eine Kunst, die Hartmut König nicht beherrscht hat, aber als Mitglied der Kulturkommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED, das er später war, sicherlich prämiert hätte. Für einen solchen Auftritt wie in Karl-Marx-Stadt, ach nein, Chemnitz, hätte Genosse König bestimmt die Verleihung eines Karl-Marx-Ordens organisiert.
Hätte Campino einen solchen Orden angenommen? Ausschließen würde ich nichts mehr. Nichts scheint unmöglich. Mit ignoranter Infantilität wurde ja auch dort gefeiert, wo gerade noch gemordet wurde. „Sag‘ mir, wo Du stehst!“: Was soll ein Opfergedenken, wenn es doch falsche Opfer falscher Täter sind? Ja, wenn es richtige (linke) Opfer richtiger (rechter) Täter wären. Aber so? Da hilft nur feiern, bis die Gründe für die Chemnitzer Probleme vergessen sind.
„Dann bist Du für den Krieg“
„Sag‘ mir, wo Du stehst!“ war in der Diktatur eine klare Ansage: „Bis Du für den Sozialismus und den Weltfrieden?“ Eine differenzierte Antwort war damals nicht möglich. In jedem Fall wäre das Urteil „Dann bist Du ja für den Krieg!“ gewesen und damit wären die persönlichen Folgen unabsehbar geworden.
So wie es jetzt für Schlagersternchen wie Helene Fischer, Mark Forster oder Andrea Berg ungemütlich zu werden scheint. Genauso wie damals in der DDR.
Werden nicht schon längst von guten, auf der richtigen Seite stehenden Künstlerkollegen Fragen nach der Haltung von singenden Nichtunterstützern gestellt? Wird nicht schon lange repressiver Druck aufgebaut? Die Fischers, Forsters, Bergs müssen doch eine Meinung haben, müssen doch Haltung zeigen!
Vielleicht ist es ja gerade dieser muffige Dunst aus Stalins Gruft (siehe Kritik und Selbstkritik in Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“) der beispielsweise Fischers‘ Helene zurückschrecken lässt? Zumindest ihre Eltern kennen das alles mit Sicherheit noch aus ihrer sowjetischen Zeit, und es wird sie frösteln lassen. Mit Recht.
Mir kommt das ebenfalls so verdammt bekannt vor und es widert mich an. Vermutlich wird es sehr vielen ehemaligen DDR-Bewohnern genauso ergehen. Auf diese Art vor einen Wagen spannen lassen? Nein, ganz im Gegenteil!
Gute Morde, schlechte Morde?
Mord ist Mord. Vor dem Gesetz sind alle gleich: Egal ob Rechtsextremist, Linksextremist, Islamist oder Frauenfeind. Aber in der Bundesrepublik des Jahres 2018 mehren sich auch daran allenthalben die Zweifel. Und der Auftritt des FDJ-Singe-Clubs mit Campino vornean nährt diese eher, als das er sie zerstreut.
Ulf Poschardt schrieb am Dienstag in der Welt „Der Punk stirbt in Chemnitz“. Er hat wohl recht. Die Verbleichenden wissen es nur noch nicht. Dagegen Anjodeln wird nicht helfen.
Wer gemeinsam mit Linksextremisten Rechtsextremismus bekämpfen will, der meint es ebenso wenig ehrlich mit der Demokratie wie diejenigen Zeitgenossen, die sich nicht an „Heil Hitler-Rufen“ stören und hinter und neben solchen Krakeelern herlaufen.
1989 gingen im Osten die meisten Menschen gegen eine linke Diktatur auf die Straße. Eine rechte Wiederholung wollten sie ebenso wenig. Freiheit und Demokratie waren die Ziele.
Es ist ein gefährliches Spiel, welches die Macher des montäglichen Chemnitzer Konzertes spielen. Mit dem Auftritt von „Feine Sahne Fischfilet“ schlossen sie tausende Chemnitzer von vornherein aus. Das ist Kollateralschaden Numero eins. Nicht wenige Chemnitzer und Ostdeutsche werden den aus ganz Deutschland organisierten Zug der Oberlehrer als Invasion empfunden haben. Das wird der AfD Zulauf bescheren. Was wiederum Kollateralschaden Numero zwei ist.
Der Bundespräsident rief mit seinem Hinweis auf „Feine Sahne Fischfilet“ Mitmenschen zur Demo, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, mit Linksextremismus jedoch keine Probleme haben. Das ist Kollateralschaden Numero drei. Damit exerziert das Staatsoberhaupt die SPD-Volksfrontlinie vom Leipziger Parteitag 2013: Alle, auch die äußere Linke, gegen rechts!
Seitdem ist in der bundesdeutschen Offizialoptik alles rechts, auch die Mitte. Die Statik dieser Republik nahm daran schon schweren Schaden.