Volker Seitz / 31.03.2020 / 14:00 / 8 / Seite ausdrucken

„Das Dilemma“: Entwicklungshilfe in Afrika

Der Völkerrechtler und Sprachwissenschaftler Gerd Hankel arbeitet seit fast zwanzig Jahren in und über Zentralafrika und blickt auf eine lange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen zurück. Er beschreibt in seinem neuen Buch „Das Dilemma – Entwicklungshilfe in Afrika“, Verlag zu Klampen 2020, dass Korruption, Klientelismus und Inkompetenz in den Ländern südlich der Sahara den Fortschritt vereiteln. Die Geber wiederum hätten Projekte finanziert, die ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen dienten, nicht aber der armen Bevölkerung.

Die Argumente könnten allen bekannt sein, die sich für Entwicklungspolitik interessieren. Afrika wird bei uns gerne als Kontinent betrachtet, der ständig Hilfe braucht. Das liegt natürlich inzwischen auch an der hohen Erwartungshaltung hinsichtlich der Hilfsleistungen der Geber. Sehnlichst möchte man Erfolge wahrhaben, die aber einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Es liegt nahe, auf mühsame eigene Anstrengungen zu verzichten, wenn ständig verkündet wird, dass Afrika ein Pflegefall und auf unsere Hilfe angewiesen ist. Deshalb gibt es so viele Akteure, die miteinander um Projekte konkurrieren.

Mit „Entwicklungszusammenarbeit“, wie sie in bemüht euphemistischer Konnotation genannt wird, würde krampfhaft die Illusion von Begegnungen auf Augenhöhe beschrieben. 

„Allein der Gedanke einer Gleichrangigkeit ist vollkommen abwegig. Dem weißen Europäer tritt der schwarze Afrikaner in der Position des Unterlegenen gegenüber. Der Entwicklungshelfer bezieht am Ort seines künftigen Wirkens ein Haus, der für die Sicherheit zuständige Wächter ist schwarz, Fahrer und Köchin ebenfalls. Der eine bewegt sich künftig in der dreifachen Zahl an Zimmern als noch zuhause. Die anderen hausen in Nebenzimmern oder Verschlägen, die als überdimensionierte Hundehütte zu bezeichnen nicht übertrieben ist ... Sicherlich, die lokalen Angestellten verdienen ihr Geld, haben eine Arbeit, um die sie viele ihrer Landsleute beneiden“. (S. 19)

Erfahrungen aus Ruanda und dem Ostkongo 

Hankel vergleicht seine Erfahrungen aus Ruanda und dem benachbarten Osten der Demokratischen Republik Kongo. Im Ostkongo engagiert er sich seit 2004 für ein Hilfsprojekt nahe der Stadt Bukavu. Ein deutscher Verein finanziert dort Schulgebäude, eine Werkstatt für ehemalige Kindersoldaten, Essen für Kinder und landwirtschaftliche Kooperativen für Frauen.

Der Autor kritisiert Ruanda als Diktatur und relativiert die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge. Aber er erkennt an, dass das autoritäre System soziale Reformen in Gang gesetzt und den Lebensstandard der Massen substanziell verbessert hat.

Die eiserne Faust des früheren Rebellenführers und heutigen Staatspräsidenten Kagame hat das Land aus der Rückständigkeit in die Moderne geführt. Den Ruandern geht es heute besser als vor 25 Jahren“ (S. 81.) 

Vom Kongo zeichnet der Autor ein düsteres Bild: „Betrug, Korruption, staatliche Willkür und Ausplünderung des Landes zugunsten einiger Weniger bestimmen das Bild.“ (S. 103) In seinem Hilfsprojekt veruntreuten die lokalen Partner Geld und Material. Korruption in der Justiz verhinderte die juristische Aufarbeitung. Zudem beschreibt Hankel, wie er ein ums andere Mal von Zöllnern, Richtern, Geheimdienstlern oder Polizisten gedrängt wurde, Bestechungsgeld zu bezahlen. In dem Land seien Armut und Perspektivlosigkeit „überall unübersehbar und erfahrbar“.

Betrug im eigenen Projekt

Nachdem der Betrug im eigenen Projekt aufgeflogen war, hat Hankel mit einem neuen Team vor Ort weitergemacht. Einen Schlussstrich mochte er nicht ziehen. Trotz allem, so argumentiert er, hätten einige Kinder und Frauen bessere Lebensbedingungen erhalten. Er will generell die Entwicklungshilfe nicht aufkündigen, denn sonst würde großen Teilen der subsaharischen Bevölkerung eine Lebensperspektive genommen. Hankel übersieht aber, dass fast alle mit staatlicher ausländischer oder privater Hilfe errichteten Projekte nicht mehr weitergeführt werden, wenn ausländische Subventionen versiegen.

