Gunter Weißgerber / 05.09.2018 / 15:00 / Foto: Pixabay / 18 / Seite ausdrucken

Der Zug der Oberlehrer nach Karl-Marx-Stadt

Ob Campino den Genossen Hartmut König kennt? Dieser Mann hat, bevor er selbst zum hohen SED-Kulturfunktionär avancierte, mit seinem „Oktoberklub“ versucht, die Parteilinie ohne Abweichungen in jugendgerechtes Liedgut zu pressen. Wohl nirgends sonst, sieht man mal von Parteiveteranenchören oder Militärkapellen ab, gab es im SED-Staat wahrscheinlich so viel Übereinstimmung zwischen herrschender Ideologie und Sangeskunst wie bei den Auftritten vom „Oktoberklub“. Den Hit der Gruppe „Sag mir, wo Du stehst“ lernte später jedes DDR-Schulkind im Unterricht kennen.

Dass mir Hartmut König einfällt, wenn ich Campinos jüngsten Auftritt in Chemnitz sehe, ist natürlich etwas unfair. Königs Lieder haben nie ein so großes Publikum freiwillig angelockt, wie es die „Toten Hosen“ und „Feine Sahne Fischfilet“ vermochten. Während der „Oktoberklub“ keinen Hehl daraus machte, zu den Besten im Kreise der kommunistischen Kaisers-Geburtstags-Dichter und Barden zu gehören, pflegen Campino und Gefolgschaft ja immer noch die Illusion, nicht zum Establishment zu gehören. Und das gelingt ihnen, man muss es neidlos anerkennen, mit Erfolg.

Die Jugend als vermeintliche Outlaws zu erreichen und gleichzeitig die Regierungslinie so gut zu vertreten, dass Bundespräsident und Außenminister gern zur Werbung bereitstehen, ist eine Kunst, die Hartmut König nicht beherrscht hat, aber als Mitglied der Kulturkommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED, das er später war, sicherlich prämiert hätte. Für einen solchen Auftritt wie in Karl-Marx-Stadt, ach nein, Chemnitz, hätte Genosse König bestimmt die Verleihung eines Karl-Marx-Ordens organisiert.

Hätte Campino einen solchen Orden angenommen? Ausschließen würde ich nichts mehr. Nichts scheint unmöglich. Mit ignoranter Infantilität wurde ja auch dort gefeiert, wo gerade noch gemordet wurde. „Sag‘ mir, wo Du stehst!“: Was soll ein Opfergedenken, wenn es doch falsche Opfer falscher Täter sind? Ja, wenn es richtige (linke) Opfer richtiger (rechter) Täter wären. Aber so? Da hilft nur feiern, bis die Gründe für die Chemnitzer Probleme vergessen sind.

„Dann bist Du für den Krieg“

„Sag‘ mir, wo Du stehst!“ war in der Diktatur eine klare Ansage: „Bis Du für den Sozialismus und den Weltfrieden?“ Eine differenzierte Antwort war damals nicht möglich. In jedem Fall wäre das Urteil „Dann bist Du ja für den Krieg!“ gewesen und damit wären die persönlichen Folgen unabsehbar geworden.

So wie es jetzt für Schlagersternchen wie Helene Fischer, Mark Forster oder Andrea Berg ungemütlich zu werden scheint. Genauso wie damals in der DDR. 

Werden nicht schon längst von guten, auf der richtigen Seite stehenden Künstlerkollegen Fragen nach der Haltung von singenden Nichtunterstützern gestellt? Wird nicht schon lange repressiver Druck aufgebaut? Die Fischers, Forsters, Bergs müssen doch eine Meinung haben, müssen doch Haltung zeigen!

Vielleicht ist es ja gerade dieser muffige Dunst aus Stalins Gruft (siehe Kritik und Selbstkritik in Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“) der beispielsweise Fischers‘ Helene zurückschrecken lässt? Zumindest ihre Eltern kennen das alles mit Sicherheit noch aus ihrer sowjetischen Zeit, und es wird sie frösteln lassen. Mit Recht.

Mir kommt das ebenfalls so verdammt bekannt vor und es widert mich an. Vermutlich wird es sehr vielen ehemaligen DDR-Bewohnern genauso ergehen. Auf diese Art vor einen Wagen spannen lassen? Nein, ganz im Gegenteil! 

