Prof. Dr. Kristina Wolff ist eine engagierte Frau, die eine Petition zur Umsetzung der so genannten Istanbul-Konvention des Europarats vom 11. Mai 2011 initiiert hat, die von 67000 Menschen unterstützt wird. In Langfassung heißt die Konvention „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, die Deutschland am 12. Oktober 2017 ratifiziert hat. Kristina Wolff kritisiert nun, dass dieses Übereinkommen bei uns nur unzureichend umgesetzt wird.
Soweit ihre Kritik die angemessene Budgetierung betrifft, wird man ihr schwerlich widersprechen können. Zusätzlich wird in der Petition aber auch eine „rigide Gesetzgebung“ gefordert, nämlich: „die Einführung des Straftatbestandes des Frauenmordes (Femizid), d.h. eines Gesetzes, das die auf ungleichen Machtverhältnissen beruhende Tötung einer Frau, weil sie Frau ist, ahndet, ist überfällig. Selbstverständliches Ziel eines Sozialstaates muss es sein, die Menschenrechte der Frauen zu schützen und ihnen ein Leben frei von Gewalt zu garantieren.“
Gegenüber Kindern sind die Machtverhältnisse noch ungleicher, brauchen wir dann nicht noch dringender einen Spezialtatbestand des Neonatizids (Tötung eines Kindes innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt), des Infantizids (Tötung eines Kindes im Alter von einem Tag bis zu einem Jahr) und des Filizids (Tötung eines Kindes älter als ein Jahr)? Und wie sieht es bei der Tötung von Rollstuhlfahrern oder ähnlich hilflosen Personen aus?
Nun bin ich (Vater von zwei Töchtern und Opa von vier Enkeltöchtern) der allerletzte, der sich gegen eine Stärkung von Frauenrechten ausspricht. So habe ich hier auf der Achse die provokante Frage gestellt: „Ist Vergewaltigung so schlimm wie Mord?“ Und diese Antwort gegeben: „Aber hier und jetzt geht es um nichts anderes als um die angemessene Strafe für besonders schwere Fälle von Vergewaltigung, nämlich solche, die das Gefühlsleben der Opfer zerstören und sie deshalb zwingen, bis ans Ende ihrer Tage unter den Folgen der furchtbaren Tat zu leiden. Welche Strafe kann eine solche Tat sühnen, außer einer lebenslangen Freiheitsstrafe?“ Ich habe dabei, wohlgemerkt, nur solche Taten im Auge, die Kriminologen und Kriminalstatistiker als „überfallartige“ Vergewaltigung bezeichnen und die um die 15 Prozent aller angezeigten Fälle ausmachen, unter deren Folgen die Opfer aber unter Umständen ihr Leben lang leiden. Die bewegenden Zeilen von Mascha Kaléko „Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andern muss man leben“, bedeuten hier, dass die betroffenen Frauen und Mädchen gewissermaßen mit dem eigenen Tod leben müssen.
Warum ist Alkohol noch strafentlastend?
Diese Ausführungen haben, erwartungsgemäß, keinen Widerhall gefunden. Vielleicht lag das aber lediglich daran, dass Kristina Wolff und viele andere Frauen sie nur nicht gelesen haben oder sich einfach nicht trauten, ihnen öffentlich zuzustimmen.
Trotz dieser grundsätzlich positiven Einstellung auch radikaleren feministischen Forderungen gegenüber kann ich die Petition von Kristina Wolff bezüglich der geforderten rigiden Gesetzgebung nicht unterstützen. Eine unterschiedliche Gestaltung der Tötungsdelikte je nach dem Grad der körperlichen Unterlegenheit des Opfers gegenüber dem Täter würde zu einer endlosen Kasuistik führen. Die Sonderstellung allein der Frau wäre nicht zu rechtfertigen.
In den politischen Reaktionen, über die Claudia Becker in der Welt berichtet, wurden von den „Rechtsexperten der Bundestagsfraktionen“ weitere Gründe gegen den Vorschlag genannt:
Jürgen Martens, FDP: Die bestehende Strafrechtsnorm sei ausreichend.
Dieser Meinung ist auch der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner. „Notwendig sei allerdings die effektive Durchsetzung geltenden Rechts.“
Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU: Ein Tatbestand „machistische Gewalt“ genüge kaum dem Bestimmtheitsprinzip des Strafrechts.
Roman Reusch, AfD, lehnt den Vorschlag als Verstoß gegen das grundgesetzliche Gleichheitsgebot ab.
Von Vertretern der Grünen und Linken enthält der Bericht keine Aussagen.
