Rainer Bonhorst / 09.01.2024 / 16:00 / Foto: Imago / 27 / Seite ausdrucken

Der Libero – nicht nur auf dem Platz

Franz Beckenbauer ist tot. Der erste Superstar des deutschen Fußballs, Weltmeister als Spieler und als Trainer, zuweilen als „Lichtgestalt“ verklärt. Dank seiner heiteren Gelassenheit konnte ihm weltliche Unbill nichts anhaben. Sein Name weckt Wehmut nach einer anderen, freieren Zeit.

Ja, er war der Libero, auf dem Fußballplatz und jenseits des Stadions. Der Mann einer Zeit, in der es noch möglich war, in fast allen Lebenslagen ein Libero zu sein. Franz Beckenbauer weckt bei allen, die diese Zeit miterlebt haben und sich noch daran erinnern können, nostalgische Sehnsüchte nach dem Damals, als Freiheit noch selbstverständlich schien.

Der liebe Gott freut sich über jedes Kind. Dieser zutiefst christliche und zutiefst freiheitliche Satz soll zunächst einmal für „Franzls“ Libero-Aktivitäten jenseits des Spielfeldes stehen. Denn gut sah er aus, ohne zum Friseur nach Paris zu jetten, wie es unter heutigen Fußball-Schönlingen schon mal vorkommt – mit Ergebnissen, über die der charmante Franz nur sein leger getragenes Haupthaar schütteln würde. Wer zählt die Frauen, nennt die Namen, die gastlich mit ihm zusammenkamen. Und denen er bescherte, was heutige Fans lieber aus sicherer Entfernung per hochgehaltenem Pappschild fordern: „Ich will ein Kind von dir!“  Es war die Zeit, als sich Männer und Frauen noch näherkamen, ohne vorher eine notariell beglaubigte gegenseitige Einverständnis-Erklärung auszutauschen. Handschlag beziehungsweise Handkuss genügte.

Und dann die politische Freiheit, dummes Zeug reden zu dürfen, ohne gleich einen Shitstorm auszulösen und gecancelt zu werden. Unvergessen Beckenbauers Klassiker, mit dem er seine Unterstützung für eine WM in Katar untermalte: „Ich habe in ganz Katar keinen einzigen Sklaven gesehen.“ Ach, wer hätte heutzutage einen solchen spitzbübischen Satz politisch und persönlich überlebt. Unbefleckt von Farbbeuteln und ohne mediale Verbannung zur Unperson. Stattdessen kam er mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen davon, mit dem er wohl auch die eine oder andere finanzielle Kurve genommen hat, um Deutschland eine Fußball-WM zu sichern.

Die Verkörperung einer verlorenen Zeit

Vor allem aber: Der Libero auf dem Feld. Der Meister, der 90 Minuten lang nicht ins Schwitzen kam. Er hob den Kopf, sah und flankte dorthin, wo er seine Mitspieler platziert haben wollte. Den schnellen Hoeneß, den kleinen Müller, der mit allen Körperteilen Beckenbauers Lieferungen ins Tor bugsierte. Und den Katsche Schwarzenbeck, seinen Adlatus, der ihm die Bahn von unbotmäßigen Gegnern freikämpfte. Damit der Meister den Raum und die Zeit hatte, verletzungsfrei seine Ballkunst in Bewegung zu setzen.

Es war die Zeit, als die Spieler noch ohne Leibchen auf den Platz gelassen wurden. Ohne Kilometerzähler zur anschließenden Leistungsbemessung. Als es noch erlaubt war, zu den Spielern zu sagen „Geht's raus, habt's Spaß und spielt's Fußball“, anstatt sie mit computergesteuerten Analysen auf ihre Plätze zu verweisen. Als es noch möglich war, als Spieler ohne Leibchen und als Trainer ohne Computer Weltmeister zu werden.  

Kurz, als es noch möglich war, ein Libero zu sein. Ein Mensch, der nicht schwitzen musste, sondern Genie sein durfte. Ein Mensch, um den die Analysten, die Effizientiker, die Synergetiker, die Moralapostel, die Politik-Inquisiteure, die Cancelkulturbeauftragten und all die anderen Kontrolleure und Kontrolleurinnen noch keine Mauern gebaut haben.    

So einer war der Libero Franz Beckenbauer, die Verkörperung einer verlorenen Zeit.    

 

Rainer Bonhorst arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung. 

Foto: Imago

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Leserpost

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Sam Lowry / 09.01.2024

Damals waren die Straßen wirklich leer… wenn Gerd Müller, Sepp Maier und der Kaiser spielten. Beim Endspiel gegen Holland hätte man nackt durch die Stadt laufen können… r.i.p. und großes DANKE für die schöne Zeit und vor allem das spektakuläre Endspiel 2:1 gegen Holland.

Anna Hegewald / 09.01.2024

Danke schön, Herr Bonhorst, für diesen Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht. Ich habe Franz Beckenbauer immer bewundert für die Kombination aus Freude und Leichtigkeit mit Zielstrebigkeit und Fleiß - und nicht umsonst hat er alles erreicht, was es für einen Fußballer zu erreichen gibt, Weltmeister als Spieler und als Trainer. Und dann holt er auch noch die WM nach Deutschland! Das Event unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ hat unserem Land viel mehr Sympathien gebracht als die in alle Welt verschleuderten Millionen unserer Politiker! Und dann hieß es noch, er habe für 6.7 Millionen die WM „eingekauft“! Was für ein Schnäppchen! All die Würstchen, die sich später daran abarbeiteten, dem Kaiser seine Verfehlungen nachzuweisen, sollen doch nur mal versuchen, ansatzweise so was auf die Beine zu stellen! Ruhe in Frieden, lieber Franz!

