Cancel Cuisine: Das beste Vanilleeis

Was heute in den meisten Eisdielen verkauft wird, hat mit echtem, handwerklich-konditormäßig hergestelltem Speiseeis nicht das Geringste zu tun. Besser, man macht es selbst. Wie ich in meiner Jugend. 

Als ich noch zur Schule ging und schon meine Liebe zum Kochen und Backen erwacht war, schleppte mein Vater eines Tages eine merkwürdig aussehende Maschine ins Haus. Ich weiß nicht, wo er das Stück aufgetrieben hatte: Es handelte sich um einen nicht besonders großen Holzbottich, in dem auf einem Sporn ein metallener Behälter saß, der durch eine massive Apparatur mit Zahnrädern und einer Handkurbel in Rotation versetzt werden konnte. Eine Eismaschine, wie sich herausstellte, vielleicht Baujahr erstes Drittel 20. Jahrhundert.

Ich war begeistert und wollte sofort loslegen. Doch mein Vater verpflichtete mich zunächst dazu, die Maschine zu säubern und instandzusetzen. Ich wienerte den muffigen Metallbehälter so gut es ging, schliff das graue, etwas angeschimmelte, hölzerne Rührwerk mit Schleifpapier ab und lackierte das Fässchen in knalligem Rot, die metallenen Bänder, die die Dauben zusammenhielten, in schwarz. So machte das merkwürdige Maschinchen wieder einen schmucken Eindruck.

Vor dem ersten Einsatz musste ich zunächst auskundschaften, welcher Händler am Ort noch echtes Stangeneis, also gefrorenes Wasser zu Kühlzwecken, verkaufte, wie sie vor Erfindung des elektrischen Kühlschranks auch in der Küche gehobener Bürgerhaushalte zum Einsatz kam. Solches „Blockeis“ gibt es heute noch, es dient zerkleinert zur Kühlung von Fischauslagen – für Privathaushalte bieten Tankstellen oft Säcke mit Brucheis oder Eiswürfeln an.

Bis heute unerreicht

Als ich bei einem Getränkehändler fündig geworden war, schleppte ich in einem Plastikeimer eine halbe Stange nach Hause, zerkleinerte sie mit einem Hammer und schichtete die Brösel zusammen mit Streusalz, das vom winterlichen Schneeräumen übrig geblieben war, in das Fässchen, in dem schon der Metallbehälter mit der von mir zubereiteten Grundmasse für ein echtes Vanilleeis steckte. Dazu wird mit Eigelb, Zucker, Milch, Sahne und einer ausgekratzten Vanilleschote eine schlichte Englische Creme zubereitet, die Basis für wunderbare Desserts wie eine Bayerische Creme, aber auch für Sahneeis. Nur ohne Gelatine natürlich und ohne Schlagsahne.

Dann der große Moment: Ich montierte klopfenden Herzens die Zahnradapparatur mitsamt der Kurbel und begann zu drehen. Immer wieder mussten Eis und Salz nachgefüllt werden, weil das Stangeneis rapide zu schmelzen begann, ein Prozess, bei dem jene Kälte entsteht, die meine Eismasse langsam gefrieren lassen sollte. Das salzige Schmelzwasser konnte man durch eine Öffnung unten am Fässchen, die mit einem Holzstopfen verschlossen war, von Zeit zu Zeit ablassen. Als ich Mühe hatte, weiterzudrehen, war das Eis fertig. Die Eltern wurden herbeigerufen und das Ergebnis präsentiert. Und ich muss sagen, selbst eingedenk der Tatsache, dass früher immer alles schöner war und die verflossene Kindheit sowieso, ich habe bis heute nie mehr ein so wunderbar aromatisches, zartschmelzendes, vollmundiges Vanilleeis gegessen. Vielleicht abgesehen von einem Besuch bei Paul Bocuse in Lyon, wo eine ähnliche Köstlichkeit zur Standardausstattung des Dessertwagens gehört. Natürlich kann man dazu noch irgendetwas Säuerlich-Fruchtiges genießen oder auch eine Schokoladensauce. Aber eigentlich wird der feine, reine Geschmack von Eiern, Sahne und Vanille dadurch verfälscht. Also am besten pur genießen!

Was heute in den meisten Eisdielen verkauft wird, hat mit echtem, handwerklich-konditormäßig hergestelltem Speiseeis nicht das Geringste zu tun. Gefühlt 95 Prozent der deutschen Eismacher greifen zu Fertigprodukten, die die Industrie in großer Zahl anbietet und immer nach dem neuesten Geschmack – gerade liegen „Salzkaramell“ und „Cheesecake“ im Trend. Diverse Grundmassen und aromatisierende Pasten, die voller billiger Aroma- und Ersatzstoffe stecken, brauchen dann nur mit Flüssigkeit angerührt zu werden, bevor man sie in die vollautomatische Eismaschine kippt. 

