Wolfram Weimer / 05.10.2013 / 15:40 / 7 / Seite ausdrucken

Das will die bürgerliche Mehrheit

Die Bundestagswahl hat die strukturellen Mehrheiten in Deutschland verschoben. Nach Jahren des Rückzugs wird das Bürgerliche wieder stärker. Das ist ein Reflex auf die Überdehnung des Gourvernanten- und Umverteilungsstaates

Zwanzig Jahre lang liefen Sozialisten durchs Land und schwadronierten etwas von einer “strukturellen linken Mehrheit” in Deutschland. Damit ist es vorbei. Denn zu den vielleicht nachhaltigsten Ergebnissen der Bundestagswahl gehört die Tatsache, dass Deutschland wieder eine strukturelle bürgerliche Mehrheit hat: CDU, FDP und AFD kommen zusammen auf 51,1 Prozent der Stimmen. Das linke Lager hingegen erreicht mit SPD (25,7 Prozent), Linkspartei (8,6 Prozent), Grünen (8,4 Prozent) und Piraten (2,2 Prozent) gerade 44,9 Prozent.

Damit verschieben sich die tektonischen Platten der Republik nach zwei Jahrzehnten wieder tief hinein ins Bürgerliche. Das hat Fernwirkungen nicht nur für die kommenden Landtags- und Europawahlen. Es deutet auch einen tiefgreifenden Kulturwandel an, dem sich die Parteien über kurz oder lang zuwenden müssen. Es werden sich Themen, Stile und Interessen der neuen, bürgerlichen Mehrheitskultur öffnen. Die Grünen betreiben diese Rückverbürgerlichung schon im Zeitraffertempo. Sie eilen von den Irrungen einer linken Trittin-Kampftruppe in die bürgerliche Wärmestube einer Kretschmann-Partei.

Das linke Zerrbild einer Republik, die zutiefst ungerecht, gespalten und mit sich im Verteilungskampf befindet, trifft das Selbstgefühl der Deutschen einfach nicht mehr. Und die linke Losung, dass nur der möglichst fette Staat die Probleme seiner Bürger löst, findet keine Mehrheiten mehr. Im Gegenteil verbreitet sich eine Grundstimmung, dass selbstbewußte Bürger ihre Angelegenheiten lieber selber regeln wollen, anstatt bevormudnet, bürokratisiert, reglementiert und übersteuert zu werden. Es geht also auch in Deutschland um das Thema “Bürgergesellschaft” statt “Supernannystaat”. In den USA hat die politische Debatte sich bereits seit einiger Zeit von der Kritik am “Big Business” zum Problem des “Big Government” verschoben. Der aktuelle Streit um das “government shut down” zeigt das auf dramatische Weise.

Noch wollen linke Medien den ordnungspolitischen Richtungskampf in den USA mißverstehen als einen irren Amoklauf neo-konservativer Spinner im Parlament gegen einen sozialen Präsidenten. In Wahrheit geht es auch dort um die Frage, wie viel Staat unsere modernen Demokratien in diesem Jahrhundert wirklich brauchen, sich leisten können und - vor allem - ertragen. Die Überschuldung der westlichen Demokratien ist jedenfalls ein Alarmindikator für die Überdehnung der Staatsfunktionen.
In Deutschland wird das ordnungspolitische Großthema vorerst unter habituellen Kategorien wie “Bevormundungsstaat” und “Verbotsrepublik” debattiert. Doch hinter dem Streit um Veggie-Day und Umweltplaketten steht bereits ein wandelndes Bild vom Staat an sich. Im Bürgertum keimt eine breite Kritik an einem Gemeinswesen, dessen Regulatoren sich insgesamt zu stark einmischen. Der Umverteilungspaternalismus wird zusehends skeptisch beäugt, weil das Bürgertum längst erkennt, dass sich eine politische Sozialstaatsindustrie zur eigenen Bereicherung etabliert hat und nun die “vorsorgende Sozialpolitik” als ihren neuen Markt entdeckt.

