Alexander Wendt / 18.08.2014 / 20:01 / 12 / Seite ausdrucken

Der Club der toten Lichter – heute: Richard David Precht

Richard David Precht, der Florian Silbereisen des deutschen Geisteslebens, im „Kurier“:

„Israel will nun die Gunst der Stunde nützen, um die Hamas so nachhaltig zu schädigen, dass sie längerfristig keine Gefahr mehr darstellt. Israel bedient sich bei diesem Krieg aber Mitteln, die wir deutlich verurteilen müssen. Deutschland hat in seiner Geschichte Russland zwei Mal überfallen und allein im Zweiten Weltkrieg etwa 30 Millionen Russen ermordet. Bei Russlands Politik schlagen wir heute sofort scharfe Töne an. Die fürchterliche Ermordung von sechs Millionen Juden verpflichtet uns dagegen, bei Israels Krieg gegen die Palästinenser sehr moderat zu bleiben. Diese Logik überzeugt mich nicht!

Kurier: Diesem Konflikt ist allerdings die Tötung von drei israelischen Jugendlichen vorangegangen ...

Precht: Bis heute wissen wir nicht, wer die Jugendlichen tatsächlich getötet hat, so wie wir bis jetzt nicht wissen, wer die MH 17 abgeschossen hat. Im Moment erleben wir die Rückkehr eines mythischen Weltbilds statt eines rational aufgeklärten Weltbildes. Wir verhängen unsere Wirtschaftssanktionen gegen Russland ja nicht wegen der Krim-Annektion, sondern wir verhängen sie aufgrund von dubiosen Geheimdienst-Spekulationen im Fall der MH 17.“

So geht Philosophie heute: vereinfachen, downsizen, Geschichte nicht kausal, sondern eher aus den Eingeweiden heraus betrachten. Nun hat Deutschland Russland nicht zweimal und auch nicht einmal überfallen, sondern keinmal. Stattdessen überfiel Hitlers Reich 1941 die Sowjetunion, zu der auch die Ukraine gehörte. Und die hatte damals einen weit größeren Anteil von Opfern zu tragen als Russland, weshalb es schon eine richtiggehend todenhöfereske Leistung darstellt, aus der Zahl der sowjetischen Opfer von 1941 bis 1944 einen Grund abzuleiten, Putins Aggression gegen Ukraine dürfe nicht mit „scharfen Tönen“ kritisiert werden. Aber dafür erkennt RDP eines der großen Probleme in Deutschland: Die Kritik an Israel fällt zu moderat aus. Wo man hinschaut, in Spiegel-Online-Foren, auf Hamas-Kundgebungen, in Leserbriefspalten, es herrscht ein Leisetreten wegen sechs Millionen Stolpersteinjuden, die den Richard Clayderman unter den Denkern nimmermehr überzeugt. Die Frage ist nur, wie der Logikbegriff in seinen Wortschatz geraten ist.

Und dem Krieg Israels war zwar vor allem der Raketenbeschuss der Hamas vorangegangen, die Entführung und Ermordung von drei jüdischen Jugendlichen bei Hebron hatte den Gang der Ereignisse allenfalls beschleunigt. Aber wahrscheinlich weiß RDP auch nicht, wer die Raketen auf Israel abfeuert. Es steht ja leider nichts drauf. Ein Erkenntnisproblem! Um Karl Kraus abzuwandeln: Richard David Precht ist der unwiderlegliche Beweis dafür, dass manche Philosophenköpfe der Haare wegen da sind.

