Vor einigen Tagen starb der Satiriker, Schriftsteller und Musiker Wiglaf Droste. Im kommenden Oktober hätten wir 20 Jahre Buddys feiern können, aber vor fünf Jahren verkrachten wir uns für immer und alle Zeit.
Es war nicht schwer, sich mit Wiglaf zu verkrachen. Wir hatten das bereits einige Male durchexerziert; er ertrug keinen Widerspruch, mir liegt das Abnicken nicht. Stets war es am nächsten Morgen wieder gut. Einmal hatte er für einige Tage mitsamt einer Freundin, einer sanften, freundlichen Frau, hier Quartier genommen, da hatte ich frei, was das lautstarke Streiten anging.
Im Mai 2014 aber lief das Fuselfass über. Ich weiß nicht einmal mehr, was der inhaltliche Auslöser dafür war, dass wir uns mitten in einem gut besuchten Restaurant um ein Haar geprügelt hätten. Da ich oft und gerne dieses Lokal besuchte und vor hatte, das auch weiterhin zu dürfen, bremste ich mich im letzten Moment und ging nach draußen. Später fuhren wir schweigend nach Hause, am Mittag danach brachte ich ihn zum Bahnhof, er stieg aus, ohne noch etwas zu sagen, und dabei blieb es. Noch am selben Tag schrieb ich ihm eine Mail, die zur Versöhnung einlud, es kam auf sie ebenso wenig eine Antwort wie auf eine weitere, die ich ihm Monate später schickte, in der Erwartung, er habe sich inzwischen beruhigt. Er antwortete nicht. Ich fragte einen gemeinsamen Freund, wie er die Lage einschätzte. Er schätzte sie so ein wie ich. Und Wiglaf hat nie mehr geantwortet.
Ein paar Tage vor der Beinaheschlägerei hatte ich ihn in Köln abgeholt, er las dort in einer Buchhandlung und war bestens drauf. Es war die erste Lesung nach einem langen Aufenthalt in der Berliner Charité, wo er einen Alkoholentzug absolviert hatte, nicht den ersten. Zu Hause hatte ich alles, was Alkohol enthielt, verschwinden lassen, aber er entdeckte mit dem untrüglichen Spürsinn des Süffels unter einem Regal eine kleine Flasche Trappistenbier. Es blieb nicht der einzige Übelschlück in den kommenden Tagen, deren Höhepunkt das Drama bei Muscheln und Fritten war. Bis dahin hatte er sich konsequent Tag und Nacht Richtung Nichts geknallt.
Wie das Line-Up eines „Konzerts gegen Rechts“
Spätestens ein Jahr später hätten wir uns mit Sicherheit ohnehin für immer und ewig verkracht. Obwohl Wiglaf in vielem ganz und gar weise tickte – er verachtete die Grünen, insbesondere „die spreewaldgurkengrüne, dauerjaulende“ Claudia Roth, er schied im besten Unfrieden von der taz, konnte für die PDS ebenfalls nur Spott und Hohn aufbringen („Petra Pau von der PDS muss man nur neben den apostrophgesättigten Slogan ihrer Partei stellen: „Heute popp’ ich, morgen kiff’ ich, übermorgen wähl’ ich: PDS.“) und die Riege seiner Hassobjekte im Musikantengestadel liest sich wie das Line-Up eines „Konzerts gegen Rechts“: Campino, Niedecken, Grönemeyer. Der Gruppe Pur bescheinigte er: „Ihre Musik muss man sich vorstellen wie eine fremde, warme, feuchte Hand, die sich ungefragt auf deinen Oberschenkel legt.“ Großartig in seiner Gnadenlosigkeit gegenüber dem heuchlerischen Gutgemenschel ist sein schon recht altes, aber keineswegs abgehangenes Stück „Eiapopeia Mit Negern“, denn nie war es aktueller denn heute.
Droste verstand sich als Linker, und das ließ ihn leider allzu oft seinen Furor undifferenziert gegen alles richten, was er, zu recht oder unrecht, als „Nazi“ einsortierte. Als im Spätsommer 2015 die Migrationswelle ausbrach, waren wir ja schon mehr als ein Jahr nicht mehr in Kontakt, aber ich bin recht sicher, dass er auf der Seite der Willkommen-Fraktion stand, einfach nur, weil so viele auf der Kritikerseite standen, die er durch und durch hasste. Und spätestens seit ich für die Achse des Guten schreibe, wäre ich für ihn gestorben gewesen – außer, wir hätten noch Gelegenheit gehabt, unsere ausgefallene Prügelei nachzuholen; da wären meine Überlebens-Chancen nicht schlecht gewesen. Gut, dass es dazu nicht kam.