Nicht ohne den Zucker

Zu allem Überfluss darf das Ergebnis sogar als hausgemacht verkauft werden. Die Vielfalt von bis zu zwanzig oder mehr Eissorten, die in den Auslagen der Eisdielen zu prächtig-bunten Eisgebirgen angehäuft werden, ist meist ein Fake, klassische Verbrauchertäuschung. Oft schmeckt eine Sorte wie die andere – alles viel zu süß, die Konsistenz von aufdringlich-pappiger Geschmeidigkeit.

Manche gehobenen Restaurants oder Konditoreien verstehen sich noch auf die Herstellung eines klassischen Sahneeises oder eines Parfaits. Doch weil immer mehr Gäste gehaltvolle Desserts ablehnen, wird Sahneeis zunehmend von Fruchtsorbets verdrängt, die aber nur scheinbar „leichter“ sind, weil in ihnen sehr viel Zucker steckt. Fruchtsorbets werden ganz anders hergestellt als Sahneeis oder ein Parfait, und sie sind auch eher eine Erfrischung zwischendurch als ein echtes Dessert.

Ohne künstliche Zusatzstoffe arbeitende Bio-Eisdielen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, machen es notwendigerweise auch nicht besser. Die angesagte Bartu-Eismanufaktur in München wirbt damit, Extrakte der Agave-Pflanze zu verwenden. Dadurch sei es möglich, Eis herzustellen, das weniger Zucker enthalte, zudem kein Ei, und daher „weniger reich an Kalorien“ sei. Wobei gerade Zucker für das schmelzende Mundgefühl sehr wichtig ist, weil Zucker als Anti-Frost-Mittel dient und die Bildung von Eiskristallen verhindert. Bartu-Eis ist nicht schlecht, schmeckt aber irgendwie mager und zuweilen leicht krümelig.  

Do it youself!

Hilft also nur: selber machen. Dazu braucht es eigentlich keine Eismaschine. Für sein Vanilleparfait mit Himbeersauce zieht Wolfram Siebeck unter die mit Vanille parfümierte Englische Creme einfach geschlagene Sahne und lässt die Masse über Nacht im Gefrierschrank fest werden. Damit das Ganze wieder weicher und cremig wird, sollte man ein solches nicht gerührtes Parfait eine halbe Stunde vor dem Genuss in einen normalen Kühlschrank stellen. 

Sein Erdbeerparfait kommt noch unkomplizierter daher: 400 Gramm Erdbeeren mit dem Mixer pürieren und durch ein Sieb streichen. Vier Eigelbe mit 250 Gramm Zucker cremig schlagen, zwei Esslöffel Kirschwasser dazugeben und alles mit dem Fruchtpüree verrühren. Vielleicht mit Zitronensaft abschmecken. Schließlich einen halben Liter Schlagsahne unterziehen und ab in die Kältetruhe. Vor dem Servieren leicht antauen lassen, dazu eine Erdbeersauce. Wenn einem so etwas gelungen ist, wird man Langnese nicht mehr missen und auch nicht das Eiscafé „Venezia“ in der Fußgängerzone.

Vielleicht interessiert noch den einen oder anderen, was aus meiner Eismaschine geworden ist? Das gute Stück gibt es nicht mehr. Nach mehrmaligem Gebrauch schrumpfte das Holz durch die dörrende Salzbehandlung so stark zusammen, dass die Metallbänder die hölzernen Dauben irgendwann nicht mehr zusammenhalten konnten. Vielleicht kann mir jemand sagen, wie eine solche Eismaschine, die sogar noch neu erhältlich ist, fachgerecht zu pflegen ist. Vielleicht habe ich als Kind einfach viel zu viel Salz verwendet aus Angst davor, dass das Eis nicht richtig gefriert.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Bengt Oberger CC BY-SA 3.0, Link

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Hans Bendix / 18.06.2023

Nun, meine Frau hat die Großzügigkeit, mir zum Vatertag immer wieder Geschenke zu machen, die eigentlich für den Muttertag in einschlägigen Geschäften zu herabgesetzten Preisen verkauft werden. Kurz nach der Hochzeit - vor bald einer halben Ewigkeit - schenke sie mir eine Kitchen Aid, die noch immer tadellöser funktioniert, und der wir bis heute alle paar Tage perfekt gekneteten Brotteig verdanken. Nach verschiedenen - mehr oder minder wenig erfolgreichen - Anläufen erhielt ich vor etwa einem Jahrzehnt eine Eismaschine mit Kühlkompressor. Seither wollen Sie und meine Töchter (wenn sie denn den Weg nach Hause finden) kein gekauftes Eis mehr.

