Nachdem die Automobilindustrie nicht einmal vor Tier- und Menschenversuchen haltmacht, wird es höchste Zeit, auch einmal auf ihre absolut sexistische Praxis hinzuweisen. Die reicht ziemlich weit zurück, wenn ich das richtig sehe, nämlich bis ins Jahr 190 vor Christus. Damals schuf ein talentierter Bildhauer die „Nike von Samothrake“ – und damit die erste Kühlerfigur. Obwohl der Windkanal noch nicht erfunden war, verrät die Marmorstatue aerodynamische Grundkenntnisse.
Die Göttin befindet sich im Landeanflug, mit offenen Flügeln leicht nach vorne gebeugt. Die Flügel werden vom Fahrtwind aufgebläht und nach hinten gedrückt. Das flatternde Gewand wird eng an den Bauch gepresst, der wie entblößt wirkt. Mehr als 2.000 Jahre später sah sich der britische Bildhauer Charles S. Skyes zuerst die Nike von Samothrake ganz genau an und dann Miss Eleanor Velasco Thornton. Die war Sekretärin und Geliebte des hochmögenden Lord Douglas-Scott-Montague und stand als Gallionsfigur für dessen privaten Rolls-Royce Modell.
Die schöne Frau auf dem Kühler kam so gut an, dass sie schließlich als „Spirit of Ecstasy“ in Serie ging. Ursprünglich sollte sie „Spirit of Speed“ heißen. Der Volksmund nennt sie stattdessen prosaisch „Emily“. Die humanistische Bildung hat bedauerlicherweise ein wenig nachgelassen, und die Nike von Samothrake ist uns heute nur noch als Namensgeberin für amerikanische Turnschuhe geläufig.
Die gemeinsame Geschichte von Frau und Auto begann also nicht etwa unter der Haube, sondern auf der Haube. Der heutige Besitzer von Rolls-Royce sitzt in München und heißt BMW. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der offensichtliche Missbrauch der jungen Frau zur Stimulation reicher Säcke mit den Markenwerten des Unternehmens übereinstimmt. In den BMW-Compliance-Regeln heißt es: „Sexuelle Belästigungen sind, ebenso wie alle anderen Formen der Belästigung am Arbeitsplatz, generell verboten. Jeder hat ein Recht darauf, dagegen geschützt zu werden. Es spielt keine Rolle, ob ein Täter sein eigenes Verhalten für akzeptabel hält, oder ob der Betroffene die Möglichkeit hat, sich der Belästigung zu entziehen“.
Safe Space im Kühlergrill
Was „Spirit of Ecstasy“ alias Emily anbetrifft, haben die Rolls-Royce-Ingenieure vorerst eine technische Lösung gefunden. Sobald ein alter, weißer Mann die Figur betatschen will, zieht sie sich automatisch in einen Safe Space im Kühlergrill zürück. Aber sehen sie hier selbst. Dies ist meines Wissens der erste diskriminierungsfreie Raum, der über 250 km/h schnell ist. Bei BMW selbst lässt die Sensibilität noch ein wenig zu wünschen übrig, wie dieser Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung veranschaulicht: „Prüf Sie mündlich“.
Die Achse-Autorin Cora Stephan hat die Geschichte um Frauen und Männer, Autos und Liegesitze bereits 1990 in einem Essay für die legendäre Schweizer Kulturzeitschrift Du auf eine kurze, aber einleuchtende Erkenntnis eingedampft: „Das Auto ist die Traumfrau des Mannes“. Ferner schreibt sie: „Nun nähern wir uns dem Arkanum, dem Führerhauptquartier, sozusagen. Den Sportsitz mit beheizter Rückenlehne dürfen wir hier voraussetzen, auch den Schroth Hosenträgergurt 4003 in Rot mit Gurtpolster. Denn hier bindet er sich gern, der Mann, um in aller Seelenruhe Hand an die Dame legen zu können. An den Raid-Holzlederlenker etwa, mit dem er die Schaluppe hochgerüstet hat.“
Diese Worte erinnern mich auf fatale Weise an meine erste Begegnung mit Giulia, eine Schöne aus dem Hause Alfa Romeo, die ich 1978 im jugendlichen Alter im Halbdunkel eines Gebrauchtwagensalons entdeckte. Ich musste sie haben, koste es, was es wolle. Sie entpuppte sich als echtes Callgirl. Sie mochte keinen Regen, und wir waren deshalb Stammgast an der Notrufsäule. Ich konnte ihr dennoch nicht böse sein.
Dass von der Automobilindustrie seit jeher nicht nur weibliche Reize, sondern auch männliches Begehren für profitgierige Interessen ausgebeutet werden, das verrät alleine schon das Studium der diversen Automobilnamen. Im Internet wurde inzwischen eine ganze Liste betroffener „Autoinnen“ veröffentlicht.
Die Liste der Vergehen ist lang, denn schon kurz nach der Erfindung des Automobils ging es unverhohlen sexistisch zu. Der Name „Mercedes“ ist beispielsweise ein spanischer Frauenname. Übersetzt bedeutet er: „Gnade", was die Preispolitik des späteren Automobilunternehmens nachhaltig prägte.
Die Marke Mercedes tauchte erstmals im Jahre 1900 auf, als der Deutsch-Österreicher Emil Jellinek einen extra für ihn angefertigten Rennwagen unter diesem Pseudonym anmeldete. Dafür missbrauchte er den Namen seiner Tochter, Mercédès Adrienne Ramona Manuela von Weigl, geborene Jellinek, geschiedene Schlosser.
Doch auch als das Auto später demokratisiert und massenkompatibel gemacht wurde, ging es hemmungslos weiter mit der rücksichtslosen Okkupierung wohlklingender Frauennamen. Denken wir nur an die Isabella. Der Name Isetta scheint ebenfalls in diese Kategorie zu gehören, tut es aber nicht. Die Firma, die die Isetta ursprünglich herstellte, hieß Isothermos und produzierte Kühlschränke. „Isetta" heißt nichts anderes als „kleiner Kühlschrank“. Die Italiener sind in diesem Fall also freizusprechen. Ansonsten erhebt sich schon die Frage, ob die Giulias und Isabellas nicht aus den Auto-Museen entfernt werden sollten, ähnlich wie Statuen griechischer Knaben und Abbilder lockender Nymphen.
Die Marke Toyota versuchte ihre erotische Ausstrahlungskraft bis Ende der neunziger Jahre durch eine „Carina“ und ein „Starlet“ zu heben. Funktionierte aber nicht. Von einem Starlet erwartet Mann alles mögliche, aber nicht Platz eins in der ADAC-Zuverlässigkeits-Statistik.