Erik Lommatzsch, Gastautor / 27.06.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 44 / Seite ausdrucken

Das „Ministerium“-Phänomen und die Masken

Es gibt ein Phänomen, das hatte ich zu einer Zeit, als eine Maskenpflicht noch unvorstellbar war, „Ministerium“ getauft. Und das trifft man heutzutage bei Mitmenschen an, die sich berufen fühlen, dort, wo sie noch gilt, die Maskenpflicht durchzusetzen.

Seinerzeit habe ich das Phänomen „Ministerium“ getauft. Laut bis sehr laut ist das Wort auszusprechen, mit vehementer Betonung auf der dritten Silbe. Die Benennung verdankt sich meiner ersten bewussten Erinnerung an besagtes, dem einen oder anderen sicher vertrauten Phänomen.

In Studententagen einst mit einem Kommilitonen in einem – passenderweise – studentischen Lokal über Sinn und Unsinn der Welt parlierend, saß an einem weiter entfernten Tisch ein Herr fortgeschrittenen Alters, umgeben von einem reichlichen halben Dutzend jüngerer Menschen, in meiner Erinnerung sämtlich Damen, aber dieses Detail würde ich im Abstand von über zwei Jahrzehnten nicht unbedingt beschwören wollen. Naheliegend wäre, dass es ein Professor im Kreise seiner Studentinnen (ich bleibe einfach mal bei der ausschließlich weiblichen Variante) war, auf jeden Fall handelte es sich bei dem Herrn fortgeschrittenen Alters um eine Art Chef-Person, umgeben von eindeutig  Nachgeordneten. Er bestritt den Großteil der Unterhaltung, die sich eher als Monolog mit kleinen Unterbrechungen beschreiben lässt. Das Ganze wäre an sich kaum unserer Aufmerksamkeit wert gewesen, hätte sich der Herr fortgeschrittenen Alters nicht ausdrücklich um diese (und die der anderen Gäste) bemüht. Das an seinen Lippen hängende Tischpublikum genügte ihm erkennbar nicht. In seine ohnehin wenig zurückhaltenden Ausführungen wurden unter jeweils noch einmal heftiger Hebung der Stimme immer wieder die Worte „Minister“ und „Ministerium“ eingestreut, letzteres noch viel lieber. So war sichergestellt, dass die Botschaft auch beim letzten Bierglas angekommen war – der Herr fortgeschrittenen Alters war offenbar so bedeutend, dass er mit einem „Minister“ und in einem „Ministerium“ verkehrte.

Dass an unserem Tisch dann bald öfter sinnfrei, dafür aber umso lauter das –  wie wir inzwischen fanden, wirklich schön zu betonende – Wort „Ministerium“ ins Gespräch eingeflochten wurde, verstand sich von selbst. Besonders gut machte es sich im Chor vor jeder synchronen Flüssigkeits- oder, ehrlicher und genauer, Alkoholaufnahme: „Ministerium!“

Akustisch mitbekommen haben müsste es der Herr fortgeschrittenen Alters, eine Reaktion erfolgte nicht, wahrscheinlich eine entsprechende Immunität. Für mich hieß fortan der lautstarke Monolog, der nicht oder nicht allein an die eigentlichen, in der Regel eher leidenden Zuhörer, sondern an andere in Hörweite befindliche Empfänger gerichtet ist, „Ministerium“.

Der Drang, nachlässige Zeitgenossen anzuklagen

Konfrontationen mit dem Phänomen „Ministerium“ gab und gibt es immer wieder. Allerdings war es meines Erachtens in der Breite nie so ausgeprägt wie in der Spät- und Endzeit der Ära des Mund-Nase-Schutzes. Verantwortungübernehmende, aber eben nicht amtlich befugte Maßnahmenversteher haben noch immer den Drang, nachlässige Zeitgenossen anzuklagen, die ihrer Maskenpflicht nicht (mehr?) nachkommen. Nur wenige Refugien, in denen die stoffliche Bevormundung immer noch vorgeschrieben ist, sind verblieben. So die öffentlichen Verkehrsmittel wie die Bahn. Da der Maßnahmenversteher – inzwischen – die offene Ansprache merklich scheut, sich aber doch nicht mit der eigenen Verhüllung begnügen mag, wendet er sich indirekt, jedoch nicht weniger deutlich mittels „Ministerium“ an die Verantwortungslosen. (Der Unterscheid zum Herrn im Studentenlokal besteht lediglich darin, dass dieser seine eigene Bedeutung vermitteln wollte, die Verantwortungübernehmenden ihr Entsetzen auszudrücken gedenken. Die Methode bleibt die selbe, der Monolog an einen Empfänger, der nicht oder nur bedingt das eigentliche Ziel ist.)

