Gastautor / 30.04.2015 / 18:00 / 2 / Seite ausdrucken

Der Netzpöbel und sein digitaler Extremismus

Von Marko Martin

Die Empörung ist in der Tat gerechtfertigt, die Alarmanlagen sind nicht grundlos angeschaltet. Doch unser basses Erstaunen über die dunkle Seite des Internets, über Hass-Tweeds, Terror-Websites, Nazi- und Islamistenpropaganda via Facebook ist naiv und lächerlich. Hatte man tatsächlich geglaubt, in der Welt der sogenannten “sozialen” Netzwerke herrsche per definitionem eitel Sonnenschein und bereits das Wörtchen “sozial” garantiere ein Einander-Zugewandtsein?

Wobei Letzteres sehr wohl stattfindet, nur eben etwas anders buchstabiert: Nazis verabredeten sich per “FB” und Whatsapp zu gemeinsamen Demos gegen Ausländer, Flüchtlingsheime und legitime Bürgermeister, Islamisten streifen durch die Chaträume, um gelangweilte junge Leute für ihren massenmörderischen Dschihad zu gewinnen. Sie alle sind – wenn auch auf destruktive Weise – dabei durchaus Teil jener “Schwarm-Intelligenz”, von der uns die Nerds des Internetzeitalters permanent vorschwärmen.

Mehr noch aber sind sie die jüngste Inkarnation jener bereits 1960 von Elias Canetti in seinem Klassiker “Masse und Macht” beschriebenen “Hetzmeute”. Doch selbst in politisch respektablerem Rahmen sieht es ungut aus: So hat sich in Italien die “basisdemokratisch” internetaffine Bewegung “Fünf Sterne” längst als autoritäre Führerpartei entpuppt. In der geht nichts ohne Wort und Wille des Komikers Beppe Grillo, Alleinbesitzer des für alle “Grillini” maßgeblichen Blogs.

Während in Deutschland die Piraten, von politischen Flachdenkern bereits als Erbe der Grünen gehypt, mit ihrem geradezu pfäffischen Gehabe (Laptops und permanenter Online-Status als neuer Katechismus und selig machende Lehre) längst in der selbst verschuldeten Irrelevanz untergegangen sind.

Es stellt sich deshalb die Frage, wie marod und schläfrig ein allgemeines Bewusstsein beschaffen ist, das sich vom Eintreffen dieses schlicht Erwartbaren nun derart verdutzt zeigt. Sind es die Sirenenklänge eines erneuerten “Come together”, mit denen inzwischen selbst Nichtraucher nur Gutes und Wahres assoziieren?

Dabei ist es wohl viel banaler: Jede Generation konstruiert und folgt einem Fetisch. Die gegenwärtige Vergottung digitaler Schnelligkeit, von konservativen Kulturkritikern wieder einmal viel zu voreilig zum skandalösen Novum erklärt, ist lediglich Nachhall und neueste Spielart raumgreifender Utopien, die es schon immer gab.

Bereits die alten Mythen erzählen eher Aufbruchs- als Rückkehrgeschichten, und die kollektiven Kreuzzügler des Mittelalters waren von der Idee des Mobilen nicht weniger angefixt als die Gebildeten des 18. und 19. Jahrhunderts mit ihrer Präferenz für eine Grand Tour. Zünftige Gesellen gingen auf “Walz” genannte (Berufs-)Wanderschaft, die amerikanischen Beat-Poeten on the road.

Die feine Balance zwischen praktischer, lebensweltlicher Neugier und ideologischer Überhöhung aber ist fragil, und gerade die Ideologien des 20. Jahrhunderts zeigten die hässliche Fratze: Sowohl Kommunismus wie Nationalsozialismus und Faschismus verstanden und inszenierten sich als alles Herkömmliche verachtende Bewegungen, denen freilich die Welterfahrung des Einzelnen herzlich wenig galt.

“Vorwärts immer, rückwärts nimmer”, kreischte noch im Herbst 89 der greise Genosse Honecker. Gewiss: Der vermeintlich hyper-individuelle “User” von heute ist nicht der graue “Genosse” von damals. Auch wenn beide die Vorliebe für distanzlos übergriffiges Sofort-Duzen teilen.

