Ansgar Neuhof / 29.12.2022 / 06:05 / Foto: Hobboh / 112 / Seite ausdrucken

Der Großangriff auf die Verschwiegenheits-Pflicht

Kein geschützter Raum mehr für offene Worte? Das neue Hinweisgeberschutzgesetz hebt die berufliche Verschwiegenheitspflicht für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Berufspsychologen, Ehe-, Familie-, Jugend-, Erziehungs- oder Suchtberater de facto auf.

Nach dem Generalangriff auf die Freiheitsrechte des Grundgesetzes im Zuge der sog. Corona-Pandemie und der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen (siehe hier) folgt mit dem am 16. Dezember 2022 beschlossenen Hinweisgeberschutzgesetz gleich der nächste Tiefschlag gegen den Rechtsstaat. Bevor dann die mit einem Rechtsstaat nicht vereinbare Einführung der Feststellungs- und Beweislastumkehr im Disziplinar- und Beamtenrecht ansteht (siehe hier).

Von kaum jemandem wirklich thematisiert, räumt das Hinweisgeberschutzgesetz eine tragende Säule des Rechtsstaats in weitem Umfang beiseite: nämlich die berufliche Verschwiegenheitspflicht. Wer künftig einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Berufspsychologen, Ehe-, Familie-, Jugend-, Erziehungs- oder Suchtberater aufsucht, muss Angst haben. Angst davor, dass diese Personen etwaige Gesetzesverstöße melden.

Verschwiegenheitspflicht: Wesensmerkmal freiheitlicher Berufsausübung

Bisher verbot die Verschwiegenheitspflicht diesen Berufsgruppen, ihnen anvertraute oder bekanntgewordene Informationen an Dritte (egal ob z.B. an Verwandte oder Behörden) weiterzugeben. Sie dient der Funktionsfähigkeit der genannten Berufe und ist Grundlage eines Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsträger und seinem Mandanten/Patienten/Klienten/Betreuten. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des informationellen Selbstbestimmungsrechts hat sie zudem Verfassungsrang – so jedenfalls die bisher allgemeine Sichtweise unter den Juristen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht war bisher gemäß § 203 StGB strafbar und konnte zudem den Verlust der Berufszulassung bedeuten.

In Zukunft erlaubt das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ausdrücklich die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (siehe § 6), ohne dass Strafe und Verlust der Berufszulassung drohen. Ausnahmen bestehen nur noch für wenige Berufsgruppen wie Rechtsanwälte/Notare und (Zahn-)Ärzte/Apotheker; sie machen sich weiterhin strafbar, wenn sie ihre Verschwiegenheitspflicht verletzen (siehe § 5 Abs. 2 HinSchG).

Denunzieren als neues „Bürger“-Recht

Voraussetzung für die Berechtigung des Berufsgeheimnisträgers zur Denunziation ist lediglich, dass ein hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass die Weitergabe der Informationen an die Meldestellen notwendig ist, um einen Verstoß gegen Strafvorschriften, bestimmte Bußgeldvorschriften sowie einen umfangreichen Katalog weiterer Vorschriften (siehe § 2 Nr. 3 Buchstabe a) bis t) HinSchG) aufzudecken. Die Formulierung („hinreichender Grund zu der Annahme“) ist derart unbestimmt, dass die Voraussetzung praktisch stets gegeben sein wird. Zudem genügen bereits begründete Verdachtsmomente über Gesetzesverstöße. Ja es reicht sogar, wenn sehr wahrscheinlich Verstöße erst noch erfolgen werden (siehe § 3 Abs. 3 HinSchG).

Niemand kann somit künftig mehr sicher sein, von Personen, denen er sich anvertraut, nicht denunziert zu werden.

Wenn also beispielsweise der Steuerberater (oder sein Angestellter) aus den Unterlagen ersieht oder zu ersehen glaubt, dass der Mandant keine Alimente mehr zahle (das ist unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 170 StGB eine Straftat) oder Steuern hinterzogen habe, musste der Steuerberater bisher schweigen; er hätte sich anderenfalls strafbar gemacht. Künftig hingegen muss der Mandant damit rechnen, vom eigenen Steuerberater oder dessen Angestellten an eine Meldestelle gemeldet zu werden. Auch der IT-Dienstleister und sogar der Datenschutzbeauftragte des Steuerbüros kann eine Meldung machen, wenn er eine Gesetzesverfehlung eines Mandanten des Steuerberaters zu erkennen glaubt. Die Meldestelle kann die Meldung dann an die zuständige (Strafverfolgungs)behörde weiterleiten (siehe § 9 HinSchG).

