Der Ausgrenzungs-Workshop des Dr. Braun

Bislang gibt es nur einzelne Workshops, in denen die Deutschen lernen sollen, wie sich Diskriminierung und Ausgrenzung anfühlt. Manch einer denkt aber scheinbar volkspädagogisch größer.

In der letzten Woche gab es bei bild.de die Schlagzeile „Skandal-Workshop bei Polizei u. Bundeswehr: Weiße sollen sich für Hautfarbe schämen“. Das verhieß ein Aufreger-Thema. Konkret ging es um den „Blue-Eyed“-Workshop von Jürgen Schlicher, mit dem Schüler, angehende Polizisten und Bundeswehrsoldaten für Rassismus und Ausgrenzung sensibilisiert werden sollen. Die Kursteilnehmer würden in Schlichers Kursen, so heißt es, durch eigenes Erleben erfahren und lernen, wie es ist, aufgrund einer willkürlichen Eingruppierung diskriminiert zu werden bzw. die Diskriminierung anderer hinzunehmen.

Konkret werden in den Workshops die Blauäugigen von den Braunäugigen getrennt. Die Blauäugigen werden gezielt gedemütigt und ausgegrenzt, während die Braunäugigen respektvoll behandelt werden. Für die Autorin des Beitrags von bild.de war es skandalös, dass diese Workshops aus ihrer Sicht vor allem das Ziel zu haben schienen, weißen Einheimischen das Gefühl zu vermitteln, sich ihres Weißseins zu schämen zu müssen.

Inwieweit das nun wirklich die Intention von Jürgen Schlicher ist, soll hier nicht das Thema sein. Grundsätzlich ist es ja unbestritten richtig, Menschen dafür zu sensibilisieren, wie schnell sie bereit sein könnten, eine Menschengruppe auszugrenzen und ihrer Grundrechte zu berauben, die ihnen nach der Verfassung oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eigentlich selbstverständlich zustehen müssten. Dabei sollte es dann auch nicht nur um Rassismus gehen bzw. um Ausgrenzung aufgrund körperlicher Merkmale. Und es sollten nicht nur Schüler, Polizeianwärter oder Soldaten einen solchen Workshop belegen, sondern möglichst alle Bürger, also auch politische Verantwortungsträger.

Das würde Jürgen Schlicher wohl überfordern. Seine Workshops können ja doch jeweils immer nur von einer überschaubaren Gruppe besucht werden. Das ist also inhaltlich wie im Umfang noch ausbaufähig.

Meister im Groß-Denken

Ließe sich da nicht besser gleich ein entsprechend großer deutschlandweiter Versuch organisieren, statt auf viele kleine Workshops zu setzen? Groß zu denken ist ja bekanntlich eine der Kernkompetenzen der derzeitigen Bundesregierung. Mag sie praktisch bei Aufgaben, wie beispielsweise Erhalt und Ausbau der Infrastruktur auch etwas schwächeln, bei den ganz großen Zielen ist sie nicht kleinlich. Und wer sich zutraut, Klimaveränderungen, die es schon vor Erscheinen der Menschheit auf diesem Planten gab, durch politische Beschlüsse regulieren zu können, sollte an einem nationalen Selbsterfahrungskurs in Sachen Ausgrenzung und Diskriminierung nicht scheitern.

Dr. Helge Braun, bekanntermaßen Chef des Bundeskanzleramts, hat sich dieser Aufgabe offenbar angenommen und versucht, einen solchen gesamtdeutschen Workshop zu starten. Dagegen sind Jürgen Schlichers Blauaugen-Seminare Kinderkram.

Den nicht ganz freiwilligen Teilnehmern am Workshop von Dr. Braun darf man nur nicht von vornherein sagen, dass sie Teil einer erzieherischen Versuchsanordnung sind. Das Ausgrenzungsmerkmal in der Übung hat der Kanzleramtsminister auch neu gesetzt, denn es bot sich gerade an, auf jene Störenfriede zurückzugreifen, die die Injektion neuartiger und nur kurzzeitig getesteter Präparate verweigern: „Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte […] Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“, hatte Dr. Braun die Nation via „Bild am Sonntag“ wissen lassen.

