Cora Stephan / 10.11.2022 / 14:00 / Foto: Achgut.com / 19 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz: Weg mit dem Krempel!

Hin und wieder sollte man sich von altem Krempel trennen, heißt es. Und es stimmt ja auch. Was hat schon Ewigkeitswert? Das Problem ist nur: Ich kann das nicht.

Aufräumen soll ja sehr befreiend wirken.

Oft muss man sich dazu überwinden – nach zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahren. Weil man sich den alten Krempel eigentlich nicht mehr anschauen möchte, den man, sofern man über solcherlei Orte verfügt, gut verpackt auf den Dachboden oder in den Keller gestellt hat. Warum auch immer man glaubte, das alles aufheben zu müssen.

Man muss schon Masochist sein, um verträumt lächelnd die vergilbten Liebesbriefe von anno dunnemals zu lesen – also aus einer Zeit, als es noch Briefe gab und keine E-Mail, SMS oder WhatsApp. Als der Gang zum Briefkasten noch erregend war, weil man etwas Romantischeres erwartete als Bußgeldbescheide oder Drohbriefe von der GEZ. Wobei es heute Verrückte geben soll, die auch die digitale Liebestollheit ausdrucken und abheften. Damit man was in der Hand hat, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man nichts Besseres mehr zu tun hat als – aufzuräumen. 

Genau deshalb sollte man frühzeitig entrümpeln, damit man nicht unversehens irgendwann vor einem Stapel gelbstichig angelaufener Fotos hockt, auf denen man unter Garantie die falsche Frisur trägt und neben einem beschämenswerten Missgriff sitzt – und sich dennoch zutiefst vom Anblick rühren lässt. Wie jung man damals war! Und wie viele Illusionen man hatte – auch, was den Gang der Welt betrifft. 

Man muss sich auch mal trennen können!

Und dann all die Kleidungsstücke, von denen man geglaubt hatte, dass sie irgendwann wieder passen! Doch Vorsicht: Es ist nicht immer ein gutes Zeichen, wenn die Hose tatsächlich nach Jahrzehnten wieder sitzt …

Alles aufheben ist der falsche Weg. Man darf es gar nicht erst so weit kommen lassen. Aufräumen bedarf einer früh eingeübten Radikalität. Man muss sich auch mal trennen können! Was hat schon Ewigkeitswert? Nicht allem Schriftlichen gebührt ein Platz im Deutschen Literaturarchiv. Und nicht jedes Buch, das schon jahrelang im Bücherschrank verstaubt, kann darauf hoffen, irgendwann einmal vom Staube befreit und wiedergelesen zu werden. Weg damit! Und da in den wenigen verbliebenen Antiquariaten seit Jahren kein Geld mehr verdient wird: Ab in die Papiertonne.

Das gleiche gilt für Schallplatten und CDs. Streamen hinterlässt keine Spuren. Im Sinne der Nachhaltigkeit: So meidet man Ressourcenverbrauch und Sondermüll. Hinweg! Wir werden nichts besitzen und glücklich sein, soll ein bedeutender Denker unserer Tage einmal gesagt haben.

Bücher in die Papiertonne? Niemals!

Womit der Moment der Wahrheit gekommen ist: Ich kann das nicht. Ich hätte längst den Koffer mit den Protokollen aus der marxistischen Arbeitsgruppe entsorgen müssen. Dieser Quark interessiert wirklich niemanden mehr. Doch noch nicht einmal das schaffe ich, ganz zu schweigen von den vielen Werken in der beachtlichen Bibliothek. Bücher in die Papiertonne? Niemals!

Ebenso wenig bin ich bereit, mich von der Sprache zu trennen, mit der ich aufgewachsen bin. Ich mag auch keine Wörter entrümpeln, weil sich irgendwer von dem einen oder anderen beleidigt fühlen könnte. Und obzwar ich weder bibelfest noch Kirchgänger bin, missbehagt mir die umstandslose Entsorgung all dessen, was uns mit der Vergangenheit verbindet, sei es ein Kreuz, eine Inschrift oder ein Bauwerk. Bilderstürmer haben es stets vor allem auf die Menschen abgesehen, denen Zeichen, Symbole, Bildnisse und Gebäude etwas bedeuten. Losgerissen von ihrer Vergangenheit sind Menschen leichter verfügbar (und verführbar). So einfach ist das.

Und doch spüre ich ein unwiderstehliches Bedürfnis, nicht nur auf-, sondern auch abzuräumen. Den ganzen „progressiven“ Mist etwa der modernen Bilderstürmer, dieses ganze Gesülze von der Transformation in eine schöne neue Welt. Begrabt mich nicht an der Biegung des Flusses, sondern unter Bergen von Büchern, in denen böse Worte stehen. Legt meinetwegen auch noch ein Kruzifix obendrauf oder lest was aus der Bibel. Lasst die Kirchenglocken ertönen, nicht den Muezzin. 

Und freut euch, wenn die Sonne scheint. Selbst das Klima hat kein Interesse an der Großen Transformation.

 

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Arne Ausländer / 10.11.2022

... und wenn wirklich niemand wesentliche Teile des Bestandes nehmen will, blieben noch die Sozialkaufhäuser u.ä. Da bekommt freilich nichts dafür, kann aber einigermaßen sicher sein, daß nichts verloren geht, worum es schade wäre.