Von den 30.000 Steuerparagrafen bis zu den hinter Hecken kauernden Polizisten, die brave Tanten auf breiten Ausfallstraßen mit ihren Blitzgeräten abkassieren, vom Glühbirnenbefehl bis zum Rauchverbot reicht die Alltagserfahrung in einem Staat, der zusehends auftritt wie eine Gouvernante. Dabei umstellen uns linke Moralapostel wie Gurus des Gutmenschentums mit ihren Geboten: Du sollst nicht Auto fahren, kein Fleisch essen und nicht nach Leistung beschäftigen, sondern nach Geschlecht und Herkunft. Mit Quoten und Verboten kommen sie daher, die Verbraucher- und Familienschützer, die Gleichstellungsbeauftragten, Sozialpolitiker, Präventionsräte und Integrationsberater. Sie tragen Menschen teure Beratungen und Bildungspakete hinterher, die gar keine haben wollen, denn sie wissen alles besser. Die Big-Government-Gouvernante reicht ein Zückerchen hier, ein Löffelchen da, denn ihren Steuer- und Schuldenbrei rühren sie sich immer dicker herbei, obwohl die Staatsfinanzen darunter schon fast zusammenbrechen.

Die Bürgergesellschaft hat diesen Schulden- und Gouvernantensozialismus ziemlich satt. Sie wehrt sich in Wahlen – nicht nur un Deutschland. Es gibt einen neo-bürgerlichen Trend von Norwegen über Österreich bis Australien und Japan. In Deutschland ist die strukturelle Mehrheit dafür nun da. Sie wird sich in den kommenden Jahren einen politischen Weg bahnen, den ausufernden Staat zurück zu drängen.

Erschienen auf Handelsblatt Online

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Leserpost

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Jochen Seelig / 06.10.2013

Sind das die Bürgerlichen, die - geringere CO2-Werte für Autos ablehnen, aber Subventionen für Elektroautos fordern, - gegen weitere Einwanderung sind, aber die polnische Putzfrau nicht anmelden, um zu sparen - für die Privatisierung der Krankenversicherung sind, aber sich ab und zu mal eine Kur auf Kassenkosten gönnen, - für weniger Staat sind, aber nur, wenn ihnen dabei nichts genommen wird? Dann können mir diese Bürgerlichen gestohlen bleiben.

Robert Bond / 06.10.2013

LOL, der war gut. Weil der deutsche Bürger die Gouvernante Staat satt hat, wählt er jetzt Mutti Merkel? Diese Theorie sollten Sie vielleicht nochmal überdenken…

Frank Höhnisch / 06.10.2013

Ich denke, dass hier mehr der Wunsch der Vater des Gedanken von Herrn Weimer ist. Dem gemeinen unpolitischen Volk sind Kategorien wie bürgerlich, sozialistisch, links oder rechts ziemlich schnuppe. Wenn zumindest meine Wenigkeit mit anderen i.d.R. sehr unpolitischen Menschen spricht - die zweifelsfrei die Mehrheit des Volkes ausmachen – oder über Politik reden hört, dann fragen die nur, was bei welcher Partei bzw. welchem Politiker unterm Strich für sie materiell übrig bleibt. Und spätestens seit der Gesundheitsreform sind hier so ziemlich sämtliche Parteien und Politiker beim realexistierenden Bürger unten durch. Diese wahren Bürger fragen sich nämlich, was die Politiker ihnen am Ende für Kosten aufbürden. Durch den Rückbau des Sozialstaates können sich viele Bürger entweder ihren zweiten Jahresurlaub und andere Luxusgüter nicht mehr so leisten wie früher. Diese simple Raff- und Habgier, die schließlich doch sehr menschlich ist, steckt primär hinter den Beurteilungsmaßstäben des Stimmviehs und nicht hehre politische Ideale. Wie, woher und auf wessen Kosten man nämlich mehr oder weniger Geld in der Tasche hat, das interessiert schätzungsweise mindestens 80% des Volkes nicht. Das dürfte nicht nur für Deutschland, sondern für sämtliche Wohlfahrtsstaaten gelten, die ihre Leistungen und damit das Einkommen vieler Menschen nun kürzen müssen. Was hier also an Wahlergebnissen entstand ist nicht das Vorbeben einer neuen bürgerlichen Revolution, sondern das Ergebnis eines politikverdrossenen Volkes, für die „die Politiker eh alle scheiße sind.“ Dann wählen sie entweder irgendetwas oder überhaupt nicht. Doch ich muss zugeben, dass meine These einen Haken hat: Warum hat die Linkspartei nicht bereits die absolute Mehrheit, wenn sie doch sämtliche unpopulären Reformen rückgängig machen will?

