Peter Grimm / 24.02.2024 / 12:00 / Foto: Raimond Spekking / 41 / Seite ausdrucken

Demokratie retten mit Genossin Bärbel

Die Bundestagspräsidentin glaubt zu wissen, was der Demokratie gut tut und wie man die AfD bekämpft. Doch bevor sie darauf setzt, Minderjährige an die Urne zu holen, sollte sie vielleicht erst einmal ein paar bemerkenswerte Zahlen zur Kenntnis nehmen.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas liegt die Demokratie sehr am Herzen. Demokratie ist bekanntlich vor allem dann gut, wenn darin die eigenen Genossen regieren. Deshalb muss die Demokratie auch gegen die Opposition verteidigt werden, insbesondere dann, wenn sich zu viele Wähler entschließen, in freien und geheimen Wahlen für die AfD zu stimmen. Zum Glück weiß Genossin Bärbel, was der Demokratie guttut und die AfD schwächt. Aber eine aktuelle Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung aus Thüringen müsste bei ihr Zweifel wecken.

Schon länger wirbt Bärbel Bas bekanntlich für eine grundlegende Änderung im deutschen demokratischen Gemeinwesen: das allgemeine aktive Wahlrecht für Sechzehnjährige. So auch an diesem Wochenende, wie u.a. evangelisch.de meldet: „‚Bei der Europawahl im Juni dürfen zum ersten Mal auch 16-Jährige wählen. Das tut unserer Demokratie gut‘, sagte Bas den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). ‚Wir sollten mit der Bundestagswahl und den Landtagswahlen nachziehen.‘“

Ich persönlich halte es für eine bedenkliche Schieflage, wenn man Sechzehnjährige zwar per Gesetz nicht für mündig genug hält, allein einen größeren Kaufvertrag abzuschließen oder Zigaretten zu kaufen, ihnen aber gleichzeitig verantwortungsbewusste Wahlentscheidungen zutraut. Es will doch wohl niemand auf diese Weise signalisieren, dass Wahlen gar nicht so wichtig seien oder darauf spekulieren, dass sich jüngere Wähler leichter für eigene Ansinnen mobilisieren ließen, oder?

Bei Genossin Bas jedenfalls hat man wohl mit derlei Bedenken keine Chance, wie sich der eingangs zitierten Meldung entnehmen lässt:

Manche hätten Bauchschmerzen, wenn Jugendliche vor der Volljährigkeit das Wahlrecht bekämen, fügte sie hinzu. ‚Ich werde aber nicht aufhören, für eine verfassungsändernde Mehrheit zur Absenkung des Wahlalters auf 16 zu werben. Für mich ist das Teil der Demokratieerziehung‘, sagte Bas. Je früher Menschen wählen gingen, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie auch zukünftig regelmäßig an Wahlen teilnehmen.“

Und dann – so dürfte die Bundestagspräsidentin hoffen – auch regelmäßig ihre oder eine befreundete Partei wählen. 

Je jünger, je linker?

Man darf Bärbel Bas wohl getrost unterstellen, dass ihr Vorstoß auf gar keinen Fall der AfD nutzen soll. Wir Menschen aus der Baby-Boomer-Generation sind ja in einer Zeit herangewachsen, in der – verkürzt gesagt – das Motto galt: „Je jünger, je linker“. Möglicherweise hat diese Überzeugung bei Bärbel Bas bis heute überlebt. Doch manche Überzeugungen haben keine Ewigkeitsgarantie. Man sollte sie gelegentlich, wie man neudeutsch sagt, einem Faktencheck unterziehen. In diesem Falle gäbe es eine auch für Genossin Bas politisch unverdächtige Quelle: eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. 

„Wie tickt Thüringen? – Lebenszufriedenheit im Freistaat vor dem Superwahljahr“ heißt dieses – bis auf die Gender-Sprachverhunzung – äußerst lesenswerte Werk. Zwar werden darin nicht die politischen Präferenzen von Sechzehnjährigen abgefragt, aber im Altersgruppenvergleich gilt nach den hier publizierten Daten im Jahr 2024 offenbar eher das Motto „je jünger, je rechter“. Über alle Altersgruppen hinweg könnten sich – ähnlich wie in Umfragen – 34,7 Prozent der Wähler vorstellen, die AfD zu wählen. Und wie sieht es bei den jüngeren Wählern aus?

„Fast jede_r Zweite (47,5 Prozent) der 18- bis 29-Jährigen kann sich grundsätzlich vorstellen, bei der nächsten Landtagswahl die AFD zu wählen, der höchste Wert im Vergleich zu den anderen Altersgruppen.“

Das lässt darauf schließen, dass es der AfD möglicherweise nicht schadet, sondern eher nützt, wenn mehr jüngere Wähler an die Urne dürfen. Das Folgende mag für Achgut-Leser etwas abgenutzt klingen, aber für Frau Bas ist es vielleicht neu: Wenn man den Wählerzulauf zur AfD stoppen will bzw. ihnen wieder Wähler abspenstig machen möchte, dann ginge das eigentlich ganz leicht, vor allem, wenn man regiert. Man muss mit praktischer Politik die Probleme angehen, die die Menschen gelöst haben wollen. Es stattdessen als moralisch anrüchig zu behandeln, wenn jemand diese Probleme überhaupt klar anspricht, ist kontraproduktiv.

Erkenntnisse aus eigenem Hause

Das ist keine neue Erkenntnis, denn auf diese Weise ist die AfD in den letzten Jahren überhaupt so stark geworden. Wenn das immer wieder nur auf Achgut und in ähnlichen Medien steht, nehmen es Bas und Genossen nicht ernst. Jetzt lieferte allerdings auch die Friedrich-Ebert-Stiftung Erkenntnisse, quasi aus eigenem Hause:

„Gefragt nach den derzeit größten Problemen, um die sich die Landespolitik in Thüringen stärker kümmern sollte, gibt über die Hälfte (57,2 Prozent) der Befragten an, dass Migration/Zuwanderung/Asyl das größte Problem sei“.

Und um ein so bedeutendes Problem muss man sich glaubhaft kümmern wollen, wenn man gewählt werden will. Im Übrigen ist es auch hier interessant, wie das die Jüngeren sehen:

„Mit Blick auf die Altersstruktur zeigt sich ein insgesamt eher homogenes Antwortverhalten, mit einer Ausnahme: In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen ist der Anteil derjenigen, die für sich persönlich Migration/Zuwanderung/Asyl (64,2 Prozent) und die Sicherheit im öffentlichen Raum (29,8 Prozent) als besonders problematisch wahrnehmen, am größten.“

Diese Signale könnte auch eine Bundestagspräsidentin verstehen, sofern ihr nicht ideologische Scheuklappen im Weg sind.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Foto: Raimond Spekking, CC BY-SA 4.0, Link

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Dirk Kleinjakob / 24.02.2024

Wäre es, so rein theoretisch, schon Verhöhnung bzw. Delegitimierung des Staates, wenn man - rein theoretisch - diese Bas als Vollklischee einer unangenehmen SPD-Apparatschika bezeichnen würde (was natürlich weder ich noch irgendein sonstiger aufrechter Faeser-Demokrat täte - bewahre).

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