Von David Klein.
In Deutschland wird wieder einmal über Antisemitismus debattiert. Losgetreten wurde die aktuelle Debatte durch zwei deutsch-muslimische Rapper: einen Konvertiten, Felix Blume, Kampfname Kollegah, und einen echten, Farid Hamed El Abdellaoui, bekannt als Farid Bang. Zwei „Wortakrobaten“, die trotz antisemitischer Textinhalte mit einem Echo geehrt wurden, dem bis anhin wichtigsten deutschen Musikpreis.
Wie immer tut sich Deutschland schwer mit seinem unheiligen Erbe des industrialisierten, millionenfachen Judenmords. Dabei sollte das Land, das den versuchten Genozid an den europäischen Juden erdacht und durchgeführt hat, mittlerweile wissen, was antisemitisch ist und was nicht.
Deutschlands Bemühungen bezüglich der Erforschung des nicht tot zu kriegenden Phänomens des Judenhasses treiben mitunter seltsame Blüten. So hat der deutsche Bundestag 2015 eine „Antisemitismus-Kommission“ ins Leben gerufen, um dem jahrtausendalten Ressentiment gegen Juden auf die Spur zu kommen und Antisemitismus „entschlossen zu bekämpfen“. Dazu wurde ein „Expertenkreis“ zusammengestellt, der gänzlich ohne Juden auskam.
Rüper-Rapper sind nur Statisten
Nach erheblicher Kritik ließ der Bundestag verlauten, man habe die Kommission nicht nach „konfessionellen Zugehörigkeiten“ zusammengesetzt, sondern sich nur von „fachlichen Kriterien leiten lassen“. Offensichtlich gibt es in ganz Deutschland keine Antisemitismus-Experten jüdischer Herkunft, die den strengen „fachlichen Kriterien“ des Bundestags genügt hätten. Man stelle sich dagegen eine Kommission zum Feminismus ohne Frauen vor oder einen Expertenkreis zum Islam ohne Muslime. Dieser „Geburtsfehler“ wurde mittlerweile korrigiert, wobei die nachträglich in den Expertenkreis berufenen jüdischen Exponenten mit dem Makel leben müssen, bei der ersten Nominierung als fachlich ungenügend beurteilt worden zu sein.
Die Rüpel-Rapper sind im Grunde genommen nur Statisten in dieser neuen deutschen Antisemitismus-Posse. Sind sie Antisemiten? Was denn sonst. Das beweist unter anderem Kollegahs Video „Apokalypse“, in dem „das Böse“ einen Ring mit Davidstern trägt und wo nach dem „Endkampf“ um Jerusalem nur noch Muslime, Christen und Buddhisten übrig bleiben. Die Juden, die Wurzel allen Übels, wurden mal eben weggetextet. Spielt es eine Rolle? Nicht wirklich, denn die beiden Deutschrapper unterscheiden sich in ihrem Ressentiment gegen Juden nicht merklich vom deutschen Durchschnitt. Insofern ist es auch unerheblich, dass es für den Echo, das Aushängeschild einer Branche, die nicht wenige als die mit den niedrigsten moralischen und ethischen Standards betrachten, einen „Neuanfang“ geben soll. Diese Selbstgeißelung wirkt wohlfeil und trägt herzlich wenig zur Eindämmung von Antisemitismus in Deutschland bei.
Penetrante „Erinnerungskultur“
Das Problem liegt viel tiefer, nämlich in der ambivalenten Haltung des offiziellen Deutschland gegenüber Juden und Israel. Die deutschen Regierungen haben es versäumt, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbindliche Leitplanken bezüglich der Toleranz von Antisemitismus zu setzen. Einerseits frönt man mit kaum verhohlenem Sündenstolz einer penetranten „Erinnerungskultur“. In deren Rahmen tönte der kürzlich verstorbene Historiker Eberhard Jäckel an der Feier zum fünfjährigen Jubiläum des Berliner Holocaust-Mahnmals, es gebe „Völker, die uns um das Mahnmal beneiden“. Andererseits unterstützt die Bundesregierung die gesonderte Kennzeichnung von israelischen Produkten.
Auch der Israel-Passus im Koalitionspapier der GroKo lässt einiges an Sympathie für Juden und Israel vermissen. Der jüdische Staat wird einseitig kritisiert, während Hamas-Terror, Nichtanerkennung und Hasspropaganda, die auch in Deutschland zu antisemitischen Zwischenfällen führen, mit keinem Wort thematisiert werden.
Die Deutschen verlegen emsig Stolpersteine, halten Gedenktage ab und bauen Mahnmale für die jüdischen Opfer ihrer Vorväter, um der Welt und sich selbst zu beweisen, wie vorbildlich sie mit der Geschichte umgehen.