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Jens Philip Höhmann / 20.08.2014

Herrn Wendt vielen Dank für den informativen Artikel. Für einen stukadierten Philosphen hat er ein ziemlich mittelprächtiges Halbwissen, und zwar auf nahezu allen Gebieten, über die er im Interview mit dem ‘Kurier’ spricht. Dass Deutschland im Zweiten Weltkrieg nicht Russland, sondern die UdSSR überfallen hat, zu der damals auch die Ukraine gehörte, wurde ja bereits erwähnt. Noch nicht erwähnt wurde, dass die NS-Führung auch diesen Krieg hauptsächlich der Vernichtung der dort lebenden Juden gewidmet hat, man denke an das Massaker von Babi Jar bzw. Babyn Jar. Ukrainer und Russen galten den Nazis zwar auch als ‘Untermenschen’, aber ihre Ausrottung sah die NS-Agenda nicht vor. Dass Deutschland im Ersten Weltkrieg keineswegs Russland überfallen, sondern ihm den Krieg erklärt hat, die erste größere Schlacht jedoch auf deutschem Boden stattfand, wurde ebenfalls erwähnt. Zu ergänzen ist vielleicht, dass das damalige Russland ebenfalls auch den Großteil der heutigen Ukraine umfasste (Galizien mit Lemberg, heute Lwiw, als einer der größten Städte, gehörte allerdings zu Österreich-Ungarn). Dass Deutsche auch im Ersten Weltkrieg lange Zeit tief in Russland standen, ist der Schwäche der russischen Streitkräfte zu verdanken. Precht wirft der deutschen Politik vor, ein mythisches anstelle eines rationalen Weltbildes zu vertreten, hängt dabei aber selbst dem alleinige-Kriegsschuld-Mythos an, die im Diktat von Versailles nicht etwa festgestellt, sondern vielmehr festgelegt wurde. Zudem scheint er dem Mythos anzuhängen, die Deutschen hätten “Beißhemmungen” gegenüber Israel und blieben sehr moderat in ihrer Kritik. So etwas ist typisch für Israelkritiker. Natürlich auch ein Mythos. Dass man in Foren ganz andere Töne liest, unterschlägt er ebenso wie die Welle von Judenhass, die sich unter dem Vorwand Gaza-Krieg Bahn bricht. Dass die Bundesregierung keine scharfe Kritik übt, liegt m.E. nicht an “Beißhemmungen” und auch nicht an Furcht vor dem ZDJ, sondern wohl einfach daran, dass sie der israelischen Regierung auch keine Verhaltensalternativen aufzeigen kann. Die Israelis verwenden die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Mit der mutmaßlichen Technologie des 23. oder 24. Jahrhunderts mit Energie-Schutzschilden und Phasern, die sich auf ‘Betäuben’ stellen lassen, hätten sie natürlich Raketenbasen und Tunnel beseitigen können, ohne auch nur einen einzigen Palästinenser töten zu müssen und ohne eigene Leute zu verlieren. Leider haben sie sie nicht. Können wir ihnen das vorwerfen? Wohl kaum. Ebensowenig müssen und dürfen wir ihnen vorwerfen, dass für sie der Schutz eigener Bürger vor Gewalt (DIE Aufgabe von Staat überhaupt) Priorität A hat, noch vor der Verschonung von Zivilisten auf Gegenseite, die sie aber dennoch so gut es ging umzusetzen versucht haben.

Dirk Weidner / 20.08.2014

“Richard David Precht, der Florian Silbereisen des deutschen Geisteslebens [...]”. Diese einleitenden Worte erinnern mich an andere Analogien, die formuliert wurden: - “Precht, der André Rieu der Philosophie” (Peter Sloterdijk) - “Precht, der Richard Clayderman der Politologie” (Jan Fleischhauer) Ich finde diese Vergleiche sehr unfair und sehr unangemessen - und zwar ggü. den jeweils betreffenden Künstlern. Vom Volksmusikstar, über den geigenden Walzerkönig bis zum Klavierromantiker: was haben diese drei Herren jemals anderes getan, als mit ihrer ganz eigenen Art von Musik einfach nur ein interessiertes Publikum für ein paar schöne Stunden zu unterhalten? Ich wüsste nicht - man möge mich da anhand entsprechender Quellen eines besseren belehren - , dass Silbereisen, Rieu oder Clayerderman sich jemals zu vermeintlich intellektuellen Welterklärern aufgespielt hätten, getreu dem Precht’schen Motto: “Ich bin der Eine Und Einzige, der ALLES verstanden hat”. ?  Vor allem aber haben sie sich, ebenfalls soweit ich dies weiß, nie zu den jeweils besten und talentiertesten ihrer Zunft erklärt - im Gegensatz zu Precht, der als “Philosoph” ebendieses Selbstbild mit jeder Faser seines Wesens ausstrahlt, und mittels seiner Ausführungen auch entsprechend vermittelt. Selbst wenn er, wie im Bezug auf die deutschen Angriffe auf Russland und die Selbstverteidigung Israels einmal mehr den grössten Dünnpfiff von sich gibt. Zwar alles aufs hübscheste formuliert, aber eben: Dünnpfiff.