Wir haben viele schöne, kluge, belebende, erholsame Stunden miteinander verbracht. Ich, völlig abseits der Großstadt und ihrer nervigen intellektuellen Blasen lebend, bot ihm im ländlichen Refugium etwas, das er liebte und genoss, nämlich das Weitwegsein von dem, was er so beschrieb: „In Berlin schreiten die stolzen Besitzer von Wir-machen-alles-aber-sowas-von-richtig-Visagen durch ihre Öko-Nischen, selbstgerechter als jeder Papst, gute grüne Bürger keinerlei Geschlechts.“ Das hat er in einem wunderbaren Stück über ein gemeinsam verbrachtes Wochenende in Belgien geschrieben, das jetzt ausgerechnet im Süddeutschen Beobachter in einem Nachruf auf ihn, exemplarisch für seine Art des Schreibens, zitiert wird.
Mehrere Stunden lange Monologe
Wenn spät am Abend das Telefon klingelte, wusste ich, dass er es war. Niemand sonst hätte gewagt, mich um diese Zeit anzurufen und dann mehrere Stunden lang Monologe zu halten, akustisch und inhaltlich ungenügend, zumindest mangelhaft. Wenn ich aufs Klo musste, legte ich den Hörer einfach auf den Tisch, und wenn ich ihn dann wieder zur Hand nahm, hatte ich nichts verpasst, und ihm fiel es ohnehin nicht auf. Einmal ließ er mich telefonisch am Lärm einer gegenüber randalierenden Disco teilnehmen. Lärm war ihm ein Graus unter vielen, „Du sollst nicht lärmen“ gehörte für ihn unbedingt zu den zehn Geboten, und in mehr als einer Geschichte kommen lärmende Plagegeister vor: Gerüstbauer, Straßenpflasterer, Müllkutscher, BAP, Pur...
Ich hätte Wiglaf Droste damals abhaken können, so wie ich viele Andere entsorgte, denen mein seit 2015 vollzogener politischer Wandel nicht passte. Stattdessen setzte ich mir bei Google einen News-Merker, der mich informierte, wenn etwas von ihm in den Medien zu finden war. Es kam nur noch selten etwas; hier ein betrunkener Auftritt, dort eine Preisverleihung. Sein Tourneekalender leerte sich, es gab nur noch vereinzelte Auftritte, einmal ganz in meiner Nähe, wovon ich erst beim Lesen der Kritiken erfuhr; da wäre doch Gelegenheit gewesen, sich wieder zu melden, dachte ich naiv, aber mit „Nachgeben“ hatte er es nun einmal nicht.
Die Junge Welt, für die er Kolumnen schrieb, packte ich nicht einmal online an. Sein letztes Buch „Der Ohrfeige nach“ kaufte ich nicht, aus Gründen. Alle drei Monate las ich seine Kolumne in der Schweizer Cigar. Manchmal sehnte ich mich danach, noch einmal mit ihm abends am Küchentisch zu sitzen, gerne auch bei zunehmendem Lärm aus eigener Herstellung. Zu gerne hätte ich ihm seinen Ausspruch über Henryk Broder, dieser sei „ein Biermann ohne Klampfe“ um die Ohren gehauen, notfalls auch per Nudelholz, zumindest aber per Ohrfeige.
Dabei findet man Wiglaf Droste irgendwo in früher Vorzeit sogar als Achse-Autor. Da hätte ich ihn mir auch jetzt noch vorstellen können. Hell genug war er in den letzten Jahren, so bescheinigte er in einem Gedicht den Antifanten Nähe zum Faschismus. ([…] Und ihr Tierschutz-Übereifer / ähnelt Adolfs Vegi-Geifer.“) Auch wenn es hier nur um die Dogmatik der militanten Linken in Sachen Veganertum geht: Die Angesprochenen hätten ihm in der direkten Konfrontation schon deutlich gemacht, wie sie mit „Faschos“ umgehen; das wäre der Fleischesser Droste nämlich für sie gewesen.
Am Mittwoch dieser Woche blätterte ich nachmittags durch die neue Ausgabe der Cigar und las seine Kolumne, sie war nichtssagend. Immerhin, sie erinnerte mich daran, dass es mal wieder Zeit war, nach ihm zu googlen. Ich wusste, es ging ihm nicht gut, auf neueren Fotos, die ich zwischendurch immer mal fand, sah er aus wie ein Plastinat Gunther von Hagens. Ich fand aber wie meist nichts neues. Am Abend eben dieses Mittwochs ist er gestorben, er wurde 57 Jahre. Er hinterlässt Freunde wie Feinde, beides wohl zu recht. Ich weiß weiterhin nicht, um was es damals bei unserem finalen Streit gegangen ist, und er ja nun auch nicht mehr.
Wiglaf Droste - Eiapopeia Mit Negern
Wiglaf Droste: Späte Rache oder The Köln Concert
Wiglaf Droste – Esoterik
Wiglaf Droste und das Spardosen-Terzett – Du kleine Löterin
Wiglaf Droste – Das Trommelfell
Wiglaf Droste – Flaschendrehen im Vatikan
Wiglaf Droste – Musse feife inne Wind