Wolfgang Heinrich Scharff / 09.01.2024

Herr Beckenbauer mag ein guter bis sehr guter Fußballer gewesen sein, aber für mich als Konservativen zählen auch Werte wie Familiensinn und Bodenständigkeit. Treue ist kein leerer Wahn und mir immer eine Ehre gewesen, fragen Sie meine Gattin. Ich erinnere mich gut an den Beckenbauer, der seine Frau verließ und nach “Cosmopolis New York” ging, um dort mit dem Brasiianer “Pelle” (man sagt heute Poc dazu) in der Operettenliga zu spielen. Wilde Siebziger? Entschuldigt das alles? Deutscher Herbst nahte. Trotzdem: RIP.

A. Kaltenhauser / 09.01.2024

Franz Beckenbauer und ich gingen zum selben Friseur in München, Hermann-Sack-Straße. Offenbar war er weniger an Friseurkunst interessiert, als an einer jungen Dame die ihn manikürte und mit der er rumschäkerte. Damals war ich noch Jugendlicher und der Franz hat mir mal ein 2-DM Stück geschenkt, das ich lange in Ehren hielt. Wegen fehlendem Kleingeld aber dann doch irgendwann noch im Zigarettenautomaten landete. Als dann die langen Haare aufkamen und wir uns in der Innenstadt über den Weg liefen, meinte er mit Fingerzeig auf meine üppige Haarpracht: “jetzt wirds aber wieder mal Zeit”. Solche Typen fehlen einfach, gerade in diesen trostlosen Zeiten ...

Horst Jungsbluth / 09.01.2024

Eine “Lichtgestalt” war er mit Sicherheit nicht, das erwarten Fußballfans auch gar nicht,  aber er war einer der ganz Großen,  nicht nur im deutschen, sondern im internationalen Fussball, wo er mit allen mithalten konnte. Er war ein äusserst “eleganter” Fussballspieler, hat aber insbesondere bei der WM 1974 im eigenen Land bewiesen, dass er sich auch für die “Drecksarbeit” nicht zu schade war. Er spielte Libero, eine Position, die es danach außer bei Otto Rehagel gar nicht mehr gab, ich persönlich hätte ihn lieber offensiver gesehen, wo er durch seine überragende Technik, seinem Überblick, seine Ruhe am Ball und seine Schusstechnik das Spiel nach vorne bestimmen konnte. Bei seiner ersten WM in England 1966 hat er so auch vier Tore geschossen und dem Welttorhüter Jaschin (UdSSR)  sogar ein Ding mit dem linken Fuss reingeknallt.  Aber “Elfmeter” waren nicht sein Ding, da hat er trotz seiner überragenden Schusstechnik meist gekniffen.

Lutz Herrmann / 09.01.2024

Tja, der moderne Fußball kommt ohne Libero aus. Und Lichtgestalten wie Herrn Beckenbauer braucht er auch keine. Eigentlich schade.

Talman Rahmenschneider / 09.01.2024

“Sein Name weckt Wehmut nach einer anderen, freieren Zeit.” So ist es. Und es scheint, als wäre auf dem Sofa ein Platz verwaist. Ich habe ihn zum ersten Mal 1970 erlebt (Platz 3 in Mexico). Vater kaufte dafür endlich, endlich einen Fernseher und hatte mich für Fußball begeistert und wurde nicht müde, zu erläutern, was ein Abseits ist. Vater ein Fußballoliker behauptete auf einer Rhein-Mosel-Fahrt, die Bremsen seien defekt und könnten erst Montag repariert werden, so dass wir in einem Hotel in Boppard einliefen und das gewonnene Finale gegen Oranje sehen konnten. In Rom war ich life dabei. Und ich habe es immer gemocht, den Franz reden zu hören. Dass er das Ding, das er später unterschrieb, nicht gelesen hatte, glaube ich ihm ohne weiteres - Fußball war sein Leben, nicht dürres Juristendeutsch. Fußball war so sehr sein Leben, dass er, als Stephan starb, klagte, er habe zu wenig Zeit mit den Kindern verbracht. Die Kinder müssen wissen, dass sie ihn mit uns teilten. Er hatte viele Kinder, die ihn liebten. Er wird unvergessen bleiben für uns, die wir ihn erlebt haben. Auch Netzer ist ein Großer, doch der Kaiser war ein Quantum charmanter als der Hamburger, und auch das machte ihn aus. Vielleicht ein wenig hinterfotzig, wenn man das als spitzbübisch versteht. Ein Münchener eben.

Fred Burig / 09.01.2024

Im Gegensatz zu den deutschen Regierungspolitikern hat er wirklich was für das deutsche Volk getan! Er hat uns zwischenzeitlich des Gefühl Gefühl gegeben, so blöd, wie man uns hinstellen will, sind wir nicht! Alles “Andere” sind, gemessen an der “Verschwendungssucht” deutscher Staatsdiener, im Nachhinein doch nur Peanuts ! MfG

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