Während sich Politiker fast jeder Couleur mit Forderungen nach noch gravierenderen Grundrechtseinschränkungen insbesondere für Ungeimpfte gegenseitig überbieten und in Österreich Impfskeptiker bereits unter eine Art Hausarrest gestellt wurden, richten sich die Blicke einmal mehr auf die Justiz.
Ist von den Verwaltungsgerichten, ja möglicherweise sogar durch das Bundesverfassungsgericht ein Befreiungsschlag zu erwarten? Gibt es endlich ein wegweisendes Urteil, das den „Corona-Maßnahmen“ des zunehmend übergriffigen Staates Grenzen setzt und eigentlich unveräußerliche Grundrechte wieder in Kraft setzt?
Um es vorwegzunehmen: Bislang deutet wenig bis nichts darauf hin. Im Gegenteil: Wie in der unsäglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Klimawandel scheint die überwiegende Mehrheit der Richterschaft auch bei Corona ganz auf Linie der Exekutive zu liegen. So gut wie niemand scheint bereit zu sein, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und kritischen Stimmen rechtliches Gehör zu verschaffen.
Dass man zumindest derzeit auf die Justiz nicht setzen kann, mussten jüngst unter anderem Studenten erfahren, die vor dem Verwaltungsgericht Mainz und dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim Eilanträge gegen die für den Besuch ihrer Vorlesungen nötigen kostenpflichtigen Coronatests gestellt hatten und dabei den in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verbrieften Gleichheitssatz geltend machten, der einer diesbezüglichen Unterscheidung zwischen ungeimpften und geimpften bzw. genesenen Personen entgegenstehe. Beide Anträge wurden abgewiesen.
Zunächst ist zu diesen im sogenannten Eilverfahren ergangenen Beschlüssen festzuhalten: In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine behördliche Verordnung gelten sehr strenge Maßstäbe, die für einen Antragsteller nur schwer zu erfüllen sind. Prüfungsmaßstab in solchen Verfahren sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit sich diese bereits absehen lassen. Ist danach ein Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung „zur Abwehr schwerer Nachteile“ oder aus anderen wichtigen Gründen nicht geboten.
Eine schwer zu nehmende Hürde
Ergibt diese Prüfung jedoch, dass der Antrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitigen Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsachentscheidung unaufschiebbar ist.
Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht seriös abschätzen, ist über den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag auf die gerichtliche Normenkontrolle im Hauptsacheverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen dabei die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, was eine schwer zu nehmende Hürde darstellt.
Soviel zu den Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung, die ein Vorgehen gegen das Testregime an den Universitäten zu erfüllen hätte. Inhaltlich hängt nach Durchsicht der Beschlussgründe bezüglich einer möglichen Verletzung des Gleichheitssatzes alles von einer einzigen Frage ab: Sind Geimpfte weniger ansteckend als Ungeimpfte? Die Gerichte haben diesen Sachverhalt bislang ohne Einschränkungen bejaht und sich dabei stets auf die fachliche Kompetenz des Robert-Koch-Instituts (RKI) gestützt. Der VGH Mannheim schreibt sinngemäß, das RKI werte alle diesbezüglichen Fakten und wissenschaftlichen Studien aus und liefere Erkenntnisse, die das Gericht nicht infrage stellen wolle.
Hinter dem breiten Rücken der Seuchenbehörde verstecken
Richter, die am Status quo nicht rütteln wollen, können sich also bequem hinter dem breiten Rücken der Seuchenbehörde verstecken. Denn Aufgabe des RKI ist es ja, die Verwaltung wie auch die Justiz von der Aufgabe zu entlasten, den gesamten Forschungsstand zu einer biomedizinischen Frage, in diesem Fall zu Corona, immer wieder aufs Neue auszuwerten und einzuordnen. Verweist ein Kläger nun auf andere Studien oder Erkenntnisse, die denen des RKI möglicherweise widersprechen, müsste das Gericht sich nicht nur diese Studien genauer ansehen, sondern es müsste sich, möglicherweise auch mit Hilfe von Gutachtern, in den gesamten Forschungsstand einarbeiten. Das ist im Eilverfahren zwar nicht unmöglich; die Frage ist jedoch, ob Richter dazu bereit sind, worauf aus zwei Gründen wenig Hoffnung zu setzen ist:
Die nicht gerade an Unterbeschäftigung leidenden Richter (Stichwort: Asylverfahren) an den deutschen Verwaltungsgerichten können es sich, zum einen, mit solchen Fällen leicht machen, indem sie einfach auf das RKI verweisen. Das RKI spielt hier in etwa jene Rolle, die beim berühmt-berüchtigten Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts der Weltklimaorganisation IPCC und dem Umweltbundesamt zugewiesen wurde, wohl wissend, dass es sich hier um tief in politische Händel verstrickte Organisationen handelt, deren wissenschaftliche Objektivität anzuzweifeln ist. Aber auf dieses schlüpfrige Terrain will sich offenbar kein deutscher Robenträger begeben, man müsste ja die eigene, kritische Vernunft bemühen.