Absurder Erklärungsansatz
Gleichzeitig zahlt die Bundesregierung jährlich rund 162 Millionen Euro an die Fatah-Partei von Mahmoud Abbas, die nachweislich mit diesem Geld den Mördern von israelischen Zivilisten und deren Angehörigen üppige Renten auszahlt, die sich nach Anzahl der Toten erhöhen. Die Bundesregierung weiß von diesen Zahlungen, lässt jedoch ausrichten, die Terror-Renten hätten „größtenteils den Charakter einer Sozialhilfe“ und würden „einen Fortschritt im palästinensischen Staatsaufbau“ darstellen.
Nun rauschte es gewaltig im deutschen Blätterwald. Immens war die Empörung darüber, dass ausgerechnet am israelischen Nationalfeiertag und Gedenktag für die Opfer des Holocaust, Yom Hashoa, der Echo an zwei Rap-Antisemiten vergeben wurde. Als jedoch Kanzlerin Angela Merkel – ebenfalls am Holocaust-Gedenktag – den Holocaust-Leugner und damaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi mit militärischen Ehren empfing, wurde dies mit medialem Achselzucken quittiert. Mursi, ein Mitglied der Moslembrüder, verunglimpfte in einem Video Juden als „Abkömmlinge von Affen und Schweinen“ und wollte ägyptische Kinder „zum Hass gegen Juden“ erziehen. Sein offizieller Medienberater, Fathi Shihab-Eddim, bezeichnete den Holocaust als „Scherz“ und erklärte öffentlich, Deutschland habe keine Juden getötet, diese seien vielmehr in die USA verbracht worden.
Wie alleweil kämpften sich Politiker, Kunstschaffende und allerlei Promis durch das Meinungsdickicht. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des deutschen Bundesverbandes Musikindustrie, der den Echo auslobt, sah den Preis durch die Debatte „überhöht“ und „überfordert“. Dass ein Funktionär die aktuelle Diskussion nicht einordnen kann, ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar. Wer nun aber bei Verleger und Kunsthistoriker Hubert Burda, verheiratet mit Maria Furtwängler, der Großnichte des Dirigenten und Nazi-Kollaborateurs Wilhelm Furtwängler, mehr Sensibilität verortet, wird enttäuscht. 2013 verlieh der Burda-Verlag einen „Bambi für Integration“ an den Skandalrapper Bushido, dessen Twitterprofil bis vor fünf Tagen als Identitätsmerkmal eine Israelkarte in den Farben der palästinensischen Flagge schmückte – allerdings ohne Israel. Qualifiziert für den Integrationspreis hatte sich Bushido mit Textzeilen wie „Ihr Tunten werdet vergast“, „Ein Schwanz in den Arsch, ein Schwanz in den Mund“, „Das heißt nicht, dass ich dich nicht schlage, bis du blau bist“, „ich sag dir, bring sie um, die Frau gleich mit“ (aus dem Song „Dreckstück“) oder „Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel“.
Verständnis und Nachsicht
Auch damals gab es im Vorfeld Proteste, und Hubert Burda berief sich ebenfalls auf die Meinungs- und Kunstfreiheit sowie auf den „bewussten Tabubruch“ als ein „Stilmittel des Rap“. Allen, die sich wie Burda und andere Apologeten bei der Verbreitung von Antisemitismus und Gewaltverherrlichung auf die Meinungsfreiheit berufen, sei der letzte Absatz des Artikels 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung gerufen: „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist allerdings nur im Rahmen der anderen Menschenrechte geschützt. Sie findet daher ihre Grenze, wenn sie die Ehre anderer Menschen verletzt oder zur Verletzung ihrer körperlichen Integrität oder ihrer Freiheit aufruft. Rassismus und Gewaltverherrlichung ist damit von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt.“
Einen besonders absurden Erklärungsansatz bezüglich der von den Mainstream-Medien missverstandenen „grössten und vitalsten Jugendkultur Deutschlands“ verfolgte Kulturjournalist Dennis Sand in der Welt: Die Rapper seien „Kunstfiguren“, die Texte „radikal überspitzt“ und „Gewaltphantasien schlichtweg selbstverständlich“. Farid Bang hätte demnach nicht vor, Geschlechtsverkehr mit anderen Männern zu haben, wenn er rappt: „Ich ficke Bauchtaschenrapper“. Auch Bushido wolle „nicht wirklich“ auf die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, „schießen, bis sie Löcher hat, wie ein Golfplatz“. Alles nur Maskerade, die Rapper Schauspieler in einem „verbalisierten Actionfilm“.
Man möchte Herrn Sand mit „Tödliche Maskeraden“ antworten, einem Buch von Franco Ruault über Julius Streicher, den Herausgeber der Nazizeitung Der Stürmer: „Niemals zuvor hatte ein Mensch der deutschen Sprache derart Gewalt angetan. Julius Streicher war es, der die deutsche Sprache für seine Absichten zurechtklopfte und damit der ‚Endlösung der Judenfrage‘ einen Raum im implodierenden Sprachgefüge bereitstellte, lange bevor die Konzentrationslager errichtet wurden.“ Nun müsse man Kollegah erklären, „warum er vielleicht kein Antisemit“ sei, dann wäre er „für die Jugend ein besseres Sprachrohr für Toleranz und Nächstenliebe, als jeder Historiker es je sein könnte“.