Geniale Versuchsanordnung: Die Ausgrenzung Ungeimpfter scheint auf den ersten Blick irgendwie rational und nachvollziehbar zu sein und ist andererseits nach kurzem Nachdenken als etwas erkennbar, das jeder freiheitlich-demokratischen Grundordnung vollkommen widerspricht. Grundrechte können selbstverständlich nicht an einen Impfstatus gebunden sein, wenn es sich bei der zu bekämpfenden Krankheit nicht um eine tödliche Seuche wie Pest oder Cholera handelt, sondern um eine sicher ernstzunehmende Erkrankung, die aber für ein funktionierendes Gesundheitssystem in einem westlichen Industrieland ohne jedwedes Notstandsrecht beherrschbar sein sollte. Das weiß sicher auch Dr. Braun, aber im Interesse seines Workshops darf er es uns natürlich nicht verraten.

Vielleicht sind wir ja schon seit 18 Monaten Teil eines großen Workshops. Die Erfahrung, dass sich eine Gesellschaft, die Freiheit und Demokratie in den letzten Jahrzehnten verinnerlicht zu haben meinte, ihre Grundrechte weitgehend widerspruchslos nehmen ließ und eine bis dato unvorstellbare Vormundschaft der Staatsorgane über den eigenen Alltag akzeptierte, war ja für alle Bundesbürger neu. Und jetzt soll in einem nächsten Schritt vielleicht die Ausgrenzungsbereitschaft getestet werden.

Menschen als Restrisiko

Erste Ergebnisse der Ausgrenzungsbereitschaft waren nach der Ansage von Dr. Braun schnell zu sehen, zumindest bei Politikern. Robert Habeck, der grüne Beinahe-Kanzlerkandidat, zeigte sich voll ausgrenzungsbereit:

„In dem Moment, wo allen Menschen ein Impfangebot gemacht worden ist, sieht Solidarität so aus: Man muss sich nicht impfen lassen, aber kann nicht damit rechnen, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten, weil man sich nicht hat impfen lassen“, wurde er von den Zeitungen der Funke Mediengruppe zitiert. Was Habeck beschreibt, verlangt zwar gar kein Ungeimpfter, sondern er will nur die Grundrechte, die jedem Bürger unabhängig von einer Impfung zustehen. Aber diese verschwurbelte Umschreibung für eine Ausgrenzung hört sich einfach nicht so hart an. So geschmeidig wie Robert Habeck beschreibt nicht jeder seiner grünen Parteifreunde die eigene Zustimmung zur Teilung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann formuliert klarer: „Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist“.

Dass SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erklärte, es werde bald „nichts anderes übrig bleiben, als den Zutritt zu Räumen, wo viele Leute eng zusammenkommen, auf Genesene und Geimpfte zu beschränken“, war natürlich zu erwarten. Aber auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprang sofort auf den Vorstoß von Dr. Braun an, indem er sagte, die „Normalität für Geimpfte muss auch dann möglich sein, wenn es für nicht Geimpfte Einschränkungen bedarf“.

Doch unter den politischen Verantwortungsträgern gab es auch Widerspruch zu solcher Ausgrenzung und Diskriminierung. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hatte Brauns Vorstoß scharf zurückgewiesen. Dies wäre "die Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür […] Überdies ist eine solche Kategorisierung von Grundrechten in eine erste und eine zweite Klasse klar verfassungswidrig". Die Wahrnehmung der Grundrechte könne nicht dauerhaft von einem Wohlverhalten abhängig gemacht werden, das vom Kanzleramt als richtig definiert werde, so Kubicki. "Die Bundesregierung nimmt hiermit eine massive Spaltung der Gesellschaft in Kauf." Sogar Unions-Kanzlerkandidat Laschet zeigte Bedenken: „Ich halte nichts von Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollen“.

