Rainer Bonhorst / 07.06.2022 / 07:39 / Foto: Top Gear/Screenshot / 22 / Seite ausdrucken

Boris the come back kid

Boris Johnson hat das Misstrauensvotum, das ihm seine Parteifreunde aufgezwungen haben, mit einem blauen Auge und blutiger Nase überstanden. Nach dem dramatischen Abend im Parlament wirkt er wie ein Boxer, der um Haaresbreite einem K.o. entgangen ist. Aber, wie Boris Johnson nun mal gebaut ist, schüttelte er sich, kämpft weiter und gibt weiter den Herrn im Ring. Im Prinzip ist er das auch. Eine Mehrheit der konservativen Abgeordneten hat ihm das Vertrauen ausgesprochen. Aber den 211 Ja-Sagern stehen 148 Parteifreunde gegenüber, die ihn nicht mehr in der Downing Street sehen wollen. Wie lebt man mit so vielen Gegnern in den eigenen Reihen ? Mit Chuzpe. 

Wieso musste er überhaupt um sein Amt bangen, obwohl seine konservative Partei eine Mehrheit im Unterhaus hat, von der deutsche Regierungen nur träumen können. 357 Sitze (und Stehplätze) haben die Tories, die hinter Labour versammelte Opposition kommt auf gerade mal 280. Bei einem solchen Vorsprung könnte sich ein deutscher Kanzler schlafen legen und sich erst kurz vor der nächsten Wahl wecken lassen. Aber die absolute Mehrheit von 77 Abgeordneten ist für den Premierminister in Westminster schon lange kein sanftes Ruhekissen mehr. Britische Politiker neigen nach ausgiebiger Vorbereitung hinter den Kulissen schon mal zur offenen Rebellion gegen ihren eigenen Spitzenmann.

Und gegen die eigene Spitzenfrau. Das musste Theresa May erfahren, als ihr Versuch, mit Brüssel einen maßvollen Brexit abzuschließen, mehrmals von den eigenen Leuten abgeschmettert wurde. Hätten sie die Premierministerin gestützt, Brexit-England wäre de facto im gemeinsamen Markt geblieben und hätte sich die ganzen Probleme des harten Johnson-Brexit erspart. Es hat nicht sollen sein. Auch Theresa May musste schließlich an ihre Tories die Vertrauensfrage stellen. Sie gewann, konnte sich aber nur noch ein halbes Jahr halten.

Die Abgeordneten müssen allesamt direkt gewählt werden

Was macht das britische Unterhaus so rebellisch? Die Angst der Abgeordneten um ihren Platz auf den grünen Bänken. Da sie allesamt direkt gewählt werden müssen, hängt ihr Schicksal mehr noch als in Deutschland von der Attraktivität ihres Zugpferdes ab. Boris Johnson hat sich bei der Wahl im Jahr 2019 als ein wuchtiges Zugpferd erwiesen und die phänomenale Mehrheit geholt, die an Margaret Thatchers Zeiten erinnert. Im Norden Englands hat er der Labour-Partei jede Menge Arbeiterstimmen abgeluchst.

Und dann ist es passiert. Der harte Brexit hat sich als schwieriger erwiesen als gedacht. Die Wirtschaft leidet und mit ihr die Menschen. Der Versuch, alles auf Covid zu schieben, fruchtet nicht mehr. Dann kam Partygate, die ständigen Sausen in Downing Street, während die Bürger außerhalb des Regierungsviertels mit Lockdown und Feierverboten belegt waren. Die Partys der fröhlichen Führungselite wurden mit einem offiziellen Tadel belegt. Die Polizei demütigte den Premierminister sogar mit einem Strafbefehl wegen Verstoßes gegen sein eigenes Party-Verbot. Die Umfragewerte für Boris Johnson sackten immer weiter ab.

Und dann der offenbar ausschlaggebende Schocker: Ganz England feierte seine seit 70 Jahren dienende Queen. Es herrschte Hochstimmung. Jubel allerorten. Doch als Boris Johnson mit seiner Frau Carrie zum Jubiläumsgottesdienst vor der St. Paul's Kathedrale erschien, wurde er von der sonst so fröhlichen Menge mit einem anhaltenden Buh-Ruf-Konzert bedacht. Buhrufe, die von den Medien hinaus ins ganze Königreich getragen wurden. Die Peinlichkeit konnte selbst Johnson, dieser Meister der Umdeutung, nicht rhetorisch in Jubelrufe verwandeln.