Für die anderen genannten Berufsgruppen gilt das entsprechend. Wer zum Beispiel als Betreuter seinem Sozialarbeiter oder Suchtberater mitteilte, dass er zur Finanzierung seiner Sucht Straftaten begangen habe, durfte bislang davon ausgehen, dass dieser sie nicht anzeigt. Wer in einer berufspsychologischen Untersuchung oder einem Eheberater eine Straftat oder anderen Gesetzesverstoß offenbarte, durfte ebenfalls davon ausgehen, dass dies niemand erfahren würde. Künftig ist man hier auf das Wohlwollen des Beraters, seiner Angestellten und eingebundenen Dienstleister angewiesen.

Aber damit noch nicht genug. In einem Gerichtsverfahren durfte der Steuerberater bisher nicht als Zeuge ohne Einwilligung des Mandanten gehört werden. Das bleibt zwar so. Aber dieses Recht ist entwertet. Denn künftig können die Mitarbeiter der Meldestelle anstelle des schweigepflichtigen Berufsträgers als Belastungszeugen über die vom Berater gemeldeten Informationen gehört werden. Und sozusagen als Sahnehäubchen für alle Berufsträger (nicht nur Steuerberater): Ein kleiner beiläufiger Hinweis auf die Existenz solcher Meldestellen und die Möglichkeit zur Meldung könnte so manchen zahlungsunwilligen Mandanten ernsthaft darüber nachdenken lassen, ob er seine Bedenken gegen die Honorarhöhe nicht besser fallen lässt.

Das Schweigen der Belämmerten

Ein solch gravierender Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsträger und Mandant/Betreutem hätte zu lauten Protesten und Widerstand der zuständigen Berufsvertretungen führen müssen – so sollte man meinen. Die Bundessteuerberaterkammer hat zwar pflichtgemäß eine Stellungnahme abgegeben und gefordert, Steuerberater mit Rechtsanwälten gleichzustellen und vom Gesetz auszunehmen. Entsprechend auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (siehe hier). Aber das war es dann auch schon. Das zeigt, wie weit die Selbst-Gleichschaltung in der Gesellschaft fortgeschritten ist. Die bloggende Juristenzunft erklärt zwar vielfach den Inhalt des Gesetzes und die Auswirkungen auf die Unternehmen. Den Tiefschlag gegen den Rechtsstaat thematisiert sie jedoch nicht. Zumindest die AfD hat das Problem im Bundestag angesprochen, jedoch – wenig überraschend – ohne Erfolg.

Beichtgeheimnis gleich mit abgeräumt

Auch die Kirche schweigt und nimmt es klaglos hin, dass mit dem Hinweisgeberschutzgesetz auch das Beichtgeheimnis erledigt ist. Ein Priester machte sich bei dessen Verletzung zwar auch bisher schon nicht strafbar. Aber er wurde von der Kirche mit der Exkommunikation (der höchstmöglichen Kirchenstrafe) und dem Verlust seines Amtes sanktioniert. Diese Sanktionen gegen Priester sind mit dem Hinweisgeberschutzgesetz nicht mehr vereinbar und daher unzulässig. Ob die Kirche diese Sanktionen eventuell unter Hinweis auf das Völkerrecht weiterhin verhängen darf (im Konkordat ist das Beichtgeheimnis geschützt), ist unklar. Verlassen kann sich darauf derzeit nicht, wer beichtet.

In diesem Zusammenhang passt der Hinweis auf den mit dem Gesetz zugleich beschlossenen Entschließungsantrag der Regierungsparteien (BT-Drucksache 20/4909) erwähnt. Darin wird gefordert, „die Möglichkeit zu prüfen, wie finanzielle Unterstützungsangebote für Hinweisgeber ausgestattet werden können“. Vorschlag zur Abkürzung der Diskussion: 30 Silberlinge. Hat sich in der Praxis bewährt (siehe Mt 26, 15).

Gift für die bürgerliche Gesellschaft

Im Ergebnis ist feststellen: Wie immer, wenn politische Entscheidungsträger böse Absichten durchsetzen wollen, wird ein „guter“ Grund vorgeschoben. Eigentlich sollte es im Hinweisgeberschutzgesetz um den Schutz von Personen gehen, die Misstände in Unternehmen und Behörden aufdecken. Doch das neue Gesetz schießt weit über das formulierte Ziel hinaus. Zum einen, weil das darin vorgesehene (in diesem Artikel nicht thematisierte) Anschwärzen von Beamten durch Kollegen selbst ohne Vorliegen irgendeines Gesetzesverstoßes mit diesem Zweck rein gar nichts mehr zu tun hat. Zum anderen, weil man – wie dargestellt – en passant mit der Verschwiegenheitspflicht ein unverzichtbares Kernelement des Rechtsstaats großenteils beseitigt hat.