Außerhalb ihrer Petition hat Kristina Wolff allerdings einen Aspekt angesprochen, der mich ebenfalls seit Studentenzeiten umtreibt: „Weshalb wird der Missbrauch von Alkohol und bewusstseinserweiternden Drogen als strafreduzierender Entschuldigungsfaktor anerkannt?“
Hierzu hatte der Freistaat Sachsen bereits am 23.05.2018 einen entsprechenden Gesetzesantrag im Bundesrat eingebracht (Drucksache 204/18), der von diesem allerdings mehrheitlich abgelehnt wurde (Plenum gegen Ausschussempfehlung). Am 27. Mai 2019 hat Sachsen erneut einen modifizierten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes bei Rauschtaten“ vorgelegt (Drucksache 265/19).
Härter als „lebenslänglich“ geht nicht
Die AfD-Bundestagsfraktion hat ebenfalls Anstoß daran genommen, „dass es im Ergebnis durch die Rechtsprechung zu § 21 StGB [über verminderte Schuldfähigkeit] seit den 70er Jahren zu einer schrankenlosen Privilegierung des Alkoholgenusses gekommen ist“ und deshalb am 16.10.2018 einen Gesetzentwurf zur Änderung der Rechtslage im Bundestag eingebracht (Drucksache 19/5040). Darin schlägt sie vor, von der Strafmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB abzusehen, „wenn sich der Täter vorsätzlich oder fahrlässig in diesen Zustand versetzt“ hat. Der federführende „Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz“ hat dem Plenum am 08.05.2019 die Ablehnung des Gesetzesentwurfs empfohlen, ohne auf die Problematik der Privilegierung durch Alkoholgenuss einzugehen. Die Beratungen dauern an.
Was einen eigenen Straftatbestand „Femizid“ betrifft, so kann die Neuerung schwerlich in der Rechtsfolge liegen; denn eine härtere Strafe als „lebenslänglich“ kennt unsere Rechtsordnung nicht. Einzuräumen ist allerdings, dass die Bejahung eines der neun Mordmerkmale im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann:
1) aus Mordlust
2) zur Befriedigung des Geschlechtstriebs
3) aus Habgier oder
4) sonst aus niedrigen Beweggründen
5) heimtückisch oder
6) grausam oder
7) mit gemeingefährlichen Mitteln oder
8) um eine andere Straftat zu ermöglichen oder
9) zu verdecken.
Wolff verweist auf einen Hamburger Fall, in dem der Tötung längere Misshandlungen vorausgegangen waren, weshalb die Frau damit rechnen musste, dass der Mann gewalttätig wird, als sie ihn in die Wohnung ließ. Die Staatsanwaltschaft hatte deshalb das Merkmal der Heimtücke (Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers) verneint und nur wegen Totschlags angeklagt. Dies ist jedoch kein Spezifikum bei Frauen als Tötungsopfer.
„Restriktive Auslegung“ der Heimtücke
Der Hinweis zeigt vielmehr, dass der „Nazi-Paragraph“ des Mordes (§ 211 StGB) überarbeitungsbedürftig ist, was nicht nur am Heimtücke-Merkmal, sondern auch an den „niedrigen Beweggründen“ festzumachen ist. Das eigentliche Problem des Mordparagraphen liegt aber darin, dass er die lebenslange Freiheitsstrafe als einzige Rechtsfolge zwingend vorschreibt, wenn auch nur ein Mordmerkmal erfüllt ist. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat deshalb schon früh, nämlich durch Beschluss vom 22. September 1956 (BGHSt 9, 385 Randnr. 21) das Recht dahin fortentwickelt, dass der Begriff der Heimtücke „eine feindliche Willensrichtung des Täters gegen das Opfer zum Inhalt“ hat, also restriktiv auszulegen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord vom 21. Juni 1977 (BVerfGE 45, 187) ebenfalls eine „am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte restriktive Auslegung“ der Tatmodalitäten der Heimtücke und der Tötung zur Verdeckung einer anderen Straftat als eine der Voraussetzungen der Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord angesehen (Leitsatz 4).
Hieraus hat der Große Senat für Strafsachen in einer Entscheidung vom 19.05.1981 den Schluss gezogen, dass „das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden [kann], daß jener ‚Grenzfall‘ (BVerfGE 45, 187, 266, 267) eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich geminderter Schuld unverhältnismäßig wäre.“ Allerdings: „Eine abschließende Definition oder Aufzählung der in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB führenden außergewöhnlichen Umstände ist nicht möglich.“
In einer Entscheidung vom 19. Juni 2019 hat der 5. Strafsenat dies dahin präzisiert, dass einer heimtückischen Tötung die feindselige Willensrichtung grundsätzlich nur dann fehlen kann, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht.