Dass Geimpfte weniger ansteckend sind und somit weniger zum Infektionsgeschehen beitragen, wird vom RKI, wenn auch inzwischen nicht mehr so deutlich, wie dies noch im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung des VGH Mannheim der Fall gewesen ist, weiterhin bejaht. Damit ist es zumindest im Eilrechtsschutz kaum möglich, hier etwas zu erreichen, was der aktuellen Einschätzung des RKI widerspricht. Selbst dann nicht, wenn die Behörde viele ihrer bisherigen Aussagen zur Wirksamkeit der Impfung und deren Auswirkungen auf das pandemische Geschehen zwischenzeitlich erheblich relativiert oder sogar gestrichen hat. Im Hauptsacheverfahren kann das unter Umständen anders aussehen, doch sei darauf hingewiesen, dass das Verfahren um die bayerische Ausgangssperre immerhin anderthalb Jahre gedauert hat.
Zu beachten ist, zum anderen, bei alledem aber auch ein individualpsychologischer Aspekt: Die Richter an den VGs wie auch an den anderen Gerichten sind wohl mehr oder weniger alle geimpft. Jeder reflektierte Mensch weiß, dass die Entwicklung und Zulassung eines sicheren Impfstoffs normalerweise bis zu zehn Jahre dauert. Sich die neuen, in nur einem Jahr entwickelten und nur über eine Notfallzulassung verfügenden Vakzine injizieren zu lassen, war nie allein mit dem Argument des Selbstschutzes zu erklären, sondern immer auch mit dem des Fremdschutzes: Der Geimpfte schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere und hilft der Gesellschaft insgesamt, die „Pandemie“ möglichst bald hinter sich zu lassen. Auf dieser Grundlage dürften auch viele Richter ihre Impfung akzeptiert haben.
Zwei kleine Hoffnungsschimmer
Das Argument des Fremdschutzes nun im Lichte neuerer Erkenntnisse fallenzulassen, würde nicht nur die amtliche Begründung der Impfkampagne zur Implosion bringen, sondern auch der eigenen Impfentscheidung und den damit möglicherweise verbundenen Risiken die Grundlage entziehen. Dies einzugestehen, dürfte den meisten Menschen nicht gelingen, auch Richtern nicht.
Es gibt dennoch zwei Aussagen aus den hier diskutierten und weiteren aktuellen Corona-Gerichtsbeschlüssen, die vielleicht ein wenig Hoffnung machen. So hat der VGH München in seinem Beschluss zur bayerischen Ausgangssperre immerhin auch einen eigenen Aspekt eingebracht, der durchaus in einem gewissen Widerspruch zur herrschenden Lehre steht: „In tatsächlicher Hinsicht wird diese wissenschaftlich fundierte Einschätzung des RKI gestützt durch die aktuellen Infektionszahlen in Bayern, wenngleich man hierbei zu berücksichtigen haben wird, dass Geimpfte einer geringeren Testfrequenz unterliegen, da sie kaum Testverpflichtungen trifft und bei ihnen Infektionen häufiger unbemerkt bleiben.“
Interessant im Hinblick auf die weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen insbesondere für Ungeimpfte ist auch eine Aussage des OVG Münster, 13. Senat, wonach „elementare Angebote wie das Aufsuchen von Einzelhandelseinrichtungen, Arztbesuche oder die Nutzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs (…) ohne Vorlage eines negativen Testnachweises“ zu ermöglichen seien. Der VGH München spricht hier von „besonders grundrechtssensiblen sowie der Daseinsvorsorge dienenden Lebensbereichen“.
Falls jemand auf die Idee käme, Ungeimpfte auch vom Einkaufen im Supermarkt auszuschließen und allein auf Lieferungen via Internet zu verweisen, wäre hier wohl eindeutig eine rote Linie überschritten. Der Anregung der greisen Harvard-Legende Noam Chomsky, Impfunwillige zu internieren und ihnen notfalls die Lebensmittelversorgung zu verweigern, würde ein deutsches Gericht wohl eine Absage erteilen, zumindest vorläufig.
(Ich danke einem an einer deutschen Universität lehrenden und forschenden Rechtsgelehrten, der namentlich ungenannt bleiben will, für seine Mitarbeit an diesem Beitrag.)