Er fordert, dass die Geber die Einhaltung der Menschenrechte zum Entscheidungskriterium für Hilfe auf Staatsebene machen sollten. Bei einem Regime, das notorisch dagegen verstoße, verbiete sich eine Zusammenarbeit mit der Regierung, es sei denn, es gehe um Nothilfe.

Leider möchte man bei uns die Beziehungen zu afrikanischen Staaten nicht mit allzu viel Moral und universellen Menschenrechten belasten. Das wird aber nach meinen Erfahrungen in Afrika nur als Schwäche interpretiert. Merkwürdigerweise wird dies vom Radar der öffentlichen Meinung so nicht wahrgenommen.

Das Buch richtet sich nicht an ein Fachpublikum. Der Leser bekommt die anschaulichen Fakten erläutert, wo ansonsten die Politik, die Hilfsorganisationen oder Medien die Berichte zumeist im eigenen Interesse interpretieren.

„Das Dilemma – Entwicklungshilfe in Afrika“ von Gerd Hankel, 2020, zu Klampen! Verlag: Springe, hier bestellbar.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Drei Nachauflagen folgten 2019 und 2020. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Leserpost

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Andreas Hofer / 01.04.2020

@Markus Hahn. Ja. Diese Frage stelle ich mir auch immer. Die Frage ist ja nicht: Warum scheitern Menschen, Staaten, Systeme, sondern: Warum gelingt überhaupt irgend etwas? Für‘s Scheitern finden Sie ganze Bibliotheken an Erklärungen, aber wo steht das Gelingen drin? Was sorgte dafür, dass ein Galilei irgendwelche Gewichte vom schiefen Turm von Pisa runterwarf - und damit schon vor knapp 450 Jahren postulierte, dass eine Feder genauso schnell wie ein Stück Blei nach unten fällt. In mir steckt natürlich kein Galilei, aber ich meine, zumindest mich in Frage zu stellen zu können, neu auszumessen, neu zu tarieren. (mit der katholischen Kirche werde ich es nicht aufnehmen) Macht das „uns“ aus? Ich vermute, neben Bildung sind frisches Wasser, eine Kanalisation und eine zumindest ausreichend gute Ernährung die Gegebenheiten, die gewährleistet sein müssen, um überhaupt irgendwie aus der Armut zu entkommen. Reicht das aber aus, ein selbstständiges Leben leben zu können? Was passiert mit der Kanalisation, wenn sich die weißen „Götter“ zurückziehen?

toni Keller / 31.03.2020

Ich kannte eine alte Frau die jahrelang als Entwicklungshelferin in Bangladesch unterwegs war, Diese Frau, nett, gebildet, musikalisch. lieb, bekam immer einen Wutausbruch, wenn jemand kirchliche oder staatliche Entwicklungshilfe lobend erwähnte. Sie sagte “Da kommen die und sagen “ach du arme Wurscht, da hast du was du brauchst” und kommen sich ganz toll vor, merken aber nicht, dass sie erwachsene Leute wie kleine Kinder behandeln!” Ich frage mich ob diese nicht zu leugnende Tatsache nicht einfach mit der weitverbreiteten Kinderlosigkeit, bzw dem sofern man welche hat, nicht mit ihnen leben, sondern sie so früh wie möglich fremdbetreuen und fremderziehenlassen, zusammenhängt. Mir scheint dass der kinderlose, bzw die eigenen Kinder anderen Leuten gebende Mensch irgendwo mit seinen Bemutterungs- bzw Beschützerinstinkten hin muss und dann sucht er/sie sich halt die aus, die sich nicht wehren können, bzw die Situation nicht begreifen und sich deshalb nicht wehren wollen.

Heinz Kowalski / 31.03.2020

Wie sehr wir uns unterscheiden sah man in einer TV Doku. Ein Wächter(mit Bogen!)wurde befragt:Der Krieg war gut,da gab es immer Arbeit! Reporter:Hattest du keine ANgst vor den Bomben? Afrikaner:Nein,wir gruben uns Löcher,da passiert nichts… Reporter:Und wenn du nicht töten willst? Afrikaner verwundert:Warum sollte ich nicht töten wollen?Im Krieg ist der Tod gefragt,nicht das Leben…