Gute Morde, schlechte Morde?

Mord ist Mord. Vor dem Gesetz sind alle gleich: Egal ob Rechtsextremist, Linksextremist, Islamist oder Frauenfeind. Aber in der Bundesrepublik des Jahres 2018 mehren sich auch daran allenthalben die Zweifel. Und der Auftritt des FDJ-Singe-Clubs mit Campino vornean nährt diese eher, als das er sie zerstreut.

Ulf Poschardt schrieb am Dienstag in der Welt „Der Punk stirbt in Chemnitz“. Er hat wohl recht. Die Verbleichenden wissen es nur noch nicht. Dagegen Anjodeln wird nicht helfen. 

Wer gemeinsam mit Linksextremisten Rechtsextremismus bekämpfen will, der meint es ebenso wenig ehrlich mit der Demokratie wie diejenigen Zeitgenossen, die sich nicht an „Heil Hitler-Rufen“ stören und hinter und neben solchen Krakeelern herlaufen.

1989 gingen im Osten die meisten Menschen gegen eine linke Diktatur auf die Straße. Eine rechte Wiederholung wollten sie ebenso wenig. Freiheit und Demokratie waren die Ziele.

Es ist ein gefährliches Spiel, welches die Macher des montäglichen Chemnitzer Konzertes spielen. Mit dem Auftritt von „Feine Sahne Fischfilet“ schlossen sie tausende Chemnitzer von vornherein aus. Das ist Kollateralschaden Numero eins. Nicht wenige Chemnitzer und Ostdeutsche werden den aus ganz Deutschland organisierten Zug der Oberlehrer als Invasion empfunden haben. Das wird der AfD Zulauf bescheren. Was wiederum Kollateralschaden Numero zwei ist.

Der Bundespräsident rief mit seinem Hinweis auf „Feine Sahne Fischfilet“ Mitmenschen zur Demo, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, mit Linksextremismus jedoch keine Probleme haben. Das ist Kollateralschaden Numero drei. Damit exerziert das Staatsoberhaupt die SPD-Volksfrontlinie vom Leipziger Parteitag 2013: Alle, auch die äußere Linke, gegen rechts! 

Seitdem ist in der bundesdeutschen Offizialoptik alles rechts, auch die Mitte. Die Statik dieser Republik nahm daran schon schweren Schaden. 

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Rafael Sterzer / 05.09.2018

Lieber Autor, wenn ein Schaden, den Sie beschreiben der größerer Zulauf an die AfD sein soll, dann erklären Sie mir bitte warum? Soweit ich das überblicken kann, ist die AfD genau für die Dinge, die Sie so zutreffend in Ihrem Artikel beschreiben. Also was soll das AfD Bashing jetzt?

Martin Wessner / 05.09.2018

Es ist absolut richtig, dass man nicht neben den “Heil Hitler”-Rufern, als auch nicht neben den “Deutschland, du mieses Stück Sche….”-Krakelern laufen sollte. Nur wie soll man als friedliebender, nicht kampfsporterprobter Normalbürger das sich selbst eingeladene radikal-extremistische Klientel von seiner Demonstration fernhalten, ohne zu riskieren, anschliessend einen Zahnarzt konsultieren zu müssen? Eine Idee?

Michael Fabian / 05.09.2018

Herr Weißgerber,  ob Sie es glauben oder nicht, aber Hartmut König war der erste Name, der mir bei dem dümmlichen Slogan #wirsindmehr einfiel. König organisierte als oberster FDJ-Kulturfunktionär das größte Konzertevent der DDR, das Bruce Springsteen Konzert am 19.7.1988 in Berlin. In einem TV-Interview erzählte er einmal, wie seine Illusion,  160000 Jugendliche seien wegen der FDJ -Parole “Solidarität mit Nicaragua” (so stand es auf den Tickets!) gekommen, unter dem gellenden Pfeifkonzert gegen Katarina Witt und dem Anblick hunderter selbstgenähter US-Flaggen zerplatzte. Die Transparente mit den FDJ-Sprüchen hatte Springsteens Manager Landau einfach abhängen lassen. Ein gutes Jahr später entwich der Rest der Luft mit einem leisen “Pffft” aus der bunten Seifenblase. 60000 Leute bei Tote Hosen kostenlos und Freigetränken bedeuten politisch ebensoviel wie damals, nämlich gar nichts, die meisten wollten einfach nur die Bands für lau hören und Spaß haben.  Bedauerlicherweise jedoch müssen an der Hoffnung, die bunte Seifenblase werde genauso harm-und geräuschlos platzen wie 1989, berechtigte Zweifel angemeldet werden.

