Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fiel in den vergangenen Tagen durch zwei feurige Aufrufe auf. Zum einen: Ein rein türkisches Auto muss her! Das würde die Kompetenz des großen Führers auf neue Gebiete ausdehnen, bislang bestanden seine Ingenieursleistungen ja eher in der Konstruktion von Staatsstreichen und Terrorvorwürfen gegenüber Journalisten.
Eigentlich gibt es in der Türkei ja längst eine recht florierende Auto- und Zulieferer-Produktion. Seit Jahrzehnten schon ist die Türkei ein wichtiger Standort für Automobil-Hersteller, etwa Mercedes-Benz, MAN, Renault, Fiat, Ford und Toyota, die in Anatolien Autos und Lastwagen für Europa und die benachbarten Regionen produzieren lassen. Die Löhne liegen nur bei einem Viertel der europäischen Standorte, die türkischen Mitarbeiter (viele davon waren zuvor in Deutschland) gelten als sehr qualifiziert.
Aber darum geht es dem Großmogul gar nicht. Es geht ihm um ein genuin türkisches Gefährt, als Ausdruck wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Symbol des Nationalstolzes. Gleichsam ein Turbo mit einwandfreiem türkischem Stammbaum, zur Mobilisierung der türkischen Massen. Es gibt da Vorbilder, beispielsweise den Volkswagen-Käfer, der ja ebenfalls mit Ariernachweis das automobile Licht der Welt erblickte. Die begeisterten Volksdeutschen sparten fleißig auf den KdF-Wagen, sie bekamen allerdings den Kübelwagen – und der wurde auch nicht an sie, sondern an die Wehrmacht ausgeliefert, die damit vorübergehend neuen Lebensraum im Osten inspizierte.
Der natürliche Feind des Anadol war der Esel
Nicht ganz so tragisch, aber ähnlich geländegängig waren die ersten Versuche in den 60er-Jahren, ein türkisches Fabrikat zu etablieren. Zu der damaligen Zeit waren fast alle Taxis und Dolmusche (Sammeltaxis) große Amischlitten und eine robuste lokale Alternative sollte her. Sie hieß „Anadol“. Der Motor stammte vom englischen Ford-Cortina. Das Fahrwerk war robust wie die Schienen der Eisenbahnlinie von Istanbul nach Ankara. Die Karosserie bestand aus Fiberglas. Daran knabberten die Esel, die es damals in der Türkei noch in besonders großer Zahl gab. Zur weiteren Dezimierung des Anadol-Bestandes trugen weggeschnippte Zigaretten bei, denn der Anadol war leicht entflammbar und brannte innerhalb weniger Minuten komplett aus. Fotos von vom Esel ausgebeinten oder abgebrannten Anadols trugen zur Erheiterung der Einheimischen bei, förderten aber nicht das Prestige des indigen türkischen Automobils als solches.
Es wird also höchste Zeit für einen neuen Anlauf zur Wiederherstellung und Mehrung von Ruhm und Ehre des Vaterlandes. Dazu passt auch der zweite aktuelle Aufruf des vielfältig talentierten Mr. Erdogan. Und der lautet: „Es ist Pflicht eines Muslims, sich zu vermehren.“
Als Angehöriger einer Auto-Nation fällt einem natürlich sofort auf, dass diese beiden Vorschläge zusammen gedacht werden müssen. Das Vermehren ist im Grunde ja das gleiche wie Autos konstruieren, macht allerdings mehr Spaß. Nun verfügt der Islam, wenn es um die Kategorie Spaß geht, bekanntlich über vier Scheibenbremsen mit doppeltem Bremskreislauf und Notbrems-Assistent. Wo bitteschön sollen sich Muslime vermehren, sofern sie nicht verheiratet sind? Oder zumindest das Vermehren ein bisschen üben? Bingo: Im eigenen Auto, da muss die bekopftuchte Großfamilie draußen bleiben.
Man darf die durch das Auto als Balzplatz geleistete gesellschaftliche Subversion nicht unterschätzen. Im Amerika der 20er-Jahre, das zwar keine islamischen Klemm-Vorschriften, aber durchaus prüde Repression kannte, wurde die Sache erstmals aktenkundig. So schrieb beispielsweise John Steinbeck in „Die Straße der Ölsardinen“ (Cannery Row):
„Man müsste einmal eine Abhandlung über den sittlichen, physischen, ästhetischen Einfluß des Modell-T-Ford auf das amerikanische Volk herausgeben. Zwei US-Generationen wußten mehr über Fords Zündstift als über die Klitoris...Die meisten Babys jener dahingegangenen Epoche wurden im Modell-T-Ford gezeugt...“.
Der Gitarrist Mason Williams beschrieb sein erstes Auto so: „Es gab viele erste male in diesem Auto: Meine erste wirkliche Erkenntnis der Zeit und der Unabhängigkeit, meine ersten Abstecher in die Städte der Umgebung, meine erste Sally auf dem Rücksitz, mein erster Rausch, mein erster Unfall....“
Die Suchanfrage „Sex und Auto“ ergibt bei Google 112 Millionen Ergebnisse. Auf Türkisch heißt das laut Google-Übersetzer „Seks ve araba“, das ergibt immerhin 636 000 Ergebnisse, darunter pädagogisch wertvolle Youtube-Movies wie dieses. Auch die Deutsche Qualitätspresse widmet sich dem Thema interkulturell sensibel: „Fessel-Sex mit dem Anschnallgurt – schon mal probiert?“ fragt Bild, „bequem ist Sex im Auto zwar nicht, dafür aber ziemlich heiß“, antwortet „gofeminin“. „Plötzlich fielen Jochen und Esther im Auto übereinander her“ berichtet der Stern-Ableger „Nido“, während Focus „die besten Brummer für die heiße Nummer“ empfiehlt. Die Moral der schon länger hier lebenden Muslime wurde also bereits in erfreulichem Maße tiefergelegt. Die große theologische Frage lautet nun: Dürfen solche Praktiken auch in Erdogans Halal-Automobil angewandt werden?