Joachim Nowak / 05.10.2013

Stimmt auffallend!! Die Sozialisten müssen nicht nur in Deutschland, sondern um uns herum gewaltige Stimmeneinbrüche verkraften. Das ist auch gut so!! Denn wenn ich nun die vergangenen 30 Jahre Revue passieren lasse, dann fällt mir auf, dass ich persönlich diese ganzen Selbstbeweihräucherungen einfach nicht mehr hören und sehen kann. Wir sind seit Jahrzehnten dabei jeden auf den Schoß zu nehmen und für alles, was noch so rücksichtslos und brutal ist mächtig viel Verständnis entgegen zu bringen. Dann kommen wieder Sozialprojekte, die seit Jahrzehnten laufen und die Erfolge derer sind marginal. “Der Marsch durch die Institutionen” der alten 68er ist schon lange abgeschlossen und die “Weltverbesserer” hatten ihre Chance…und sie haben sie nicht genutzt. Die Welt ist weder besser geworden, noch können auch nur ansatzweise herangezogene Statistiken irgendwelche Erfolge nachweisen. Nicht nur das Waldsterben blieb aus, noch sind irgendwo nach Tschernobyl Rehe mit 4 Köpfen und 9 Beinen aufgetaucht. Nun hatten wir ja alles, was sozial war: Integrationskurse Förderschulen Streetworker 35 Std./Woche Bunte Republik Extreme Vielfalt Überall, wo genau diese Dinge punktgenau umgesetzt wurden herrscht Chaos-Gewalt-Hass-Kriminalität-Arbeitslosigkeit-Verwahrlosung. Das dann vorallem genau dort, wo die 68er sämtliche Schalt- & Waltstellen vollständig inne haben.

Alexander Bertram / 05.10.2013

Es ist schön, dass Sie uns an Ihren (wünschenswerten) Träumen teilhaben lassen. Sollte es Ihrer Ansicht nach schon Realität sein, dann bitte konkreter, was die Basis Ihrer Vermutung, dass die „Bürgergesellschaft diesen Schulden- und Gouvernantensozialismus satt hat“, ist. Die Achse Norwegen, Österreich, Australien, Japan braucht noch viele Gelenke ;-). Und in D? Wo sind die Menschen neuerdings souverän? Beim Bäcker, weil sie zwischen Wecken, Semmel, Brötchen, Schrippe entscheiden? Weil bei Ihnen in der Nachbarschaft die nächste Selbsthilfegruppe aufgemacht hat? Oder weil (schon) 70.000 gegen Überwachung unterschrieben haben? Die Zahlen sagen zudem noch was anderes - die AfD ist mitnichten bürgerlich und Sie vergessen die restlichen 40 Mill Bundesbürger. Also, die “bürgerliche Mehrheit” will vieles nicht, aber was will sie ???

Peter Schmidt / 05.10.2013

... gebe Gott, dass Sie recht behalten. Was wäre das eine Erlösung. Herzliche Grüße Peter Schmidt

Max Hoffmann / 05.10.2013

Diese Rechenkunststücke, die eine bürgerliche Mehrheit in D ausweisen, nützen gar nichts. Es kommt im politischen Machtkampf lediglich darauf an, wieviel von den Einen und wieviel von den Anderen in der Lage sind, die Hebel der Macht zu bewegen. Und um diese Hebel sind nun mal, im Ergebnis der Wahl, mehr Antibürgerliche als Bürgerliche versammelt. Aber selbst diese Betrachtung trifft nicht den Kern. Es geht nämlich gar nicht um das bürgerliche oder antibürgerliche Lager, sondern nur um bestimmte Personen, die eine hohe Affinität zur Macht haben. Und diese Affinität wird sie im Moment der Entscheidung alles vergessen lassen: ihre Parteizugehörigkeit, ihr Gewissen, ihre Meinung von gestern , und, vor allem, ihre Wähler.

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