Thomas Szabó / 18.06.2023

Ich habe ein extrem primitives und extrem wohlschmeckendes Rezept, das ich aus Sparsamkeit kreiert habe. Eine Art Zwitter aus Eis und Smoothie. Obst wird schnell weich und wabbelig und verdirbt. Ich friere alle Obstsorten im Tiefkühlschrank ein, taue sie auf, püriere sie gründlich, bis eine Fruchtsaft entsteht. Ich mische nur etwas frisches Orangensaft dazu, wenn überhaupt, ansonsten nichts, kein Zucker, keine Sahne. Erdbeeren aus dem Supermarkt schmecken nach wenig, zur Fruchtsaft verarbeitet kommt der volle Geschmack heraus. Durch das Tiefgefrieren wird die feste Struktur des Fruchtfleisches zerstört und der Geschmack entfaltet sich voll. Die feinen, knusprigen Eiskristalle haben ihren eigenen Reiz. Der Geschmack ist sehr intensiv und hält mich bei guter Laune, selbst wenn ich auf Diät bin. Man kann alle Obstsorten kombinieren. Das Ergebnis ist oft ein optisches Attentat. Einmal war das Zeug sogar braun, aber köstlich. Ich habe mich richtig dran gewöhnt. Ich finde den Geschmack sehr natürlich. Jetzt mache ich mir was mit Äpfel & Erdbeeren.

Sam Lowry / 18.06.2023

Vielleicht mal “Holz lebensmittelecht behandeln” googeln? Ich denke, man hätte die Dauben ggf. auch erneuern können. Aber wer bin ich schon?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 21.04.2024 / 12:00 / 23

Cancel Cuisine: Kräuterküche

Naturverbundene Großstädter meinen, ein Leben im Einklang mit der Schöpfung zu führen, wenn sie sich allerlei wildes Grünzeug aneignen, das früher unter Unkraut lief, um…/ mehr

Georg Etscheit / 17.03.2024 / 14:00 / 19

Cancel Cuisine: Kopfsalat

Auf vielen Speisekarten taucht gerade ein „ganz besonderes Gericht“: ein Salatkopf im Ganzen, nur mit etwas Dressing verfeinert. Für mich ist ein roh servierter Salat kein Gericht, allenfalls…/ mehr

Georg Etscheit / 10.03.2024 / 12:00 / 29

Cancel Cuisine: Fleischersatz von Bill Gates

Bill Gates investiert Millionen und Milliarden Dollar in Dinge, die ihm wichtig erscheinen. Zum Beispiel in die Landwirtschaft. Und in Fleisch aus dem Drucker. „Ich denke,…/ mehr

Georg Etscheit / 03.03.2024 / 12:00 / 7

Cancel Cuisine: Spaghetti alle vongole

Ein Abend Italienurlaub lässt sich auch in der heimischen Küche mit Pasta und Venusmuscheln simulieren. Hier steht, wie's geht. Was wäre die Welt ohne Katastrophenszenarien? Klimawandel,…/ mehr

Georg Etscheit / 25.02.2024 / 12:00 / 19

Cancel Cuisine: Über Profigeräte

In Besserverdiener-Haushalten finden sich immer öfter beeindruckende Apparate – von der Kaffeemaschine bis zum Racletteofen. Ich meine, Profigeräte sollten Profis vorbehalten bleiben. „Soll ich dir einen Espresso…/ mehr

Georg Etscheit / 18.02.2024 / 12:00 / 24

Cancel Cuisine: Cem und das Tierwohl

Cem Özdemir plant eine „Tierwohlabgabe“ auf bestimmte tierische Produkte. Eine neue Etappe auf dem Weg ins Veggie-Paradies. Langsam wird es ermüdend, immer wieder auf die…/ mehr

Georg Etscheit / 11.02.2024 / 13:00 / 16

Cancel Cuisine: Saures Lüngerl

Jenseits von Leber und Nierchen sind Innereien in unserer Küche schon lange aus der Mode gekommen. Leider, muss man sagen, denn da entgeht uns was.…/ mehr

Georg Etscheit / 04.02.2024 / 10:00 / 64

Cancel Cuisine: Der Discounter – Schmelztiegel der Nation 

Bisher mied der Autor Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny, doch räumt er nun ein, einen Sinneswandel durchgemacht zu haben. Habe ich mich verhört? Hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com