Arne Ausländer / 10.11.2022

@RMPetersen: Wenn Sie Ihren Erben den Stress abnehmen wollen, suchen Sie nach einem Antiquar, mit dem Sie eine geeignete Vereinbarung treffen können. Das sollte doch - so ohne Zeitdruck - möglich sein.

RMPetersen / 10.11.2022

Ernsthafte Frage: Wohin mit einer beachtlichen Bibliothek? Einschliesslich Zettels Traum und und Klar, einige Preziosen würde der Antiquar in Kommission nehmen - wenn man die Bücher hinbringt. (Wir leben auf dem Land.) . Kein Interesse. Meckel mit Kleinauflagen. Guntram Vesper. Und Lars Gustaffson ist vergessen. Und die vielen anderen? Na, sollen sich die Erben später damit herumschlagen.

Sam Lowry / 10.11.2022

2006 war es bei mir so überschaubar, dass für einen Umzug von Landau nach Koblenz ein Kleinwagen reichte. Mittlerweile vergesse ich öfter, wo ich Dinge hingetan habe, z.B. einen 12V-Tauchsieder, für den ich extra einen Zigarettenanzünder in meinen Roller einbaute. Gestern fand ich überraschend eine Sprühdose schwarz in einem Schrank, und die hätte ich schon desöfteren gebraucht. Gleich mal offen sichtbar auf den eh schon vollen Schreibtisch gestellt. Wenn ich “aufräume”, dann wird einfach alles noch irgendwo in Schränke gepresst, wo es dann vergessen wird. Man kann sich soviel verschiedenes Zeug halt irgendwann nicht mehr merken. Als neulich die Mikrowelle den Geist aufgab, wusste ich allerdings, dass auf dem Speicher noch mindestens 2 stehen. Mein Vermieter ist nämlich auch so ein Messi, vielleicht hat er mich angesteckt? Als er im Krankenhaus lag, habe ich für über 10.000 Euro Zeugs verkauft zugunsten eines Treppenliftes. Trotzdem ist noch immer viel zuviel übrig und verstaubt in sämtlichen Zimmern… das Zeug nehmen wir dann mit in die Pyramide… so wie einst Tutanchamun. Und irgendwann…

Rid Banks / 10.11.2022

Schoene Home-Story, nicht wahr Herr Siemons!!!

Gerhard Schmidt / 10.11.2022

Wegwerfen geht auch bei Büchern und CDs: Ohne Brecht und Gulda fühle ich mich nicht schlechter!

Marc Blenk / 10.11.2022

Liebe Frau Stephan, nicht häufig verspüre ich den Drang ausnahmslos zuzustimmen. “Bilderstürmer haben es stets vor allem auf die Menschen abgesehen, denen Zeichen, Symbole, Bildnisse und Gebäude etwas bedeuten. Losgerissen von ihrer Vergangenheit sind Menschen leichter verfügbar (und verführbar). So einfach ist das.” Die Erkenntnis war mir bekannt, aber der Duktus macht es eben. Lebensfrisch, nicht feig. Unmissverständlich, wahr. Dem Deppentum ordentlich Ohrwascheln verpasst. Links und rechts, dass es klatscht. So einfach ist das. Ein wunderbarer Einstieg in einen gemütlichen Abend. Dankeschön.

Thomas Szabó / 10.11.2022

Ich habe einmal vor Jahren 1/3 meiner Gemälde vernichtet, 1/3 zerschnitten - nur die guten Details behalten und 1/3 als gut befunden und behalten. Es tat mir gut die Altlasten loszuwerden, ich ward erleichtert und neu beschwingt, die Flügel wieder verliehen! Es ist bald wieder so weit. Ich werde einen Großteil den Flammen überantworten und es auf Video aufnehmen. Die guten Sachen behalte ich; so gebiert die Asche den Phönix; Nietzsche sein Übermensch, sich selber überwindend, auswachsend, sich neu erfindend, sich neu definierend, sich als Mensch & Künstler neu erschaffend, sich selber schöpfend wie Gott. So male ich meine neuen Bilder aus der Asche der Alten. Nicht dem Publikum, nicht der Kundschaft, nur mir selber geschuldet. Wie die Großen Adolph v. Menzel, Wilhelm Leibl, sich selber zensierend - vernichtend - verbrennend - sich neu schöpfend - doch wie Don Quijote, der eigenen Dummheit und lauterer Gesinnung ein Denkmal für die Ewigkeit bauend - mangels Talent, dem Geist, aber nicht der Begabung der Großen folgen könnend, sich dem Werk opfernd wie Thomas Manns Aschenbach, Stück für Stück, Zeile für Zeile, ins Leinwand ritzend wie Leibl, jede Linie ein Schmerz - ein Leiden - mein Geist, eines Genies würdig, besser begabt als Fanny Price aus der “Der Menschen Hörigkeit” von W. Somerset Maugham, kaum begabter als Pierre Grassou von Balzac… naja… morgen schwinge ich den Pinsel und male… mein Golgotha? ...meine Prädestination? Wie der Heilige Sebastian den Pfeilen trotzend stolz, Schritt für Schritt, Strich für Strich, Stich für Stich voran. Und jetzt kratze ich mir die Eier, wasche den Pinsel aus und voran, noch ist die Nacht jung, auf zum Werk!

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