Eine geballte Ladung Verständnis und Nachsicht, wie man sie vom Autor bezüglich, sagen wir, der AfD wohl eher nicht erwarten dürfte.
Verbale Verrohung
Brutalo-Rapper wie Kollegah, Bang und Bushido sind mit ihrer verbalen Gewalt mitverantwortlich für die mittlerweile fast täglichen Übergriffe von vorwiegend muslimischen Jugendlichen auf Juden und Israelis in Deutschland und für das Mobbing von jüdischen Schülern an deutschen Schulen. Die enthemmte verbale Verrohung und Verbreitung von antisemitischen Stereotypen mündet in reale Gewalt.
Umso unverständlicher ist es, dass entsprechende pädagogische Schulprojekte weder von der Bundesregierung noch von den hochdotierten parteinahen Stiftungen oder anderen vermögenden Institutionen prioritär gefördert werden.
Frau Di Matteo von der Robert-Bosch-Stiftung teilt telefonisch mit, das „Thema Nationalsozialismus“ und die „ewigen Ausflüge nach Auschwitz“ habe man nun „definitiv abgehakt“. Die Hertie-Stiftung, ein Partner der EVZ und eine der größten privaten Stiftungen Deutschlands, die ihr immenses Stiftungsvermögen von 800 Millionen Euro mit den arisierten Warenhäusern des jüdischen Besitzers Hermann Tietz erwirtschaftete, hat sich der „Integration von Zuwandererkindern und -jugendlichen“ verschrieben, allerdings ohne das Problem des muslimischen Antisemitismus zu thematisieren.
Kollegah und Bang schüchtern Leute ein
„Damit sich die Positionen vor allem auch von Jugendlichen tatsächlich ändern können, müssten Lehrer, Sozialarbeiter und Vereine besser unterstützt werden“, fordert der Düsseldorfer Islamwissenschaftler Michael Kiefer. „Das Grundphänomen des migrantischen Antisemitismus ist seit Jahren bekannt. Bislang hat diese Erkenntnis allerdings kaum politische Handlungskonzepte hervorgebracht“, so Kiefer weiter. „Wir haben bedauerlicherweise im Bereich der Jugendhilfe nur sehr wenige Projekte, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen. Was wir brauchen, sind Projekte, die gezielt auf eine Stärkung und Hervorbringung der Dialog- und Toleranzfähigkeit migrantischer Jugendlicher hinarbeiten. Hier liegt ohne Frage eine große Zukunftsaufgabe, die vor allem in den großen Städten anzugehen ist.“
Auch Musikerkollegen haben Respekt vor den Muskel-Rappern. So mochte der Sänger und Echo-Gewinner Mark Forster auf dem roten Teppich vor der Echoverleihung keinen Kommentar zur Debatte abgeben: „Sonst krieg ich Ärger mit Farid Bang.“
Ärger mit den Fans von Kollegah und Bang bekam in der Schweiz SP-Kantonsrat und Teilzeitrapper Patrick Portmann, der einen offenen Brief gegen den Auftritt des Rap-Duos am Albanian Festival in Schaffhausen unterstützte: „Wenn du weiter Faxen machst, gibt es Ärger“, hieß es auf Facebook. „Jetzt zurück, Alter, sonst kassierst du. Pass besser auf, was du machst.“ Portmann nimmt die Drohungen ernst: Er entfernte den Brief von seiner Facebook-Seite. Der Rapperauftritt wurde mittlerweile abgesagt.
Angela Merkel bleibt stumm
Während – frei nach Karl Valentins Satz „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“ – sämtliche relevanten Medien im In- und Ausland darüber berichten, dass in Deutschland Antisemitismus nicht nur wieder gesellschaftsfähig ist, sondern auch noch preisgekrönt wird, bleibt eine gewichtige Stimme stumm. Fühlte sich Landesmutter und Hobby-Rezensentin Angela Merkel 2010 noch bemüßigt, Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ als „nicht hilfreich“ zu bewerten, herrscht heuer bei Musikkritikerin Merkel dröhnendes Schweigen.
Das wiederum passt zu einer Bundesregierung, die 2008 Israels Sicherheit zur „Staatsräson“ erklärte, deren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aber letztes Jahr als erster deutscher Bundespräsident überhaupt dem Judenmörder Arafat, dem die Sicherheit Israels erwiesenermaßen kein Anliegen war, die Ehre erwies, einen Kranz an seinem Grab niederzulegen.
In dieser Atmosphäre staatlich vorgelebter Doppelmoral fällt Antisemitismus jeglicher Art auf fruchtbaren Boden, auf dem auch Kollegah und Farid Bang ihre verkaufsfördernden Tabubrüche unbehelligt ausloten können, mit denen sie Millionen verdienen. Antisemitismus ist, wenige Jahrzehnte nach der Shoa, wieder ein Geschäftsmodell in Deutschland. Mit oder ohne Echo.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung