Georg Etscheit / 09.07.2023 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 12 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Kulinarische Erinnerungen

Heute geht es um Erinnerungen an die Genüsse vermeintlich glücklicher Kinder- und Jugendtage – und außerdem um die Römertopf-Rezepte, die mir Leser nach der letzten Ausgabe der Cancel Cuisine zusandten.

Leben ist vor allem Erinnerung, nicht zuletzt kulinarische Erinnerung. Erinnerungen an die Genüsse vermeintlich glücklicher Kinder- und Jugendtage, an die von Muttern aufgetischten Lieblingsgerichte und, ja auch, die grausam verhassten Speisen, die man später vielleicht lieben lernte oder auch nicht. Wobei sich Geschmäcker und Gerüche aufgrund evolutionärer Prägungen besonders fest im Gedächtnis einbrennen. Viel intensiver jedenfalls als optische oder akustische Reize.

Manchmal sucht man, wie Marcel Proust und seine „Madeleine“, das ganze Leben nach einem verlorenen Geschmack. Irgendwann in den 70er Jahren, ich ging noch zur Schule, war ich mit meinem Vater unterwegs in Frankreich. Unser Ziel war die bretonische Hafenstadt Saint Malo, von wo wir mit der Fähre zu der winzigen englischen Kanalinsel Herm aufbrechen wollten, um dort den Sommerurlaub zu verbringen. Abends machten wir Station in einem einfachen Restaurant, das an einer der oft schnurgeraden Nationalstraßen lag. Dort wurden uns, ich habe die Szene lebhaft vor Augen, die besten Kartoffeln meines Lebens serviert. Ziemlich klein und kross in der Schale gebraten, schwammen sie in einer Rahmsauce von unfassbarer Intensität. 

Wie das Gericht hieß, ob es noch ein Stück Fleisch dazu gab, weiß ich nicht mehr. Seither suche ich solche Kartöffelchen mit dem wunderbar nussigen Aroma. Vielleicht waren es „Pommes de terre de Noirmoutier“, eine sündteure, von französischen Gourmets fast kultisch verehrte Kartoffelsorte, die auf der Insel Noirmoutier im Atlantik wächst und mit Algen gedüngt wird.

Kartoffeln für 20 Euro das Kilo – leider eine Enttäuschung

Dagegen spricht allerdings, dass die üblicherweise sehr frühe Saison dieser Kartoffelspezialität zum Beginn der hessischen Ferienzeit Mitte/Ende Juli – ich stamme aus dem südhessischen Rheingau – eigentlich längst zu Ende ist. Jüngst gelang es mir, in der Markthalle von Dijon ein Kistchen dieser Kartoffeln zum stolzen Preis von zwanzig Euro das Kilo zu erstehen. Doch der Geschmack enttäuschte mich und die „Recherche de la pomme de terre perdue“ geht weiter.

Aber jetzt noch einmal zum Römertopf. In der letzten Ausgabe von Cancel Cuisine berichtete ich von der Insolvenz jener Westerwälder Firma, die die tönernen Kochgeräte seit den späten 60er Jahren herstellte. Viele Leser nahmen die Botschaft mit Bedauern zur Kenntnis und folgten nach dem Leitsatz „Leben ist Erinnerung“ gerne meiner Anregung, ihre schönsten Römertopfrezepte einzusenden. Wenigstens zwei davon möchte ich hier zur Kenntnis geben, verbunden mit der Hoffnung, dass in vielen Küchen ein Römertopf, ungeachtet seiner Zerbrechlichkeit, die wechselvollen Zeitläufte überdauert haben möge. 

„Gerne lese ich Ihre Kolumne“, schrieb Mariangela Zaby, „denn als im Jahr 1956 Geborene bin ich wohl mit ähnlichen kulinarischen Erzeugnissen und Schlemmereien aufgewachsen wie Sie. Ihrer Bitte nachkommend, möchte ich Ihnen ein Rezept zukommen lassen, das wir tatsächlich als einziges im von meiner Mutter aus den 70er Jahren aufbewahrten Römertopf im Sommer gelegentlich zubereitet haben.“

Der Römertopf, das Lamm, hurz!

