Die Tage des Parteivorsitzenden Philipp Rösler sind gezählt. Der Jugendstil der FDP ist am Ende. Bald dürfte das Liberalen-Großväterchen Rainer Brüderle das Ruder übernehmen.
Ein Vorsitzender bei seiner FDP ist derzeit so populär wie Friedensforschung bei den Hells Angels, zielgruppensicher wie ein Posaunist im Schweigekloster und wählbar wie abgelaufener Joghurt im Supermarkt. Der Job ist derart unangenehm, dass man sich wundert wie Philipp Rösler noch darum kämpft. Denn in Wahrheit hat er längst verloren. Die Tage seines Parteivorsitzes sind gezählt.
Noch dementieren sie zwar – doch die FDP organisiert sich hinter den Kulissen bereits einen neuen Vorsitzenden. Rainer Brüderle verfügt dabei über die besten Karten. Denn Brüderle hat das, wonach sich die schwer verwundete Partei am meisten sehnt: Seniorität und Erfahrung. Das Ende der Boygroup von Westerwelle über Lindner und Bahr bis Rösler ist keine Frage von Skandalen, auch keine von falschen Inhalten oder schlimmen Intrigen. Die Boygroup ist gescheitert, weil sie das Pubertäre zu Politik machen wollte. Die FDP aber ist eine Partei, die in ihrem ganzen Wesen besonders erwachsen ist.
Die Traditionslinie des Liberalen reicht bis ins 19. Jahrhundert, sie hat ein völlig adultes Verhältnis zur Macht, sie ist darum nicht zufällig die Partei mit der größten exekutiven Erfahrung in der Bundesrepublik. Sie verkörperte über Jahrzehnte das Seriöse, ja beinahe Institutionelle in der deutschen Parteienlandschaft – so dass man lange Jahre witzelte, die FDP bestehe überhaupt nur aus Staatssekretären.
Gerade wegen dieser Ligatur des Erwachsenen ist der politische Jugendstil der jüngsten Zeit für die Partei so fatal gewesen. Guido Westerwelle wurde das pubertierende Markenzeichen nachgesehen, solange man in der Opposition das Freche, Rebellische, Schnellzungige dringend brauchte. Im Moment der Regierungsübernahme schon war Westerwelle seinem Amt nicht mehr gewachsen. Und zwar habituell. Die Marke Westerwelle funktionierte in seiner fordernden Kühnheit wie das Music-Label einer jungen Berliner Hip-Hop-Band. Für die Berliner Symphoniker war das aber unbrauchbar.
Das Exekutive muss erwachsen sein. Die Liberalen spürten das bereits vor einem Jahr, als sie Guido Westerwelle entmachteten. Doch war es ein tragischer Fehler der Partei, dass sie nach der Sturm-und-Drang-(Wester)Welle nicht auf Klassik setzte sondern auf einen noch Jüngeren. Rösler ist ein intelligenter, angenehmer und integrer Politiker. Aber als Vizekanzler, Parteivorsitzender und Bundeswirtschaftsminister kommt er schlichtweg zu jung und unerfahren daher.
Genau dieses Defizit spürt die Republik. Die Liberalen leiden darum bitterlich am Erfahrungs-Phantomschmerz und sammeln sich um ihre Parteilegenden von Genscher bis Baum. Sie projizieren nun alle Sehnsüchte auf Brüderle, dem ausgefuchsten Fahrensmann, von dem höchstpersönlich der pfälzer Spruch stammen könnte: “Wer mit jungen Ochsen pflügt, macht krumme Furchen.”
Brüderle ist den Westerwelles und Bahrs und Lindners in Sachen Modernität, Coolness und Spritzigkeit so unterlegen wie ein Dieseltraktor den Ferraris. Aber genau der Diesel ist jetzt gefragt.
Und: Es gibt einen zweiten Diesel in der FDP, von dem man bald mehr hören wird. Seine Fahrweise ist zudem wesentlich eleganter als die des Traktors, eher wie ein Bentley kommt er daher: Alexander Graf Lambsdorff. Der blitzgescheite Europapolitiker ist wie gemacht als kommende Führungskraft der Liberalen. Er bringt schon über seine Familienherkunft ein Pfund mit, das nach der Pubertätskrise der FDP dringend nachgefragt wird: Stil und Tradition. Im Retro-Reflex, der jetzt die Liberalen überkommt, dürfte er seine Chancen bekommen, zumal er inmitten der Europa- und Schuldenkrise auch mit besonderer Expertise ausgestattet ist.
Ob nun mit Brüderle und Lambsdorff oder in anderen Retro-Konstellationen – die FDP wird auch in dieser Krise nicht sterben. Und anders als viele Linke in diesen Tagen feixen, wird die FDP in Deutschland auch dringend gebraucht. Die Freiheitsidee hat nicht gerade viele Paten in unserem obrigkeits-, vorschriften- und staatsfixierten Land. Heinrich Heine erkannte schon: “Der Engländer liebt die Freiheit wie seine rechtmäßige Braut, der Franzose wie seine Geliebte, der Deutsche bestenfalls wie seine Großmutter.” Vielleicht braucht es auch darum wieder einmal Großvaterfiguren, die die Freiheitsfreunde in seriöse Gefilde steuern.
Zuerst erschienen in:
Handelsblatt online, 16.12.2011