Aus meiner mannigfachen Sammlung sei folgendes Regionalexpress-Erlebnis zum Besten gegeben, ein typisches Beispiel. Es geschah an einem heißen Sonnabend, mitten im Juni des Jahres 2022, was mit gutem Gewissen aktuell zu nennen ist. Bei nahezu jedem Konzert darf man inzwischen in Masse dicht und lange enggedrängt stehen oder sitzen und frei atmen. Ob mit diesem Gedanken oder anderweitig motiviert – eine Reihe von Passagieren des zuckelnden Zuges, der sich zwischen zwei sächsischen Großstädten bewegte, hatte auf die Maske verzichtet, bei den meisten war sie nicht einmal sichtbar in Reichweite platziert.

Was einen nach allen Regeln der Kunst und jeglicher jemals in Kraft gesetzter CoronaSchVO verhüllten Herrn zu einem „Ministerium“ veranlasste. Gegenüber seiner Begleiterin, wahrscheinlich seine Frau, die – ganz hohe Schule – während der Aktion nicht ein Wort sprach und als Resonanzattrappe herhalten musste, wurden die für jeden der Freimundigen und -nasigen klar zu verstehenden Gravamina vorgetragen. Etwa: „Die haben keine Maske. Das war vorhin anders. Das liegt vielleicht daran, dass hier nicht so viele Touristen drin sind.“ – „Ich finde das un-ver-ant-wort-lich.“ – „Der Schaffner greift auch nicht durch.“ – „Das haben wir ja neulich gesehen, dass das auch anders geht… Die zwei, die gar keine Maske mithatten… die mussten an der nächsten Station raus.“ Wenigstens in der Erinnerung etwas Befriedigung, die tumben Sachsen waren so gar nicht nach dem Geschmack des Herrn aus der Nähe einer kleineren norddeutschen Stadt, beginnend mit „R“, bekannt durch einen lange hier residierenden großen Traditionsverlag, ebenfalls beginnend mit „R“. Warum der Herr im Rahmen seines „Ministeriums“ das Zielpublikum auch über seine Herkunft in Kenntnis setzen musste, bleibt ein Rätsel. Zu hoffen ist, dass er dennoch einige für ihn positive Eindrücke von seiner Reise nach Dunkeldeutschland – der Begriff fiel nicht – mitgenommen hat. Zumindest hat er einen, wenn auch eher erfolglosen Versuch gewagt, einige der Hiesigen zu bessern. „Ministerium!“

Foto: Pixabay

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Peter Sticherling / 27.06.2022

Sehr geehrter Herr Lommatzsch. Ich kenne dieses Phänomen, dass sie „Ministerium“ nennen. Ich hatte und habe für Personen die nicht nur zu ihrem meist wortkargen Gegenüber sprechen,  sondern so laut reden, dass möglichst alle, auch weiter entfernt Befindliche mitzuhören gezwungen sind, die Bezeichnung „Sender“. Es handelt sich bei diesen Sendern, die man leider nicht einfach per Knopfdruck abschalten kann, auch meist bereits optisch unangenehme Menschen, ganz abgesehen von dem meist völlig Unwichtigen, das sie von sich geben. Besonders unangenehm empfinde ich solche „Sender“ dann, wenn man ihnen nicht ausweichen kann. Zum Beispiel in der Bahn, im Wartezimmer eines Arztes oder in einem Restaurant, wenn man gerade mit Genuss sein Steak verzehren will. Der Ihnen im RegionalExpress aufgefallene Zeitgenosse, der sich lautstark über Maskenverweigerer ausließ, war auch so ein übler „Sender“.

Detlef Rogge / 27.06.2022

Derartige Menschen sind mir bislang nicht begegnet. Im Gegenteil solche, die mich als unverbesserlichen Maskenträger mit Teils impertinentem Habitus dazu bewegen wollen, die Maske abzulegen. “Sind Sie krank etc.?”