Tags darauf hatten die konservativen Rebellen, die lange gezögert haben, die 54 Rebellenbriefe zusammen, die nötig sind, um den Premierminister zu einer Vertrauensfrage zu zwingen. Um den Chef seines Postens zu entheben, braucht es aber mehr als 180 Nein-Stimmen gegen ihn. Und dafür hat es nicht ganz gereicht. Also zog Johnson mit erhobenem Siegerdaumen wieder in der Downing Street ein.

Bis zur nächsten Wahl hat er noch zwei Jahre Zeit

Für wie lange? Wird er den mauen Sieg länger überleben als seinerzeit Theresa May? Theoretisch ist er erst einmal für ein Jahr sicher vor neuen Attacken seiner Freunde. Vor allem aber: Johnson ist ein cleverer Spieler. Bis zur nächsten Wahl hat er noch zwei Jahre Zeit. Zwei schwierige Nachwahlen, die auf dem Kalender stehen, wird er auch noch mit einem blauen Auge überstehen. Er ist eben Boris, the come back kid. Ein wichtiger Teil seiner Überlebensversicherung: Wer ihn als Wahllokomotive ablösen sollte, ist völlig ungeklärt.

So interessant die Frage ist, wie lange Johnson noch politisch überleben kann: Ebenso spannend ist die Frage, ob die Niederschläge ihn verändern werden. Wird er ein sanfterer Boris werden? Wird er Erfolge im Umgang mit der Europäischen Union suchen? Gar in den gemeinsamen Markt zurückkehren wollen, um daheim das Leben wieder etwas leichter zu machen? Oder wird er widerborstiger werden, um seine radikaleren Freunde fest an sich zu binden? 

Erst einmal hat Boris Johnson gezeigt, dass er nach einem schweren Tiefschlag immer noch die Siegerpose hinkriegt. Nicht zum ersten Mal macht er klar, dass man ihn aus seinem kostbar renovierten Quartier in Downing Street nur herauszerren kann, wenn er k.o. in den Seilen hängt. 

Foto: Top Gear/Screenshot

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 07.06.2022

Irgendwer will die Welt brennen sehen. @ F. Johnson Schön geschrieben. Natürlich gibt es so viel, was man bewahren sollte, anstatt es immer wieder kaputt zu schlagen. Das Problem am Krieg, am Aufbauen und Kaputtschlagen, ist, dass man damit soviel Geld verdienen kann. PS.: Zu unlängst. Bulgakow schätze ich ebenfalls sehr. Ruf mal die Miliz ist mir allerdings unbekannt, ich finde es auch nicht. Neben dem “Meister” schätze ich besonders “Das hündische Herz” und “Die verfluchten Eier”. Bei Chandler stört mich nur eines: Der Mann hat zu wenige Bücher geschrieben.

Chr. Kühn / 07.06.2022

So etwas wäre der Unseligen aus der Uckermark nicht passiert! Sie geht wieder einmal als Sieger (m/w/d) vom Platz, obwohl sie gar nicht mehr mitspielt…oder so ähnlich.

Gabriele Schäfer / 07.06.2022

Ich liebe und bewundere die Briten, wegen Ihres Nationalstolzes, der ( doch immer noch vorhandenen) Begeisterung für „ ihr Königshaus“, ihre Freude am „ Lieder- und Hymnen-Singen“, ihre Bereitschaft, das ganze Land in einem Flaggenmeer zu ertrinken. Herrlich! Wer an Weihnachten in London war, hat keinerlei kommerzielle Einschnitte in den Kaufhäusern gesehen, im Gegenteil! Ein Riesenangebot an Mode, Kosmetik, Lederwaren und vor allem lukullischen Köstlichkeiten. Da steht das ärmliche, verdreckte Deutschland mit seiner maroden Infrastruktur, ganz bescheiden da. Aber mischt mit seinen ( nicht mehr vorhandenen) Euronen in der ganzen Welt mit! Umgewandeltes Zitat von Marie-Antoinette: ..“ Sollen sie doch Dreck fressen“....