Was aber, wenn beide die Illusion eint, an etwas zuvor nie da gewesenem Innovativem und Emanzipatorischem teilzuhaben, wobei sie in Wirklichkeit doch nur uraltem Hordentrieb folgen – Stamm, revolutionäres Kollektiv, Volksgemeinschaft, Flashmob, nicht zu vergessen “Zettelfalten” bei unfreien Wahlen und “Mouseklicks” bei irgendwelchen Internetabstimmungen.

In der Tat sind es altbekannte Muster: Bereits die antizionistisch “umherschweifenden Haschrebellen” genossen die Binnenwelt ihrer redselig benebelten Westberliner WG´s, Chaträume avant la lettre. Schon damals warnte der sozialliberale 68er-Kritiker Manès Sperber vor dem “Meinungssuff” der damaligen Youngster, und ein soziologischer Bestseller der Endsiebzigerjahre trug den Titel “Das Zeitalter des Narzissmus”.

Darin diagnostizierte sein Verfasser, der Amerikaner Christopher Lasch, bei seinen Zeitgenossen folgende Phänomene: “Fragwürdige Formen von Bekenntnis und Selbstenthüllung, Verdrängung des religiösen durch therapeutisches Denken, Radikalismus als Straßentheater, Kult der Authentizität, bürokratische Abhängigkeit und Narzissmus.”

Wenig Neues also unter der Sonne: Macht- und Manipulationsverhältnisse, die damals als “Interdependenz” kaschiert wurden, verstecken sich heute hinter den Vokabeln “horizontale Partizipation”, “flache Hierarchien” oder ähnlichem Wortgeklingel.

Die Hybris freilich ist die gleiche. So schrieb einer der gegenwärtigen Gurus, der amerikanische “Libertäre” John Perry Barlow, in seiner hymnisch aufgenommenen “Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace”: “Unsere Welt ist anders – überall und nirgends, und sie ist nicht dort, wo Körper leben.”

Der Abstrahierungswahn selbst ernannter Info-Eliten – autoritäre Gröfaze im endlosen Netzraum – kostet freilich ganz konkret Menschenleben. Wie viel bislang anonyme Übersetzer, Köche und Fahrer der US-Armee im Irak und Afghanistan mögen Julian Assanges selbstherrliche Wikileaks-Enthüllungen wohl bereits mit dem Leben bezahlt haben?

Und was soll ein italienischer Bürger denken, wenn er die abgeklärten Netz-Nerds um Beppe Grillo plötzlich zu furchtsamen Jasagern schrumpfen sieht, die nichts so sehr fürchten, wie von ihrem Boss “entfreundet” zu werden, zurückgestoßen in den Orkus der Nichtvernetzten?

Man muss gewiss nicht so weit gehen wie der Soziologe Alessandro Dal Lago, der angesichts all dieser beunruhigenden Phänomene bereits vor einem “elektronischen Faschismus” warnte. Man sollte nur endlich jene angestrengt hippe Technikgläubigkeit hinterfragen, die ohnehin nur das Zerrbild jener ebenso hysterischen Moderne-Phobie der vorangegangenen Ökopax-Generation ist.

Deprimierend, lächerlich, aber doch nun einmal simple Tatsache und als solche ernst zu nehmen: Noch jede Alterskohorte seit Beginn der Welt pflegt ihre je eigene Erlösungsideologie, glaubt sich ewig jung und negiert Ambivalenzen.

Darauf hinzuweisen hat nichts mit ranzigem Kulturpessimismus zu tun, eher schon mit subversiver Skepsis. Der Status des Eingeloggtseins garantiert jedenfalls keineswegs den Eintritt ins herrschaftsfrei parlierende Menschheitsparadies. Mitunter grölt und hetzt da auch nur der Nazi und Islamist von nebenan.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Roland Tluk / 30.04.2015

Ist das nicht belanglos, was irgendwelche Leute schreiben? Dass dieses Politikerkastensystem, aufgrund ihrer Lügen und eigensüchtigen Treiben, in Deutschland die Internet-Reformation nicht überleben wird, ist kein Geheimnis.

