Bald geht's wieder los, dann wird die unvermeidliche Kombination aus Zwiebelkuchen und einem hefigen „neuen Weißwein“ angeboten, bei dem es sich eigentlich um eine mit Alkohol aufgepeppte Traubenlimonade handelt. Weil die Süße den Alkohol überdeckt, eignet sich das Getränk ideal zum Komasaufen bei Junggesellenabschieden.
In der Pfalz sind schon am 14. August die ersten Weintrauben dieses Jahres gelesen worden. Weinlese mitten im Sommer? In Deutschland? Daran kann nur der Klimawandel, pardon die Klimakrise, pardon die Erderhitzung schuld sein. Hat damit aber nichts zu tun, denn die besagten Trauben gehörten zu den Sorten Solaris und Ortega, die auch in mittelprächtigen Jahren schon Anfang September Öchslewerte von bis zu 100 Grad erreichen und meist zur Herstellung von Federweißem dienen, halb vergorenem Traubensaft, der als spätsommerlich-herbstlicher Durstlöscher bekannt ist und traditionell zu Zwiebelkuchen getrunken wird.
Prinzipiell kann man einen Federweißen aus jeder beliebigen Weiß- und Rotweinsorte keltern. Doch das Zauberwort lautet: Marktanteile! Je früher ein Produzent mit dem ersten Federweißen auf dem Markt ist, umso mehr Aufmerksamkeit und Absatzchancen werden im zuteil. Das ist ähnlich wie beim Frühspargel, dem wärmende Folien oder manchmal sogar eine Fußbodenheizung einen zusätzlichen Wachstumsschub geben: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Da könne sich die Ökos gerne echauffieren. So geht Marktwirtschaft!
Aus diesem Grund werden extrem früh reifende und zudem sehr ertragreiche Neuzüchtungen wie Ortega oder Solaris angebaut, die auf dem Markt für Qualitätsweine kaum eine Chance haben, weil sie niemand kennt und oft über ein aufdringlich-parfümiertes Aroma verfügen. Außerdem verlieren sie mit zunehmender Reife ihrer Säure, was für einen ausbalancierten, länger haltbaren Wein tödlich ist. Federweißer ist geschmacklich so eindimensional, dass die Traubensorte kaum ins Gewicht fällt. Trotzdem würde ich selbst lieber auf einen knackigen Riesling-Federweißen warten.
Traubenlimonade, aufgepeppt mit Alkohol
Eigentlich handelt es sich bei Federweißem um Traubenlimonade, aufgepeppt mit Alkohol. Im Verlauf seines kurzen Lebens kann der Alkoholgehalt von vier Prozent bei ganz jungem Federweißen auf mehr als zehn Prozent ansteigen. Weil die Süße eines Federweißen – in Österreich heißt er „Rauscher“, in der Schweiz „Sauser“ – den Alkohol überdeckt, eignet sich das Getränk ideal zum Komasaufen bei Junggesellenabschieden. Der deutsche Name des Getränks soll sich von den weiß-grauen Hefeschlieren herleiten, die noch keine Zeit hatten, sich abzusetzen.
Wenn man den hefigen Ton toleriert, kann das eine oder andere Gläschen Federweißer durchaus auch Kennern Spaß machen. Nur zu viel sollte man schon deshalb nicht konsumieren, weil das anspruchslose Getränk im Ruf steht, die Verdauung anzuregen. Vor allem, wenn dazu noch Zwiebelkuchen serviert wird. Danach sollte man aus Rücksicht auf die Mitmenschen für eine gewisse Zeit nähere soziale Kontakte meiden.
Aber schöner ist es, zu einem Zwiebelkuchen einen ordentlichen Wein zu trinken, wobei es ziemlich egal ist, um welche Sorte es sich handelt. Von mir aus sogar ein Müller-Thurgau oder eine andere mehr oder weniger neue Neuzüchtung. Vielleicht keinen Grand Cru, das wäre ein wenig wie Perlen vor die Säue, wobei Zwiebelkuchen sehr delikat sein kann. Aber eben keine im engeren Sinne feine Speise ist.
Elsässisch-deutsche Form der Pizza: Flammkuchen
Klassischerweise wird Zwiebelkuchen mit einem leichten Hefeteig zubereitet. Wer den Aufwand des mehrfachen „Gehenlassens“ scheut, kann auch einen Quark-Öl-Teig verwenden. Welche Zwiebel man nimmt, ob normale Küchenzwiebeln oder mildere Gemüsezwiebeln, ist Geschmackssache. Auf jeden Fall müssen sie zunächst in Ringe oder Würfel geschnitten werden, die mit Abstand unangenehmste Arbeit beim Backen eines Zwiebelkuchens.
Wenn die Zwiebeln glücklich in der Pfanne vor sich hin schmurgeln, ist das Gröbste überstanden. Die ebenfalls benötigten Speckwürfel sollte man separat ohne Fett anbraten, bevor man Zwiebeln und Speck mit einer Eier-Sahne oder Eier-Schmand-Mischung vermengt und mit Muskat, Salz und Pfeffer würzt. Noch pikanter wird die Mischung, wenn man geriebenen Käse unterhebt, am besten einen würzigen Bergkäse. Dann ab in den Ofen. Und am besten noch heiß oder lauwarm essen. Bei einem elsässischen Traiteur erstand ich einmal einen Zwiebelkuchen auf Basis pürierter Zwiebeln. Keine gute Idee.
Eine immer populärere Variante des Zwiebelkuchens ist der Flammkuchen, eigentlich eine feine Sache, wenn er hausgemacht ist. Doch so gut wie immer dürfte in Restaurants, Weinstuben oder Straußwirtschaften ein Fertigteig aus Kühlregal oder Tiefkühltruhe zum Einsatz kommen. Der muss dann nur noch mit saurer Sahne oder Crème fraîche oder einem billigen Ersatzprodukt der Lebensmittelindustrie bestrichen und in der Grundform mit Zwiebeln und Speck bestreut werden. Fertig ist ein Snack mit der vielleicht größten Spanne zwischen Einsatz und Ertrag.
Wenn dann die Zwiebelstücke noch halbroh oder schon verbrannt sind und das romantische Holzbrett, auf dem diese Delikatesse meist kredenzt wird, ein wenig muffelt, wünscht man sich, dass diese elsässisch-deutsche Form der Pizza nie das Licht der Welt erblickt hätte. Es mag ihn ja irgendwo geben, einen wirklich gelungenen, hausgemachten Flammkuchen mit hauchdünn-knusprigem Brotteig als Unterlage und ehrlicher Auflage, direkt aus dem Holzofen. Die Suche dauert an.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.