Wolfgang Röhl / 21.03.2021 / 06:28 / Foto: Pixabay / 171 / Seite ausdrucken

Der Fisch stinkt auch vom Leib her

In der Hall of Fame ausgelatschter Fußmattenweisheiten findet sich der Spruch, die Freiheit sei „immer Freiheit der Andersdenkenden“. Das Zitat, verfasst von der Bolschewismus-Apologetin und Möchtegern-Putschistin Rosa Luxemburg, ist authentisch. Zu einer Fälschung wird es erst durch den von Luxemburgs ideellen Erben stets weggelassenen Kontext.

Denn es handelt sich bei dieser Randnotiz in einem Manuskript über die russische Revolution mitnichten um ein generelles Plädoyer für Toleranz, Pluralität und Meinungsfreiheit. Ein verdienstvoller Redakteur der Welt hat vor einiger Zeit die ultimative Abrissbirne gegen den Mythos von der freiheitsliebenden Demokratin Rosa L. geschwungen. Mit bürgerlichen Kräften oder mit Sozialdemokraten – nicht einmal mit denen von der USPD – wollte die 1919 von Rechtsradikalen Ermordete keineswegs diskutieren. Die wollte sie hinwegfegen.

Noch breiter getreten wurde ein volksweisheitlicher Quark, welcher besagt, der Fisch stinke immer vom Kopf her. Die Redewendung ungeklärter Herkunft hatte schon der Humanist Erasmus von Rotterdam anno 1500 in seine Sprichwortsammlung aufgenommen. Piscis primum a capite foetet, das stimmt sogar, lebensmittelchemisch. Metaphorisch aber nicht.

Die Metapher will uns weismachen – beziehungsweise möchten wir uns durch sie vergewissern: An allem Mist, der auf der Welt passiert, sind die da oben schuld. Die Großkopfeten. Die Strippenzieher. Die Abzocker. Im Wirtschaftsteil eines Blattes, für das ich mal gearbeitet habe, schrieb ein Redakteur mit gut überschaubarem Wortschatz anklägerische Stücke über die Gier der Mächtigen, in denen unvermeidlich der Begriff Abzocker vorkam.

Verschlagene Schleimbeutel

Später wurde er Sprecher in einem Staatsbetrieb, dessen Chef er bei einem Interview kennengelernt hatte. Das Manager Magazin machte publik, dass der ehemalige Kritiker der Bosse dort ein Jahresgehalt von rund 375.000 Euro bezog. So macht Kapitalismus Spaß!

Die Fadenscheinigkeit des Spruchs vom Fischkopf zeigt schon der Umstand, dass sich jeder darauf verständigen kann. Nicht bloß die sogenannten kleinen Leute, deren Gejauner über die da oben einem Naturgesetz ähnelt, come rain, come shine. Selbst die da oben, fast immer einem noch Höheren unterstellt, zeigen im Schadensfall routiniert auf den Big Boss, der es vergeigt habe. Dieser wiederum kann sich notfalls mit der Gier der Anleger rausreden, die ihn ins Risiko getrieben hätte.

No Sir, mit dem Fischgestank ist das nicht so simpel.

Im Fernsehen wurde kürzlich eine Wiederholung des herrlichen Jeckenspiels „Kehraus“ von 1983 gezeigt. Der Komödien-Leuchtturm mit dem kongenialen Duo Gerhard Polt / Gisela Schneeberger funktioniert deshalb bis heute so gut, weil er auf eine Weise erbarmungslos ist. Klar, die da oben in der „Fidelitas“-Versicherung, dem Mikrokosmos der Satirehandlung, sind rücksichtslose Reibachmacher und zynische Menschenverächter. Ihre Fußtruppen aber keinen Deut besser – faule, verschlagene Schleimbeutel mit Spaß daran, andere zu beschupsen und zu piesacken.

Beschiss war immer auch ein Volkssport

Soweit die Fiktion. Und die Wirklichkeit? Ich fange mal unten an, bei den Journos, wo ich mich ein bisschen auskenne. Also, nicht wenige von den Reportern, die den kurzzeitigen Bundespräsidentendarsteller Christian Wulff nach langer Hatz schließlich über ein – Wulff geschenktes – Spielauto für Kinder („Bobby-Car“) erledigten, nahmen damals privatim gern die zahlreichen Presserabatte in Anspruch. Welche ihnen von Firmen wie der leider vom Markt verschwundenen Fluggesellschaft Air Berlin gewährt wurden (Offenlegung: Me too).

Chefredakteure, die in ihren Blättern gern hochmoralisch leitartikelten, ließen sich auf Telekom-Kosten bei Radrennen im Heli herumfliegen, speisten in VIP-Lounges. Motorjournalisten fuhren das ganze Jahr Autos zu angeblichen Testzwecken. Einen eigenen Wagen besaßen manche gar nicht. Andere reichten regelmäßig private Restaurantquittungen als Recherche-Spesen ein. (Der unnachahmliche Publizist und Aphoristiker Johannes Gross bekannte mal, er habe in die Spesenbeleg-Rubrik „Anlass der Bewirtung“ eingetragen: „Selbstgespräch“.)

Manche Fernsehkommissare, die auf dem Schirm als Rechtshüter oder gar als vollziehende Gerechtigkeit auftraten, ließen sich von Firmen, deren Autos sie in den Krimis fuhren, SUVs vor die Tür stellen. Nutzung, Steuer und Versicherung frei, nur den Sprit mussten sie selber zahlen. So ging das, quer durch viele Branchen.

Beschiss war immer auch ein Volkssport. Zu seinem Leidwesen hat das gemeine Volk gewöhnlich nicht viel abzuzocken. Die meisten, die sich über das schändliche Gebaren der großen Steuervermeider aufregen, würden – vermute ich – kein bisschen anders handeln als Amazon & Co. Wenn sie denn könnten. Allein, es gebricht einem popeligen Gehaltsempfänger schlicht an der Chance, das Finanzamt groß zu prellen.

Gibt es vielleicht doch so etwas wie den Todestrieb?

Der Fisch und sein Gerüchle sind so Sachen. Die SZ-Journalistin und Spiegel-Miterbin Franziska Augstein hatte die Fischmetapher implizit über Stefan Aust verwendet, als der noch Chefredakteur vom Spiegel war. Es kam genau umgekehrt. Während sich das Blatt unter Austs Ägide (1994 bis 2008) am Kiosk und beim Abo noch ordentlich schlug, ging es hernach auf Talfahrt. Das Internet, hausgemachte Skandale und ein verschärfter Linksdrall sorgten für Käuferschwund. Überdies blockierte die geldgeile Mitarbeiter-KG Innovationen, weil sie die Gewinnausschüttungen geschmälert hätten. Wann immer etwas besonders stinkt beim Spiegel, dann diese Truppe.

Armes Fischlein. Bertolt Brecht hegte, zumindest in seinen optimistischen Phasen, alle möglichen Hoffnungen über den erneuerbaren Menschen, vulgo das Proletariat. Es sei schlau genug, seine Interessen wahrzunehmen. „Die Unwissenden fangen an, ihre Lage zu erkennen“, erklären die vier Agitatoren in Brechts stalinoidem Lehrstück „Die Maßnahme“.

Ein ehedem hochrangiger Journalist, auch mal stellvertretender Regierungssprecher, der es wahrlich besser wissen müsste, erklärte jüngst im Cicero: „Leser sind schlauer als man denkt – wie übrigens auch Wähler.“ Warum dann Menschen Druckerzeugnisse kaufen oder Medien anschauen, die permanent gegen ihre ureigenen Interessen agitieren, das würde man gern mal erfahren.

Ebenso, warum 32,6 Prozent der Einwohner eines Bundeslandes, mit dessen Erfolgsgeschichte Autoindustrie und Häuslebau untrennbar verknüpft sind, ausgerechnet die grüne Deindustrialisierungspartei wählen, die Einzelhäuser für klimaschädlich hält. Gibt es vielleicht doch so etwas wie den Todestrieb, Sigmund Freuds meistbezweifeltes Konstrukt?

Ist Schwarmblödheit noch ansteckender als Corona?

Sich Verschwörungen einzureden – die Achtundsechziger, die Medienmacher, die Politiker, die Lehrer, die linken Netzwerke, die gesinnungstriefenden Kirchenfürsten oder eben alle zusammen seien schuld am deutschen Deppentum –, führt zu nichts. Wenn nach 16 Jahren Merkelei noch immer 84 Prozent der Befragten der verwunschenen Ansicht sind, die Kanzlerin habe ihren Job „eher gut“ gemacht, dann hat das Ergebnis mit dem ganzen Fisch zu tun.

Der müffelt vom Kopf bis zur hintersten Schwanzflosse.

Fragen über Fragen, und alle offen. Warum gucken Menschen seit vielen Jahren Krimis von der Stange, die sich allenfalls im Grad ihrer Volkserziehungsanstrengungen unterscheiden? 13,6 Millionen Zuschauer für einen Flachwitz-Tatort aus Münster, ist das noch selbstverschuldete Unmündigkeit? Oder bereits durch jahrzehntelangen Konsum deutschen TV-Mülls erworbener und mittlerweile vererbter Schwachsinn?

Wie müssen Menschen gebaut sein, um in einer Epidemie Klopapier zu horten? Klopapier, nicht Dosenwürstchen oder Fischkonserven. Ist Schwarmblödheit noch ansteckender als Corona?

Warum lassen sich Leute eine Gaunerei der Autoindustrie, die im Kern entstanden ist, weil aus politischen Gründen unnötig niedrige Abgasgrenzwerte festgelegt wurden, als Skandal epochalen Ausmaßes verkaufen? Und ignorieren dabei den wahrscheinlich folgenschwersten Technikschwindel dieser Republik, die sogenannte Energiewende? Der ihnen Jahr um Jahr höhere Strompreise einbrockt, die Sicherheit der Stromversorgung bedroht, immer mehr Landschaften kaputt macht, immer mehr Vögel schreddert, viele Milliarden verschlingt.

SZ auf Tranquilizer

Wenn irgendeine Fee in irgendeinem Sender das Wetter aufsagt, beileibe kein dramatisches, und am Schluß den Satz in die Kamera piept: Und was hat das jetzt mit dem Klimawandel zu tun? und da braut sich nicht wenigstens ein Shitstürmchen über so viel Ahnungsfreiheit zusammen, nein, niemand höhnt, keiner schickt Vogel-zeigen-Emojis – was sagt das aus über die Verfasstheit der Zuschauer?

Autofahrer, die sich einreden lassen – von den meisten Medien, sogar vom ADAC –, Elektroautos seien prinzipiell genauso praxistauglich wie Verbrenner, dazu billig im Unterhalt und fein für die Umwelt, wie dämlich müssen die denn sein? Es gibt vermutlich Millionen, die das im Prinzip wirklich glauben. Auch wenn sie natürlich weiterhin Kolbenmotoren anlassen, mit dem ihnen medial verordneten schlechten Gewissen.

Hört es irgendwann auf, dass Zeitgenossen vom Kakao, durch den man sie zieht, auch noch trinken? Es stimmt allerdings, dass die FAZ – pars pro toto – in 11 Jahren über 150.000 Käufer der gedruckten Ausgabe verloren hat. Der Onlineauftritt der Frankfurter ist auch nicht gerade ein Renner. Die Frage ist aber, wer überhaupt noch ein konservativ gewesenes Medium kauft oder anklickt, das sich mittlerweile über weite Strecken wie eine SZ auf Tranquilizer liest.

Dass eine derartige Mogelpackung niedergeht, ist weniger erstaunlich als die Tatsache, dass sie überhaupt noch existiert. Sage und schreibe 200.000 Leute kaufen ja weiterhin ein Organ, das mit der Merkel-CDU schrittweise nach Linksgrün gedriftet ist. Nur beim Gendersternchen schert die Zeitschrift für Deutschland aus dem Chor der Beknacktlauten aus. Für wie lange, steht in anderen Sternen.

Michael Klonovsky, ein woker (im Sinne von ausgeschlafener) Geist, wunderte sich in seinem Onlinetagebuch Acta diurna keineswegs darüber, dass 51,2 Prozent der Schweizer für ein Verbot der islamischen Frauenvermummung im öffentlichen Raum gestimmt hatten. Sondern darüber, dass fast die Hälfte diese, für eine zivilisierte Bevölkerung eigentlich selbstverständliche, Haltung ablehnten.

Den Grund vermutet Klonovsky in der Islamophobie, also der Angst vor dem Islam. Tatsächlich hatte zum Beispiel die Tourismuswirtschaft, den Boykott reicher arabischer Touristen fürchtend, kräftig gegen das Verbot getrommelt.

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Ein Spruch aus dem staubigen Fundus der Spontis. Heute fragt Jan Fleischhauer, Jahrgang 1962, warum es nicht längst einen Aufstand der arbeitenden Mehrheit gegen hysterische Corona-Maßnahmen gibt: „Ich frage mich seit Längerem, was die Verbandsvertreter eigentlich treiben. Wo sind die Stimmen aus dem Handel, dem Hotelgewerbe, der Gastronomie? Warum hört man kaum Protest? Wer sich nicht bemerkbar macht, wird vergessen, so ist es in der Politik.“

Gegen Ende seines Lebens wurde Brecht öfters von Zweifeln benagt, die seine einstige Hoffnung in die eigennützliche Weisheit der Massen betrafen. 1955 schrieb er wehmütig in Ost-Berlin:

 

„Und ich dachte immer: die allereinfachsten Worte

Müssen genügen. Wenn ich sage was ist

Muß jedem das Herz zerfleischt sein.

Daß du untergehst, wenn du dich nicht wehrst

Das wirst du doch einsehen.“

 

Tja, Pustekuchen.

Foto: Pixabay

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Thomas Gildemeister / 21.03.2021

Dem ist nichts hinzuzufügen. Finis Germania.

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