Rainer Niersberger / 07.06.2022

“Fast noch interessanter” als Herr Johnson ist die bereits kolportierte Nachfolge von Frau Faeser in Gestalt von Frau Chebli.  Ich bewundere die Fähigkeit, sich mit (vermeintlichen) Personal fragen im Ausland, hier in GBR, zu befassen, waehrend hier alles, tatsaechlich auch wirklich alles ins Bodenlose abrutscht, der totale Verfall, sichtbar unter anderem an den Personalien, relativ gelassen zur Kenntnis genommen wird. Noch ist mir das “Personal” dieser Republik naeher oder wichtiger und im Vergleich dazu ist Herr Johnson trotz gewisser Schwächen geradezu ein Ausbund an Kompetenz.

Frances Johnson / 07.06.2022

Der Toni sieht übrigens aus wie eine Kuh auf dem Tanzboden in seinen Nadelstreifen mit Weste. Man hätte ihm das Landwirtschaftsministerium geben sollen, dann hätte er sowas nicht nötig. Die Grünen zimmern gerade an ihrem Sarg. Atomkraft für friedliche Zwecke ist nicht so gefährlich, wie sie den Schafen im Land aufgebunden haben, Atomkraft auf Trägeraketen ist eine ganz andere Sache.

Frances Johnson / 07.06.2022

Boris, wenn er was geschrieben hat, hatte nachgedacht. In seiner Funktion als Bürgermeister von London oder als PM scheint das oft absent zu sein, und das ist recht traurig bei einem in Oxford ausgebildeten sehr intelligenten Mann. Ich wurde kürzlich in einem Wagen durch ganz London gefahren, und es ging mir auf, was für eine überaus schöne Stadt das insgesamt ist mit diesen vielen schönen nicht zu hohen Häusern, den Parks und den Bäumen und dem blühenden Flieder, mal abgesehen von ein paar Vierteln jenseits der Themse mit den üblichen Problemen. Er sollte mal eine Auszeit nehmen ohne seine seicht wirkende Frau, und darüber sinnen, ob die Kriegstreiberei so sinnvoll ist. Ich meine, dass Bomben auf Trägerraketen fliegen und durchaus auf irgendeiner schönen britischen Stadt landen können, übrigens auch auf einer amerikanischen, wenn denen dort drüben ganz die Sicherungen durchbrennen sollten. Und das wegen einem Zipfel von einem großen Land,  einem Zipfel namens Donbass. Das Risiko ist zu hoch. Die Ukraine sollte kapitulieren und den Zipfel loslassen. Vielleicht kommt er eines Tages zurück. In D dauerte das gute vierzig Jahre. Wir haben hier jedenfalls einiges zu behüten, wofür russische und chinesische Touristen zu uns reisten. London, Paris, Oslo, Stockholm, Amsterdam, Hamburg, München, Berlin, Heidelberg, Bamberg, Aix-en-Pce. Bordeaux und natürlich die Perlen in Spanien und Italien. Die Russen schätzen die auch, Putins eine Tochter hat mal in Amsterdam gelebt. Aber dass ihnen völlig die Sicherung durchbrennt, kann man nie ausschließen. Die Nazis haben völlig sinnlos ein Dorf in Devon bombardiert - ich habe das besichtigt - weil sie einige Bomben “übrig” hatten und die Kathedrale von Coventry, ein Juwel. Die Briten haben dafür völlig sinnlos Dresden bombardiert. Er sollte nachdenken. Der Zipfel ist das Risiko nicht wert, und man sollte das Risiko minimieren. Den Toni kann man in der Pfeife rauchen. Ich kenne einen fähigen Türken, der denkt über einen Rückzug nach.

Christa Born / 07.06.2022

Richtig lustig wirds im ÖRR Aquarium wenn der Trump wieder antritt! Solange muss halt der Boris noch den Schurken geben.  Freu mich jetzt schon auf die Schnappatmung der Bewohner*Innen, sehn dann immer aus wie empörte Clownfischchen.

Volker Kleinophorst / 07.06.2022

Wenn unsere “Qualitätsmedien” Johnson verteufeln, muss der Mann was richtig machen.

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