Erik Lommatzsch, Gastautor / 12.07.2018 / 13:36 / 4 / Seite ausdrucken

Der poetische „Staatsgründer“ Stefan George

Fällt der Name George, so werden damit in Deutschland vor allem zwei Schauspieler verbunden. An den aus Büdesheim – heute ein Stadtteil von Bingen – stammenden Dichter Stefan George denken nur wenige. Man könnte schon fast einen Interpretationsbogen aus der Tatsache schlagen, dass eines der verbreiteteren Gedichte mit den Zeilen Komm in den totgesagten park und schau:/Der schimmer ferner lächelnder gestade beginnt.

Zuweilen geht es einem „Staatsgründer“ so. Am 12. Juli vor 150 Jahren geboren, dichtend (das mag noch Geschmacksache sein), durch Werk und persönliche Wirkung äußerst einflussreich (das ist eine Tatsache), nicht nur von der germanistischen, historischen und  soziologischen Forschung durchleuchtet sowie mittels Werkausgaben erschlossen – und doch in der Breite erstaunlich unbekannt.

Das exzentrische, von 1868 bis 1933 währende Leben war vollgepackt. Symbolismus und Ästhetizismus brachte er gegen den zu seiner Zeit Deutschland vorherrschenden Naturalismus in Stellung, die kunst für die kunst war sein Ideal. Bei Stéphane Mallarmé war er in Paris zu Gast, mit Hugo von Hofmannsthal verband ihn wechselseitige dichterische Wertschätzung, die darüber hinausgehende Wertschätzung teilte das Wiener Wunderkind nicht.

George lebte unruhig ortswechselnd, München und Berlin waren Fixpunkte. Bei seinen Gedichtbänden (angefangen von Hymnen über Der Teppich des Lebens bis hin zu Das Neue Reich) legte er größten Wert auf die Stimmigkeit von äußerer Form und Inhalt. Übertragen hat er seine lyrischen Zeitgenossen, etwa Baudelaire und Rimbaud, ebenso Klassiker wie Dante oder Shakespeare. Eine Zeitschrift gab es auch – die Blätter für die Kunst.

Die Mystik war nie weit

Einige von Georges Gedichten wurden vertont, neben Cyrill Scott und Arnold Schönberg konnte auch Theodor W. Adorno einem solchen Unterfangen etwas abgewinnen.

Die Erneuerung der deutschen Dichtung als Ziel war das eine, Georges Bestrebungen weiteten sich jedoch schnell aus. Einen Kreis scharte er um sich (oder ein Kreis scharte sich um ihn), man sprach von „Jüngern“ und „Meister“, pflegte elitäres Bewusstsein und produzierte – Literatur, Kunst, Geschichtsschreibung. Georges Einfluss auf das geistige Leben der Zeit um 1900 bis weit über seinen Tod hinaus ist nur schwer zu überschätzen. Der Kreis wurde auch gern als „Staat“ bezeichnet. Am Werk des Germanisten Friedrich Gundolf nahm George ebenso gestaltenden Anteil wie am Buch von Ernst Kantorowicz über den Stauferkaiser Friedrich II.

Seine Selbstverschlüsselung und -stilisierung zelebrierte George bis ins Äußerste, die Mystik war nie weit. Einer großen Verbreitung seines Werkes wirkte er eher entgegen, für die „Masse“ hatte er es nicht bestimmt. Selbst die Weitergabe seiner Fotografien überwachte er peinlich genau. Der Satz „Wir brauchen wenig, aber dies wenige muss gut sein“, soll auf ihn zurückgehen. Auf Dauer ungeklärt wird bleiben, was sich hinter dem Begriff des Geheimen Deutschland verbarg, welcher im George-Kreis eine so große Rolle spielte. Der spätere Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg war unter denen, welche Georges Totenwache hielten.

Gelegenheit, den Dichter (wieder) zu entdecken, gibt es mittels dickleibiger Biographien, Schriften aus seinem „Jüngerkreis“ oder Arbeiten mit speziellen wissenschaftlichen Fragestellungen reichlich. Die beste Variante der Annäherung sind natürlich die eigenen Worte des „Meisters“. Zur Vertiefung des hier nur minimal Angerissenen und um einen Eindruck seiner Dichtungen zu bekommen (welche ob ihrer mitunter schweren Zugänglichkeit fachkundig eingeleitet und erläutert werden), ist ein frisch erschienenes Bändchen sehr gut geeignet: Stefan George, Dies ist ein lied für dich allein. Vierzig Gedichte ausgewählt und gedeutet von Wolfgang Braungart & Ute Oelmann, Mainz: Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung 2018.

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Helge-Rainer Decke / 12.07.2018

Sabine Schönfelder, so einfach macht es Ihnen George nicht. Hier ein Exzerpt aus seinem Leben und Wirken: In seinem Spätwerk „Das neue Reich (1928) verkündete George eine hierarchische Gesellschaftsreform auf der Grundlage einer neuen geistig-seelischen Aristokratie. Sich auf diesen Gedichtband berufend, wollten die Nationalsozialisten George für ihre Zwecke einspannen. George verfolgte jedoch die Verwirklichung eines Reiches auf rein geistiger Ebene und wollte keine politische Verwirklichung eines hierarchischen und totalitären Systems. Deswegen lehnte er die Gesuche der Nationalsozialisten ab. Nach der Machtübernahme 1933 bot Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ihm die Präsidentschaft einer neuen deutschen Akademie für Dichtung an. Auch dieses Angebot lehnte George ab, ebenso blieb er der von Parteiseite pompös inszenierten Feier zu seinem 65. Geburtstag fern. Stattdessen begab er sich in die Schweiz, wo er am 4. Dezember im Krankenhaus von Locarno starb. Ob er mit dieser letzten Reise ein Exil suchte oder nur einen vorübergehenden Aufenthalt plante, ist ungeklärt. George wurde auf dem Friedhof von Minusio bei Locarno bestattet. An seinem Begräbnis nahmen auch die Brüder Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg teil. Quelle: Der Tagesspiegel) ☝️

R.E.Rath / 12.07.2018

An Frank Holdergrün: Sie können, müssen aber das Zeug nicht lesen. Ihre Frage sollte Ihnen Antwort genug sein.

Sabine Schönfelder / 12.07.2018

Ein exzentrischer, homosexueller Egomane mit viel Liebe zur Selbstdarstellung und Sendungsbewußtsein. Seine Dichtung war nicht für die ‘Masse ’ bestimmt , ist logische Konsequenz seines elitären Anspruchs, der sonst ad absurdum geführt würde. Ein Dichter, der einen Hitlerattentäter zu seinen Totenwächtern zählen darf, wird gerade aktiviert, um sich als ’ Liebkind ’ des linken Zeitgeistes gegen die angeblich aufkommende rechte gesellschaftliche Verschwörung adoptieren zu lassen. Oder täusche ich mich?

Frank Holdergrün / 12.07.2018

Und warum sollte ich dieses unverständliche, mystisch überzogene Ego lesen?

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