Hin und wieder sollte man sich von altem Krempel trennen, heißt es. Und es stimmt ja auch. Was hat schon Ewigkeitswert? Das Problem ist nur: Ich kann das nicht.
Aufräumen soll ja sehr befreiend wirken.
Oft muss man sich dazu überwinden – nach zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahren. Weil man sich den alten Krempel eigentlich nicht mehr anschauen möchte, den man, sofern man über solcherlei Orte verfügt, gut verpackt auf den Dachboden oder in den Keller gestellt hat. Warum auch immer man glaubte, das alles aufheben zu müssen.
Man muss schon Masochist sein, um verträumt lächelnd die vergilbten Liebesbriefe von anno dunnemals zu lesen – also aus einer Zeit, als es noch Briefe gab und keine E-Mail, SMS oder WhatsApp. Als der Gang zum Briefkasten noch erregend war, weil man etwas Romantischeres erwartete als Bußgeldbescheide oder Drohbriefe von der GEZ. Wobei es heute Verrückte geben soll, die auch die digitale Liebestollheit ausdrucken und abheften. Damit man was in der Hand hat, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man nichts Besseres mehr zu tun hat als – aufzuräumen.
Genau deshalb sollte man frühzeitig entrümpeln, damit man nicht unversehens irgendwann vor einem Stapel gelbstichig angelaufener Fotos hockt, auf denen man unter Garantie die falsche Frisur trägt und neben einem beschämenswerten Missgriff sitzt – und sich dennoch zutiefst vom Anblick rühren lässt. Wie jung man damals war! Und wie viele Illusionen man hatte – auch, was den Gang der Welt betrifft.
Man muss sich auch mal trennen können!
Und dann all die Kleidungsstücke, von denen man geglaubt hatte, dass sie irgendwann wieder passen! Doch Vorsicht: Es ist nicht immer ein gutes Zeichen, wenn die Hose tatsächlich nach Jahrzehnten wieder sitzt …
Alles aufheben ist der falsche Weg. Man darf es gar nicht erst so weit kommen lassen. Aufräumen bedarf einer früh eingeübten Radikalität. Man muss sich auch mal trennen können! Was hat schon Ewigkeitswert? Nicht allem Schriftlichen gebührt ein Platz im Deutschen Literaturarchiv. Und nicht jedes Buch, das schon jahrelang im Bücherschrank verstaubt, kann darauf hoffen, irgendwann einmal vom Staube befreit und wiedergelesen zu werden. Weg damit! Und da in den wenigen verbliebenen Antiquariaten seit Jahren kein Geld mehr verdient wird: Ab in die Papiertonne.
Das gleiche gilt für Schallplatten und CDs. Streamen hinterlässt keine Spuren. Im Sinne der Nachhaltigkeit: So meidet man Ressourcenverbrauch und Sondermüll. Hinweg! Wir werden nichts besitzen und glücklich sein, soll ein bedeutender Denker unserer Tage einmal gesagt haben.
Bücher in die Papiertonne? Niemals!
Womit der Moment der Wahrheit gekommen ist: Ich kann das nicht. Ich hätte längst den Koffer mit den Protokollen aus der marxistischen Arbeitsgruppe entsorgen müssen. Dieser Quark interessiert wirklich niemanden mehr. Doch noch nicht einmal das schaffe ich, ganz zu schweigen von den vielen Werken in der beachtlichen Bibliothek. Bücher in die Papiertonne? Niemals!
Ebenso wenig bin ich bereit, mich von der Sprache zu trennen, mit der ich aufgewachsen bin. Ich mag auch keine Wörter entrümpeln, weil sich irgendwer von dem einen oder anderen beleidigt fühlen könnte. Und obzwar ich weder bibelfest noch Kirchgänger bin, missbehagt mir die umstandslose Entsorgung all dessen, was uns mit der Vergangenheit verbindet, sei es ein Kreuz, eine Inschrift oder ein Bauwerk. Bilderstürmer haben es stets vor allem auf die Menschen abgesehen, denen Zeichen, Symbole, Bildnisse und Gebäude etwas bedeuten. Losgerissen von ihrer Vergangenheit sind Menschen leichter verfügbar (und verführbar). So einfach ist das.
Und doch spüre ich ein unwiderstehliches Bedürfnis, nicht nur auf-, sondern auch abzuräumen. Den ganzen „progressiven“ Mist etwa der modernen Bilderstürmer, dieses ganze Gesülze von der Transformation in eine schöne neue Welt. Begrabt mich nicht an der Biegung des Flusses, sondern unter Bergen von Büchern, in denen böse Worte stehen. Legt meinetwegen auch noch ein Kruzifix obendrauf oder lest was aus der Bibel. Lasst die Kirchenglocken ertönen, nicht den Muezzin.
Und freut euch, wenn die Sonne scheint. Selbst das Klima hat kein Interesse an der Großen Transformation.
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