Volker Kleinophorst / 31.03.2020

Dass man davon ausgeht, die Afrikaner können es nicht, ist doch ziemlich rassistisch? Is ja gut gemeint? Herrenmensch-Allüren? Afrika hat die Kolonialisierung abgeschüttelt und insbesondere Schwarzafrika wollte für selbst verantwortlich sein. Die Bodenschätze versprachen blühende Landschaften. Nicht einmal 50 Jahre her, dass Politiker und Künstler (u.a. Bob Marley, der allerdings ein Mischling war.) mit afroafrikanischem Migrationshintergrund weltweit alle Afrikaner aufriefen, heim in den Mutterkontinent zu kehren und den anderen “Farben” mal zeigen, wer es wirklich drauf hat. Da sollte man sich einfach gar nicht einmischen. Wissenschaftlich betrachtet, verfälscht man so das Ergebnis. Mit den Rückkehrern hat man allerdings nur ideologisch Verblendete anwerben können. Die anderen blieben da, wo sie waren. Denn dort lebten sie immer noch besser als am Busen von Mama Afrika. Das afrikanische Land mit den besten Lebensverhältnissen für Schwarze war ausgerecht der Apartheitsstaat Südafrika. Jetzt ist Südafrika frei, die Schwarzafrikaner (übrigens auch eingewandert) haben das Sagen. Gewalt am Limit, Lebensverhältnisse außer für ein paar Kleptokraten schlechter, deutlich schlechter. Woran in SA übrigens immer noch “Die Weißen” schuld tragen. Was nicht rassistisch ist? Alles weitere auch zum Thema Spenden: Harald Schmidt: “Der hat Neger gesagt.”

J.P. Neumann / 31.03.2020

Vermutlich ist Entwicklungshilfe auch nur “White Man’s Burden” im Gewande des modernen Gutmenschentums.  Das mit der Exportförderung zugunsten des Westens glaube ich allerdings eher nicht, meinen Erfahrungen aus dem Maghreb zufolge dient sie eher der Förderung Chinas, (sowie dem Umsatz der Entwicklungshilfeunternehmen).  Ob man Afrika überhaupt helfen kann, weiß ich auch nicht, vermutlich nicht, denn das Interesse an Problemlösungen vor Ort ist gleich Null, die einzige Perspektive die es gibt lautet: Auf ins Paradies Europa und zwar so schnell wie möglich.

Wiebke Ruschewski / 31.03.2020

Ich habe das vor ein paar Tagen im Kommentar zu einem Artikel, in dem es ebenfalls um Afrika und Entwicklungshilfen ging, bereits geschrieben. Man sollte die Leute mehr zur Selbsthilfe animieren. Almosen machen nur nach akuten Katastrophen oder anderen Härtefällen Sinn. Man hat die Leute in den letzten Jahren und Jahrzehnten regelrecht zu Bettlern mit entsprechender Erwartungshaltung erzogen. Man darf nicht nur fördern, man muss gleichzeitig fordern. Viele Projekte sollte man mehr in die Hände geeigneter Einheimischer legen. Langfristiges Ziel muss sein, dass die Entwicklunghilfe m.o.w. überflüssig wird. (Dann kann man sich damit nur leider nicht mehr profilieren.) Grausamen Diktatoren muss man auch mal Zugeständnisse abringen, sonst war`s das mit der finanziellen Unterstützung. Anders geht es einfach nicht. Die Mitleids- und Schuld-Tour darf nicht mehr ziehen. Außerdem sollte man Hilfsorganisationen etwas genauer auf die Finger schauen. An wen geht das Geld edler Spender? Welche Erfolge kann man vorweisen? Man bekommt manchmal doch eher den Eindruck, dass es Afrika ohne die zahlreichen selbstlosen Helfer vielleicht sogar besser ginge.

Wolfgang Kaufmann / 31.03.2020

Afrika ist dauerhaft auf unsere Hilfe angewiesen, sonst hätten die Gutmenschen ja kein Betätigungsfeld mehr. Wäre es da aus klimatischen Gründen nicht eine gute Idee, Afrika nach Europa zu holen? Keine Kirchengemeinderätin müsste mehr in den Busch, wenn sie ein paar Selfies mit ihren Mündeln machen will. („Meiner ist aber ein ganz lieber…“) Katha bliebe mehr Kerosin übrig fürs Eisessen in Kalifornien, die Kobolde würden sich langweilen und überhaupt würde kein knappes CO₂ mehr unnötig verbraucht! Ende Sarkasmus.

Markus Hahn / 31.03.2020

Wenn nun die Vorstellung, es gelänge durch geeignete Förderung von außen eine gesellschaftliche Weiterentwicklung, eine aus besten Motiven geborene Schimäre bliebe? Wäre die Erkenntnis, dass eine autonome Entwicklung im gewünschten Sinne nicht möglich sei,  rassistisch? Kann eine Lebenslüge gerechtfertigt sein, um anderen Kränkung zu ersparen? Wie hoch darf der Preis für diese Lebenslüge sein - materiell wie nicht materiell?

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