Ralf Schaefer / 19.08.2014

Völlige Zustimmung zur Kritik an Precht. Gegenüber anderen macht er angeblich fehlendes Wissen geltend (Ermordung der israelischen Jugendlichen), während er, na klar, eo ipso mit gesicherten Erkenntnissen hantiert (etwa über Israels “Mittel” im Kampf gegen die Terroristen), - als würde er rund um die Uhr nicht nur vom Weltgeist, sondern auch von der IDF gebrieft. Rational aufgeklärtes Weltbild? Von wegen, wie manch anderer Linksintellektueller ist Precht gegenüber Israel ideologisch voreingenommen, und zwar in abträglicher Weise.

Aaron Gal / 19.08.2014

Ehrlich gesagt finde ich es inhaltlich nicht sehr befriedigend, wenn man nun Precht deshalb widerlegen will, weil er Russland mit Sowjetunion gleichsetzt. Dieser Kerl eiert an einer anderen, ganz entscheidenden Stelle: Wieso sollten wir die Verteidungsmittel Israels ablehnen, wenn sie offensichtlich tauglich, erfordelich und angemessen sind, Hamas so zu schädigen, dass sie längerfristig keine Gefahr mehr darstellt um Raketen auf Israel abzuschießen?

Günter Belling / 19.08.2014

Wie Chris Deister frage ich mich auch ,welches der erste Überfall war.Bei WK I ist ja wohl Russland zuerst in Ostpreußen einmarschiert.Über die genauen Einzelheiten ist aber hier kein Platz das zu diskutieren.

Karl Helger / 19.08.2014

Der Mann ist so ÜBERintelligent, daß er im ÖR Interviews gibt und dort behauptet, die Zahl 7 und die Bundesrepublik Deutschland gäbe es in Wirklichkeit nicht. Wer noch nicht einmal die Existenz abstrakter und sozialer Konstrukte als solche verstanden hat, sollte kein Philosophiediplom bekommen, schon gar nicht lehren. Seine Quintessenz über die Nazis ist übrigens, daß sie wie die Kapitalisten ebenfalls Materialisten seien. Ja genau - die Vorstellung, Individuen dürfen Verträge eben individuell und grundsätzlich uneingeschränkt vom Staat eingehen ist ja identisch mit einem Weltkrieg und dem Wunsch der Terminierung ganzer Rassen. Das schlimme ist aber nicht dieser einsame Spinner, dem zuviele Leute fälschlicherweise gesagt haben, er sei schlau (deswegen hält er sich wohl dafür), sondern daß viele Leute solche Idioten für schlau halten.

Thomas Heiland / 19.08.2014

Warum beleidigt man immer den Silbereisen, hat der jemals solchen Stuss verzapft?

martin focke / 19.08.2014

Vielen Dank für die Infos betreff Herrn Precht. Ich habe diesen Mann gelegentlich als “Pausenclown” in diversen Talkshows herumsitzen sehen. Daß Herr Precht allen Ernstes Philosoph sein soll, habe ich eben bei Wikpedia nachgelesen. Wie sagt man bei Ihnen ? “Wat man alls jifft”. Oder so ähnlich. Martin Focke

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