Dieses originelle Rezept mit südfranzösischem Touch heißt Lamm im Tontopf mit Lavendel und Heu und stammt aus dem Kochbuch „Essen und Genießen wie auf dem Land“ von Sally Anne Scott, deutsche Ausgabe 1992 (Christian Verlag). „Ich habe damals begeistert alle möglichen ausgefallenen Rezepte gesucht und für meine sechs- bis siebenköpfige Familie und Gäste gern und ausführlich experimentiert und gekocht.“

Zutaten für sechs Personen: eine Lammkeule oder Lammlende von 1,8 bis 2,3 kg, entbeint, 24 Lavendelblüten samt -stengeln, ein Büschel Heu, 115 Gramm Butter, Salz und Pfeffer. Zubereitung: Ofen auf 220 Grad vorheizen. Acht flache Schnitte ins Lammfleisch machen, in jeden eine Lavendelblüte legen. Heubüschel unter fließend kaltem Wasser waschen, leicht trockenschütteln und daraus ein „Nest“ im Römertopf formen. Den übrigen Lavendel über das Heu streuen. Lamm rundum mit Butter einstreichen, kräftig würzen, direkt ins Heu legen, mit vier Esslöffeln Wasser begießen und bei geschlossenem Deckel in den Ofen geben. 

Bratzeit: 20 Minuten pro 450 Gramm für halb durchgebratenes Fleisch, 25 Minuten für durchgebratenes. Zehn Minuten vor Bratende Deckel abnehmen. Das fertige Lamm auf eine vorgewärmte Platte legen, Heu aus dem Topf nehmen, Bratensaft gründlich abseien, etwas einreduzieren lassen, abschmecken. Beilagenempfehlungen enthält das Rezept nicht. Doch weißes Stangenbrot ist immer eine Option. Oder ein Kartoffelgratin.

Perlhuhn im Römertopf

Hier ein weiteres Rezept von unserem Leser Uwe Jungwirth: „Mit Freuden lese ich immer ihre Cancel-Cuisine-Beiträge – wecken sie doch oft auch nostalgische Erinnerungen. Ihr Beitrag zum Römertopf hat mich direkt angeregt, mal wieder was damit zu kochen. Ich habe auch ein Rezept, das einfach unfassbar gut schmeckt. Es stammt aus dem Buch „Aus Italiens Küchen“ von Marianne Kaltenbach/Virginia Cerabolini. Allein der Duft, der bei Tisch aus dem dann geöffneten Römertopf entweicht, ist köstlich.“

Dieses Rezept heißt Perlhuhn im Römertopf. Zutaten: ein Perlhuhn zu 1,2 kg, vier Esslöffel Marsala, Salz, Pfeffer, 50 gr Butter, Thymian, Salbei und Rosmarin, zwölf Scheiben luftgetrockneter Schinken. Zubereitung: Perlhuhn waschen und in vier Portionen schneiden. Mit Marsala beträufeln und mindestens eine Stunde mazerieren lassen. Stücke salzen und pfeffern und mit der flüssigen Butter bestreichen sowie mit den Kräutern bestreuen und jedes der Fleischstücke in drei Scheiben Schinken einwickeln. Alle Teile zusammen in den Römertopf legen, Deckel drauf und ab in den noch kalten Ofen. Dann die Röhre auf 180 Grad hochfahren und das Huhn zwei Stunden schmoren lassen. Nach Ende der Garzeit den Backofen ausschalten und den Topf eine weitere Viertelstunde ruhen lassen. Deckel erst bei Tisch öffnen! Als Beilage empfiehlt das Rezept Melanzane oder in Marsala geschmorte Karotten. Auch hier empfiehlt sich Brot als Sättigungsbeilage. 