Jörg Themlitz / 27.06.2022

Deja vu, 1986 Magdeburg nähe Hasselbachplatz (Einwurf: 3 Wochen alte Aussage eines Magdeburgers ´Hasselbachplatz? Da kannst Du heut am Abend als Weißer nicht mehr hingehen.`) Wir, Studenten kurz vor dem Dipl.-Ing. zum Frühstück in einem neuen, privat und gut geführtem Restaurant. In einer Ecke an einem Tisch saß Achim Mentzel. Der sah damals schon so aus wie, Achim Mentzel. Umgeben von, aus studentischer Sicht und für DDR Verhältnisse, gut gestylten 5 Bräuten im studentischen Alter. “Thriller” von Michael Jackson und “Born in the USA” von Bruce Springsteen waren gerade in der DDR verkauft und in unserem Besitz. Aber da saß Achim Mentzel mit 5 jungen Bräuten. Eine ähnliche Situation veranlasste kürzlich einen gleichgealterten Studienfreund zum Kommentar: “Ja früher fand ich das auch doof.”, In der DDR wurde ´Mini` sterium betont. Wie für alles was knapp, Minirock, oder kleiner, Minigolf, war. Jemand der von Charakter und Leistung nicht ins Arbeitskollektiv passte, konnte mit großer Sicherheit entfernt werden, wenn man ihn oder sie nach oben, Ministerium, wegdelegierte. semper idem

F.Bothmann / 27.06.2022

Hier im Westen ist die Gesichtsfeudeltragerate nachwievor bei über 97% in den Öffis. Wir hoffen hier auf euch, liebe Ossis. Bitte rettet uns! Hier startet die Revolution und der große Widerstand nicht. Schon gar nicht so etwas wie ein “Säxit”!

finn waidjuk / 27.06.2022

Leute dieses Kalibers leiden unter dem Fluch der späten Geburt; bei den Nazis hätte sich sicher eine Beschäftigung für sie gefunden, in der sie ihren niederträchtigen Charakter voll hätten ausleben können. Vielleicht nicht unbedingt in einem Ministerium, aber doch dort, wo sie im Rahmen ihrer Anstellung maximales Unheil hätten anrichten können. Aber so wie es aussieht, wird sich das schon in naher Zukunft wieder ändern, das Personal um “das beste Deutschland aller Zeiten” wieder betreiben zu können, steht schon bereit.

Dr Stefan Lehnhoff / 27.06.2022

Heute erreichte mich die schockierende Nachricht, Dass Markus Gärtner (PI Politik Spezial), einer der ganz wenigen anständigen Journalisten dieser Zeit plötzlich verstorben ist. Erst vor wenigen Tagen hat er noch ein Interview mit mir gemacht. Ich bin unendlich traurig. Markus Gärtner hinterlässt Frau und 3 Kinder.

Dietmar Herrmann / 27.06.2022

Regierungspräsidium geht auch : wenn wir nicht ganz exakt arbeiten, macht uns der RP die Anlage dicht. Also immer auch dem größten Unsinn Folge leisten und auf Willi Wichtig hören. Oder eben Klaus Kinski zitieren : “Dann macht doch euren Scheiß!”

Hjalmar Kreutzer / 27.06.2022

Danke, danke, danke für die montägliche Erheiterung! :-DDD Bei der Vorstellung der Szene in der Studentenkneipe stehe ich immer noch in einer Pfütze von Lachtränen. Hoffentlich war es kein Prof., bei dem Sie „einen Schein machen“ mussten? Das Phänomen des korrekt maskierten Herrn kenne ich aus meinem nordmärkischen Kaff nicht erst seit der Coronoia-Panikdemimimi. Es wird gern gegenüber Dritten über ein angebliches Fehlverhalten einer Person in Hörweite räsoniert, statt diese direkt anzusprechen. Vielleicht wurde dem maskierten Herrn anlässlich direkter Ansprache auch schon mitgeteilt, was ihn das Maskentragen anderer Leute angeht? „Ministerium“ ist leider ein Inside-Joke, aber man hätte - natürlich unmaskiert! - entgegnen können: „Jawohl, Herr Präfekt! Abstrafen die Leute! Erst vierteilen, dann aufhängen! Dann einen blauen Tadelstrich ins Muttiheft!“

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