Das Hinweisgeberschutzgesetz zwingt zwar niemanden, zu denunzieren. Kein Steuerberater, Berufspsychologe, Sozialarbeiter, Ehe- oder Suchtberater und kein Priester muss seine Verschwiegenheitspflicht verletzen. Wie auch kein Beamter seine Kollegen denunzieren muss. Aber jeder hat das Recht dazu. Und wer es tut, darf künftig nicht mehr sanktioniert werden. Nicht wissen zu können, ob der Berater, dem man sich als Mandant anvertraut, dieses Vertrauen wert ist, und stets damit rechnen zu müssen, vom Kollegen angeschwärzt zu werden, ist ein übles Gift, das dazu beiträgt, den Rest an bürgerlicher Gesellschaft in Deutschland zu zerstören. Das Hinweisgeberschutzgesetz ist in seiner konkreten Ausgestaltung ein wirklich perfides Gesetz.

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Günter Svhaumburg / 29.12.2022

Als ich nach meiner Ausreise 1989 meine Berufstätigkeit im Westen begann, quetschten mich meine neuen Kollegen nach Allem und Jedem, die DDR-Zerstzungsmethodik betreffend, aus wie eine Zitrone. Dann die Frage mit sofortiger Eigenantwort:“Und das habt Ihr Euch alles gefallen lassen? Mit uns, darauf geben wir Dir Brief und Siegel, hätte man das nicht machen können.” “Genau, Jawoll,” kam es beifällig von allen Seiten. Da habe ich gedacht, mein Gott, wir waren 17 Mio. Feiglinge in der DDR. Und hier gibt es 80 Mio., die voll des Mutes sind. Und heute? Ich kann nur mitleidig lächeln und denke voll Achtung an die vielen stillen Hel- den in der ehemaligen DDR, weiß aber, daß es genügend Hilfswillige gibt, die auf diesen Start- schuß nur gewartet haben. Weitere Schüsse werden folgen.

Freige Richter / 29.12.2022

Dieses Gesetz führt dazu, dass Missteauen gesät wird. Es erinnert an die DDR wo auch niemand wusste, wem er etwas anvertrauen kann und wem eher nicht. Das ist so gewollt.

Rolf Mainz / 29.12.2022

Wer Sozialisten wählt oder durch Nichtwahl indirekt zur Macht verhilft, bekommt eben Sozialismus. Ganz einfach. Und zum Sozialismus - ob nach 1933 oder nach 1949 in Deutschland - gehört Denunziation zwingend dazu, um das Volk zu knechten. Hat niemand wissen können? Doch, doch, hätte jeder wissen können und wissen müssen.

R. Kulbrock / 29.12.2022

Und so marschieren sie weiter,  mit ruhig festem Schritt.

Thomas Szabó / 29.12.2022

Ich denunziere hiermit Nancy Faeser wegen Kinderfresserei. Sie soll erst mal das Gegenteil beweisen.

St.Elmo / 29.12.2022

Wie will die Meldestelle überprüfen ob die Meldung korrekt war? Oder geht das alles direkt an die Staatsanwaltschaft und die lässt dann die Polizei ermitteln? Wie will man sicher gehen das die Meldestellen nicht mit Blödsinn geflutet werden? Wie will man sicher gehen das die Person von der Meldestelle die Warheit sagt und die Meldung nicht erfunden haben? Eheberater ist auch ein nicht zu vernachlässigendes Thema, dank der Verschärfung des Vergewaltigungsparagraphen können heute einvernehmliche Handlungen zweier Erwachsener unter bestimmten umständen als Vergewaltigung gelten.  Da wird sich das Ehepaar freuen wenn dank des Hinweis des Therapeuten die Polizei vor der Tür steht und die Ehefrau wegen Vergewaltigung (StGb §177(2) 1 und §177(6) 1), ihres Ehemanss verhaftet wird, obwohl beide nur ihren sexuellen Fetisch einvernehmlich ausgelebt haben.

Nico Schmidt / 29.12.2022

Sehr geehrter Herr Neuhof, immer wieder nett, was unsere Sozialdemokraten im Schulterschluss mit den Grünen und einer rückratlosen FDP hinbekommen. Jedes Volk hat die Regierung,  die es verdient. Mfg Nico Schmidt

Thomas Schulz / 29.12.2022

Wer gegen das “linke” irre Treiben immer noch nicht AfD wählt und offen und ausdrücklich für’s AfD Wählen wirbt, ist mitten drin beim dabei.

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