Werner Arning / 05.09.2018

Wer bereits, und sei es als junger Mensch, in (sozialistischen) Diktaturen gelebt hat, erkennt ihre Mechanismen und ihre Vorboten. Er wird sich verweigern und nicht in Reih und Glied eintreten. Und das ist gut so.

Leo Hohensee / 05.09.2018

@U.Kemmerling, ich kenne weder die aktuellen Musikgruppen noch die genannten aus DDR-Tagen. Daher kann ich Herrn Weissgerbers Argumente vermutlich nicht richtig nachvollziehen. Aber ich habe insgesamt den gleichen Eindruck wie Sie, Herr Kemmerling, wenn Sie schreiben, “...... versuchen Sie dennoch aus Bürgern Nazis zu machen und aus Linksradikalen Bürger. Das ist entschieden abzulehnen.”

Helmut Driesel / 05.09.2018

Vielleicht tröstet es Sie ein wenig, dass obengenannte Musiker als Kulturfunktionäre in einer künftigen linkstotalitären Regierumg ihre eigenen Texte verbieten müssten.

Volker Kleinophorst / 05.09.2018

Linksradikale, Punker, Vielfaltspinsel und Mitglieder der Regierung Merkel bekämpfen in einer nahezu reinweißen, ja arischen Veranstaltung mitten im buntesten Deutschland, was man auf die Schnelle hervorzaubern konnte, in “demokratischer Einheitsfront” die Gegner und Kritiker des Systems (Merkel). Da hat sich ja die Volksfront von Judäa mit den Römern ins Bett gelegt. Unser 24/7 “Wahrheitssystem” mit Hashtags, Lügen, und Rockkonzerten toppt jede Satire: Feministinnen, Kirchen ja sogar Schwulenverbände kämpfen für Islam und Kopftuch. Die Justizministerin erklärt den Volkswillen für irrelevant. Unser Geld wird über unsere Köpfe an Jedermann verteilt. ZDF-Starreporterinn Dunja Hayali sagt auf den Anwurf “Sie müssen objektiv berichten” von Inge Steinmetz in Chemnitz in die Kamera: “Nö. muss ich nicht.” (youtube: chemnitz Hayali. Im Staatsvertrag steht etwas anderes.) Bei Merkel weiß man doch gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Was hält diese Frau an der Macht? Ist das ohne “Verschwörungsthorien” überhaupt erklärbar? PS.: Fällt nur mir auf, wie friedlich die Welt geworden ist, seit so viele Frauen - davon ja einige durchaus Verhaltensauffällig - an den wichtigen Schaltstellen sitzen? (Ich schreib mal lieber Ironie dahinter und “Is gegen Rechts”. Dann geht ja Alles durch ;) .) Und damit das hier nicht so unversöhnlich zuende geht: Ich bin der Meinung, dass Vera Lengsfeld eine formidable Kanzlerin abgeben würde. Und das ist mein voller Ernst und eine gute Antwort auf die Frage: Wer soll es denn machen? Zwei Mal ein Unrechtssystem auf deutschem Boden zu Fall zu bringen, mehr Rückgrat geht nicht. Ich ziehe meinen Hut. Liebe Vera: Wir schaffen das!

Hubert Bauer / 05.09.2018

Wenn es ausreichen würde, dass ein Staat nicht Rechts ist, dann wären Nordkorea, Kuba und Venezuela Musterstaaten. Aber das ist natürlich Unsinn. Ein Staat ist nach Jahrhunderte alter westlicher Erfahrung gut, wenn er eine lebendige (!) Demokratie und ein ideologiefreier funktionierender Rechtstaat ist und dort die christlichen Werte (unabhängig von der Religion) und die Errungenschaften der Aufklärung gelten. Diese vier Säulen der westlichen Welt werden aber von den Linken derzeit mit Füßen getreten, während sie von den (gemäßigten) Rechten verteidigt werden.

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