Die ersten Ergebnisse aus dem Politiker-Soziotop gibt es also schon, jetzt müssten nur noch die Bürger reagieren. Hernach, wenn der ganze Versuch irgendwann vorüber ist, könnte die bundesdeutsche Gesellschaft durch die Lehren daraus vielleicht hinreichend für neue drohende illiberale und vormundschaftliche Anfechtungen sensibilisiert und immunisiert sein, auch dank der Therapie von Dr. Braun.

Aber zum Schluss ganz im Ernst: Ob man es unterhaltsam findet oder nicht, sich die obrigkeitsstaatlichen Phantasien von Regierenden im Ausnahmezustand als volkspädagogische Maßnahme vorzustellen, ändert an einer Erkenntnis nichts. Nicht nur, wer sich selbst Freiheit und Grundrechte widerspruchlos entziehen lässt, ist für ihren Verlust mitverantwortlich, sondern auch, wer widerspruchslos zuschaut, wenn sie anderen entzogen werden.

Foto: Imago

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Jutta Schäfer / 27.07.2021

Die deprimierendste Botschaft dieser Tage: Deutschland hat aus der Nazi-Zeit NICHTS gelernt. Geschichte wiederholt sich eben doch - unter anderen Vorzeichen.

Gottfried Meier / 27.07.2021

Der sollte vielleicht Mal ein paar Kilo abnehmen. Seine Fettleibigkeit ist wohl eine größere Gefahr für seine Gesundheit.

Torsten Hopp / 27.07.2021

Die meisten sterben in Deutschland an Krebs oder Herzkrankheiten. Dies wiederum häufig zurückzuführen auf zu viel Tabak und zu viele Kalorien. Ich bin dafür alle Raucher und jeden deutschen über 100 kg vom allgemeinen gesellschaftlichen Leben auszuschließen, besonders von medizinischer Behandlung. Wer bietet mehr?

Jutta Schäfer / 27.07.2021

Schon die alten Römer wussten, dass divide et impera ein Erfolgsrezept ist. Die Nazis haben es ebenso mit Erfolg angewendet. Ganz offensichtlich hat es überdauert in den Gedanken eines gewissen Dr. ..... Ein schlimmes Erbe, das wir alle überwunden glaubten. Wir dürfen solchen Leuten nicht auf den Leim gehen. Nie wieder!

Sirius Bellt / 27.07.2021

Das ist aber ein sehr unglücklich gewähltes Foto. Er hat darauf so extrem kurze Finger, der Herr Braun. Wenn er damit mahnend mit dem Zeigefinger auf die bösen Impfunwilligen deutet, merkt das am Ende gar keiner.

Zeller Hermann / 27.07.2021

Ich halte das für scheinheilige rassistische Umerziehung und Einschüchterung. Solche Leute sollten Straßenkehren, da kann nur der Besen kaputt gehen.

Winfried Jäger / 27.07.2021

Nichts neues, ist uns alles bekannt. Einen so einen Seitenfüller braucht niemand.

Karla Kuhn / 27.07.2021

Achtung “Ausgegrenzte”  27. Juli 2021 CORONA ÖSTERREICH WEBWELT WIRTSCHAFT “GLEICHGESINNTE UND ÄHNLICH DENKENDE ZUSAMMENBRINGEN Gegen Impfzwang am Arbeitsplatz: Jobportal „ANIMAP Jobs“ gestartet”  Zu LESEN bei WOCHENBLICK: 27. Juli 2021.  Gibt es auch in Deutschland: “animap.info-  Das diskriminierungsfreie Branchenportal”

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / 16

Demokratiegefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach…/ mehr

Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Peter Grimm / 23.04.2024 / 06:05 / 94

Anleitung zum vorbeugenden Machtentzug

Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com