Hier noch ein Link zu dem Rezept Wildschwein im Tontopf, empfohlen von unserem Leser Hubert Bauer: „Das Rezept ist wirklich gut. Ich habe es mehrmals gemacht und es gelingt immer. Beim nächsten Mal werde ich das Gemüse aber abtropfen lassen und die Soße aus dem Sud alleine zubereiten.“ 

Schmeckt irgendwie nach Krankenhausküche und Altenspeisung

Nicht verschweigen möchte ich, dass es auch Leser gibt, die dem Römertopf wenig abgewinnen können: „Römertopf? Nein danke, ein völlig zu Recht ausgestorbener Seitenarm der kulinarischen Evolution“, heißt es in einem Kommentar zu meinem Artikel. „Das Resultat war irgendwelches, gesundes, labbriges Zeugs, das irgendwie nach Krankenhausküche und Altenspeisung schmeckte. Hier mein Römertopf-Rezept: Man nehme einen seit Jahren gut abgelagerten Römertopf, wässere ihn mindestens zwei Stunden und werfe ihn ungekocht in den Mülleimer. Danach bestellt man sich vom Lieferdienst seiner Wahl ein Gericht seiner Wahl. Schmeckt auf jeden Fall tausendmal besser als alles, was je in einem Römertopf zubereitet wurde.“

Ob man ihn liebt oder hasst, ganz unbestreitbar war der Römertopf ein bemerkenswertes kulinarisches Kind der Bonner Republik in der Zeit zwischen Fress- und Ökowelle, des vielleicht angenehmsten deutschen Staatsgebildes, das es je gab, und gehört als immaterielles Weltkulturerbe unter Schutz gestellt.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Volker Seitz / 09.07.2023

Ich empfehle den japanischen Bestseller „ Das Restaurant der verlorenen Rezepte“. Dort geht es genau um Ihr Problem mit der „ besten Kartoffel Ihres Lebens“ , die Sie aus Saint Malo in Erinnerung haben.

Peter Bernhardt / 09.07.2023

@Gerd Heinzelmann ...... Was hat der Römertopf mit Renate Künast zu tun?  “In unsere Kühe kommt nur Wasser, Getreide und Gras. Von Renate Künast” “Worte kochen keinen Reis. Aus China”

Heike Olmes / 09.07.2023

@D.Katz. witzig, Ihr Kommentar. Bleiben Sie sich treu!

D. Katz / 09.07.2023

@Pedro Jimenez: da habe ich einen Tipp. Heu können Sie auch in der Stadt bekommen. Suchen Sie eine Zoohandlung auf, dort gibt es handlich verpackte Heuballen, die als Futter und Streu für kleine Nager wie Kaninchen oder Meerschweinchen - BEIDE Tierarten ergeben auch leckere Braten - angeboten werden. Da dieses Heu für unsere vierbeinigen Freunde gedacht ist, für die bekanntlich nichts gut genug sein kann, dürfte es frei von irgendwelchen Kontaminationen durch Pestizide, Gen-Manipulationen oder Abgase sein.

Gerd Maar / 09.07.2023

Rezeptvorschlag: Testi Kebab im Römertopf. Dann ist man auch gleich den doofen Topf los.

D. Katz / 09.07.2023

Nachtrag zum Römertopf - vor wenigen Tagen sah ich einen auf einem Flohmarktstand. Ich habe einen Moment überlegt, ihn dann aber stehen lassen. Er war erkennbar benutzt, und wer weiß, ob darin nicht mal etwas vegetarisches zubereitet worden ist.

Alexander Wildenhoff / 09.07.2023

Ja - auch ich erinnere mich;  Die Lauffener Frühkartoffeln waren nicht größer als Walnüsse - aber schmeckten fantastisch.  Jetzt gibt es viele frühe Sorten, die erheblich größer sind - aber nicht mehr so schmecken.

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