David Klein, Gastautor / 05.07.2014 / 10:28 / 2 / Seite ausdrucken

Selfies aus Buchenwald

David Klein

Jessicaa_2208 und liisa1901, zwei Teenie-Mädchen in kurzen Röcken und ausgefransten Jeans, haben sich einen reichlich ausgefallenen Ort für ihren Instagram Selfie ausgesucht. Eng aneinander geschmiegt fotografieren sie sich auf dem Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald. Verträumt lächeln sie in die Kamera. Ihr Hashtag lautet:

#girls#buchenwald#bestes#wetter#mit#der#süssen#in#stein#quetschen#horst#monika#guter#tag#liebe. Antwort von fatezero94: wenn das die Juden wüssten  Darauf liisa1901: die gibts nichtmehr .

Ein bedauerlicher Einzelfall, ein geschmackloser Ausrutscher einiger gedankenloser Jugendlicher? Oder einfach das verquere Geschichtsverständnis der Twitter-Generation? Gibt man auf Instagram die Hashtags #buchenwald, #bergenbelsen, #mahnmal oder #auschwitz ein, stösst man auf tausende Selfies, deren Hashtags bar jeglicher Empathie und Pietät, gepaart mit einer exorbitanten Unkenntnis der Geschichte, den Betrachter fassungslos zurücklassen. Die Website vice.com hat einige der deplatziertesten Fotos und Hashtags dokumentiert. Von #chillin#at#birkenau über #bisschenrespektlosdraufrumsitzen (Mahnmal Berlin) bis hin zu #zyklonb#feelgood oder #instocaust wird alles an Geschmacklosigkeiten geboten.

Über die «Quenelle» des französischen Komikers Dieudonné wurde viel geschrieben. Einige erkannten in der als «umgekehrten Hitlergruss» bekannt gewordenen Geste antisemitisches Vokabular unter dem Radar der Strafverfolgung, andere mochten darin lediglich den Ausdruck von Insubordination gegen das Establishment sehen.

Hochtrabende Kommentare und Essays widmeten sich der Frage, ob Satire «alles darf», wie Kurt Tucholsky einst behauptete. Wobei sich diese Exkurse hauptsächlich in der Zurschaustellung der intellektuellen Kapazität der jeweiligen Autoren erschöpften. Eine gesellschaftspolitische Analyse mit Verweisen auf kulturhistorische Ereignisse kann bei bei Halbwüchsigen nicht greifen, denen es gemäss PISA an grundlegenden Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben mangelt. Im Leben der meisten, die sich vor Synagogen, ehemaligen Konzentrationslagern oder im Anne Frank Haus mit der «Quenelle» zur Schau stellen, spielt Tucholsky schlicht und ergreifend keine Rolle.

Noch schwieriger dürfte es sein, den chinesischen Knirpsen im Kindergartenalter, die auf einem Youtube-Video inbrünstig Dieudonnés Holocaust-Veräppelungssong «Shoananas» grölen und am Ende, kreischend vor Vergnügen, mit einer einwandfreien «Quenelle» aufwarten, Tucholskys These zu erläutern.

Die schier grenzenlose Informationsflut via Internet, TV und Print-Medien hat die am besten informierte und gleichzeitig ahnungsloseste Generation aller Zeiten hervorgebracht. Wobei die Einschätzung der Relevanz von Informationen und deren Verständnis nicht nur junge Menschen zusehends überfordert.

Jugendliche kennen die neusten Schminktipps, die coolsten Trends, die vermeintlich hippsten Bands und die Biografie von Paris Hilton. Auf die Frage nach der Bedeutung des Kürzels DSDS kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, bei CDU oder UNO hingegen herrscht Ratlosigkeit. Und wie war nochmal Hitlers Vorname? Klar: Heil!

Kinder und Jugendliche werden kontinuierlich mit Inhalten konfrontiert, die selbst Erwachsene nicht verarbeiten oder einordnen können. Daraus resultiert eine gesellschaftskulturelle Verwahrlosung und emotionale Verrohung, die sich in einer Reihe von pervertierten Verhaltensformen und Praktiken äussert, welche sich jeglicher Nachvollziehbarkeit entziehen und an denen Erklärungsversuche weitgehend scheitern.

Eines jedoch haben die Holocaust-Selfies wie auch die «Quenelle» gemeinsam. In ihrer Entmenschlichung und Desensibilisierung werfen sie ein düsteres Licht auf die Zukunft unserer Gesellschaft.

David Klein, Komponist und Musiker in Basel

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Leserpost

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Wolfgang Prabel / 06.07.2014

Ich habe das Geschichtsbuch meines Sohnes hinsichtlich 1933 kontrolliert. Da war die Machtübernahme eine eindimensionale Folge der Weltwirtschaftskrise. Wenn Jugendliche vom Staat so verblödet werden, darf man sich nicht wundern.

Thilo Schneider / 05.07.2014

Ganz so ist es nicht, Herr Klein. Gedenkstätten, speziell zum Thema Judenverfolgung, sind heute eben nur noch lästiges Pflichtprogramm beim Schulausflug und lösen, gestylt als eine Art “Holocaustdisneyland” bestenfalls Langeweile statt Betroffenheit aus. Nach dem Motto “wir fahren nach Bergen Belsen und danach seid Ihr alle mal schön betroffen, okay?”, was speziell auch bei Schülern mit einem kulturell bedingten antisemitischem Hintergrund unter Umständen sogar zu Amüsement als Ausdruck des Widerstandes gegen Pflichtemotionalität führt. Und im Wettrennen um den Schmerzensmann des 21sten Jahrhunderts haben derzeit sowieso die Palästinenser die Nase vorn, gefolgt von dem verfolgten Moslem an sich. An was sollen die Gedenkstätten heute auch gemahnen? Dass hier deutsche Nichtjuden deutsche Juden abschlachteten? Das kriegen Sie heute einfacher. Setzen Sie sich eine Kippa auf und spazieren Sie durch Kreuzberg.

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