Gebraucht werden Polizisten, Staatsanwälte und Richter
Bei allem Respekt vor den beteiligten Richtern, kann ich nicht umhin, diese Rechtsprechung als Eiertanz zu empfinden, der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Mordparagraphen jedenfalls bezüglich des Merkmals der Heimtücke aufwirft. Es wirkt äußerst befremdlich auf mich, wenn ein Strafgericht bemüht ist, mit subtilen Argumenten die lebenslange Freiheitsstrafe für heimtückischen Mord zu begründen, während ein anderes genau das Gegenteil versucht, um zu einer Bewährungsstrafe für Totschlag zu gelangen (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren). Der Deutsche Anwaltverein (DAV) spricht deshalb nicht zu Unrecht von einer „zum Teil nur vorgetäuschten Genauigkeit“ bei „der bisherigen starren Anwendung des § 211 StGB“ und „einer weit verbreiteten Umgehungsstrategie“. Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes verlangt aber: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ (Nulla poena sine lege. = Keine Strafe ohne [vorherige] gesetzliche Regelung.)
Deshalb ist der Strafrechtsausschuss des DAV im Januar 2014 mit diesem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten:
„§ 211 StGB entfällt
§ 212 StGB Tötung
Wer einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
§ 213 StGB minder schwerer Fall der Tötung
Im minder schweren Fall der Tötung ist die Freiheitsstrafe ein bis zehn Jahre."
Damit würde allerdings der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, da dann die Ausbildung sämtlicher Strafzumessungskriterien in Tötungsfällen allein der richterlichen Rechtsfortbildung überlassen bliebe. Bevor die Tötungshandlung begangen würde, wäre einstweilen nicht gesetzlich bestimmt, wegen welcher Straftat, Mord oder Totschlag, eine Verurteilung zu erwarten wäre.
Der DAV hat seinen Vorschlag am 14. Januar 2014 zur Reform der Tötungsdelikte auf der Bundespressekonferenz vorgestellt. Der Vorschlag wurde den Bundesministerien des Innern und der Justiz (BMJV) sowie allen sonstigen von dieser Materie berührten Institutionen übermittelt. „Im Mai 2014 wurde durch Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas die Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte eingesetzt. Sie hatte den Auftrag, begründete Empfehlungen für eine möglichst noch in dieser [18.] Legislaturperiode zu realisierende Reform der Tötungsdelikte abzugeben“ (Mitteilung auf der Website des BMJV). Zwei Mitglieder der Expertenkommission waren übrigens auch Mitglieder des DAV- Unterausschuss „Reform der Tötungsdelikte“.
Auf meine Anfrage nach dem Stand der Arbeiten hat mir das BMJV folgendes mitgeteilt:
„Die Expertenkommission hat im Juni 2015 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Auf dem Abschlussbericht der Expertengruppe aufbauende Reformüberlegungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz flossen in einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Reform der Tötungsdelikte ein. Die Reform der Tötungsdelikte wurde dann allerdings in der 18. Legislaturperiode nicht mehr weiter betrieben. Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD für die 19. Wahlperiode sieht ein entsprechendes Projekt nicht vor.“
Die Petition von Kristina Wolff könnte daher genutzt werden, die Strafbarkeit von Taten, die „im Suff“ oder unter Drogeneinfluss begangen wurden, ebenso neu zu überdenken wie die präzisere Fassung des Mordparagraphen (allein zum Heimtücke-Merkmal wurden in der Expertenkommission neun Ansätze diskutiert, Seite 43/44) und dessen einwandfreie Abgrenzung zum Totschlag. Wenn damit zugleich die Istanbul-Konvention wirkungsvoller umgesetzt würde, wäre das ein willkommener „Nebeneffekt“. Die Expertenkommission widmet dem „Femizit“ zwar einen eigenen (knappen) Abschnitt und erkennt ihn als „asymmetrisches Phänomen“, macht dazu aber keine Vorschläge (Seite 690). Dagegen taucht die „Istanbul-Konvention“ in dem gesamten Bericht nicht auf.
Um der oft beschworenen Härte des Rechtsstaats Geltung zu verschaffen, bedarf es allerdings nicht nur klar und unmissverständlich formulierter Rechtsgrundlagen, sondern auch der erforderlichen Zahl an Polizisten, Staatsanwälten und Richtern (so zutreffend SPD-MdB Fechner), die bereit und aufgrund ihrer Qualifikation auch in der Lage sind, das geltende Recht durchzusetzen.
Wenn der frühere Innenminister Wolfgang Schäuble, der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff und die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel allerdings übereinstimmend meinen, der Islam gehöre auch zu Deutschland, dann dürfen sie nicht länger hinnehmen, dass Koran und Sunna die unveränderlichen Grundlagen des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland (KRM) sind (§ 1 Absatz 5 der Geschäftsordnung des KRM vom 28. März 2007), weil diese die inferiore Stellung der Frau in grundgesetzwidriger Weise bestimmen. Das hat zwar entgegen der Meinung von Kristina Wolff nichts damit zu tun, dass unsere Strafprozessordnung „in etlichen Punkten nicht mehr den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen“ entspricht, muss aber gleichwohl abgestellt werden.