Roland Harsy / 30.04.2015

Schöner Text. Aber kein Mitleid mit diesen Leuten die glauben hip zu sein weil sie das tun, was andere ihnen vorkauen. Mit uns anderen allerdings auch nicht - sind diese Dödel ja aus der Mitte der Gesellschaft herausgewachsen und damit auf unser aller Mist. Die Auswirkungen sind ja nicht zu übersehen, angefangen vom Smartphone Gestarre der vornehmlich jungen Generation bis zum Geplärre irgenwelcher selbsternannten Hipster vornehmlich Netzaffin - die glauben die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und auch den allerletzten Dünnpfiff den sie absondern für der Weisheit letzter Schluß halten. Das wird sich so oder so im Laufe der Geschichte erledigen und leider auch stets aufs neue wiederholen - ich fürchte so ist der Lauf der Dinge.Und wird vielleicht immer so sein. Immerhin kann man über solche Figuren wenigstens herzlich lachen. Ganz anders als über Hexenverbrenner im späten Mittelalter oder die Kopfabschneider heutzutage, ein bisschen weiter östlich. Die vom Selbstverständnis her auch innovativ waren oder sind.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 30.04.2024 / 06:15 / 30

Warum belohnt Biden Feinde und ignoriert Verbündete?

Von Michael Rubin. Demnächst wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, ein Feind Amerikas und Israels, in Washington empfangen. Joe Biden sollte besser einen Problemlöser…/ mehr

Gastautor / 17.04.2024 / 13:00 / 15

Islamismus: Täter und Wohltäter

Von Sam Westrop. Die globale islamistische Wohltätigkeitsorganisation Islamic Relief arbeitet mit hochrangigen Hamas-Beamten zusammen, darunter der Sohn des Terroristenführers Ismail Haniyeh. Während Mitglieder des Europäischen Parlaments im Januar…/ mehr

Gastautor / 16.04.2024 / 06:00 / 203

Doch, es war alles falsch!

Von Andreas Zimmermann. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Corona-Jahre, bei der eben nicht diejenigen das Sagen haben, die die Verantwortung für die Verheerungen dieser Zeit…/ mehr

Gastautor / 13.04.2024 / 15:00 / 6

Aufbau eines menschenwürdigen Gazastreifens (2)

Von Daniel Pipes. In Live-Interviews auf Al Jazeera und in anderen arabischen Medien machen immer mehr Bewohner des Gazastreifens ihrer Abneigung gegen die Hamas Luft.…/ mehr

Gastautor / 06.04.2024 / 14:00 / 13

Der Westen muss Geiselnehmer ächten – nicht belohnen

Von Michael Rubin. US-Präsident Joe Biden erlaubt es der Hamas, Geiseln als Druckmittel für Zugeständnisse Israels einzusetzen. Diese Haltung ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme,…/ mehr

Gastautor / 02.04.2024 / 06:25 / 60

„Traditional Wife“: Rotes Tuch oder Häkeldecke?

Von Marie Wiesner. Der „Tradwife“-Trend bringt die Verhältnisse zum Tanzen: Junge Frauen besinnen sich auf das gute alte Dasein als Hausfrau. Irgendwo zwischen rebellischem Akt und Sendungsbewusstsein…/ mehr

Gastautor / 01.04.2024 / 14:00 / 11

Neue Trans-Kinder-Leitlinie: Konsens statt Evidenz

Von Martin Voigt. Trans-Ideologie ante portas: Der neuen Leitlinie zur Behandlung minderjähriger Trans-Patienten mangelt es an wissenschaftlicher Evidenz. Sie ist nun eine "Konsens-Leitlinie". Pubertätsblocker, Hormone…/ mehr

Gastautor / 31.03.2024 / 12:00 / 5

Der Bücher-Gärtner: Warum die Giraffe nicht ohmächtig wird

Von Edgar L. Gärtner. Dieses Buch erzählt Geschichten von kleinen und großen Tieren von Seepferdchen bis zu Elefanten und Narwalen, in denen sich manchmal jahrtausendealte…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com