Alexander Wendt / 13.10.2015 / 06:30 / 6 / Seite ausdrucken

Bescheidener Vorschlag zur Verbesserung der Lage in Deutschland

Wieviele Einwanderer in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, weiß niemand genau. Die Bundeskanzlerin sagte kürzlich bei ihrem Fernsehauftritt, sie wolle sich „nicht an Statistiken beteiligen“.  Nach groben Schätzungen gibt es derzeit rund 300 000 unregistrierte Asylsuchende, von denen weder bekannt ist, wer sie sind, noch wo sie sich aufhalten. Bis zu ihrem so genannten Erstgespräch, also der Gelegenheit, Namen und Asylgrund zu Protokoll zu geben, müssen Neuankömmlinge bis zu neun Monaten warten. Da es die Bundeskanzlerin nicht schaffen will, die deutsche Südgrenze wieder kontrollieren zu lassen, sondern sich nur sicher ist, dass wir alle bewältigen, was aus der praktischen Grenzaufhebung folgt, strömen täglich weitere Migranten ins Land. Andererseits schiebt außer Bayern kaum ein Bundesland endgültig abgelehnte Asylbewerber ab. Bremen führte in diesem Jahr 30 Einwanderer mit Behördengewalt wieder aus Deutschland, Thüringen 161. Allein im Juli kamen in Thüringen 2067 neue Asylsuchende an. Der für Migration zuständige Thüringer Minister Dieter Lauinger (Grüne) sagte, er setze eher auf freiwillige Ausreise. Die sei auch kostengünstiger als eine Abschiebung.

Seine Idee, den Vollzug des geltenden Rechts durch Freiwilligkeit zu ersetzen, sollte zügig auf andere Lebensbereiche ausgedehnt zu werden. Würde der Staat dazu übergehen, Bürger ihre Steuerschuld selbst schätzen und überweisen zu lassen, dann entfiele die teure und zeitaufwendige Bearbeitung von Steuererklärungen. Mahnverfahren wären unnötig. Dass es so wesentlich billiger ginge, liegt auf der Hand. Außerdem werden die Finanzamtsgebäude zur Unterbringung weiterer Einwanderer gebraucht.

Zwar könnten „Kräfte der Finsternis“ (J.Augstein) argwöhnen, nach dieser Umstellung des Steuersystems würde weniger Geld in den öffentlichen Kassen landen als vorher. Das hieße allerdings, Millionen Steuerzahler unter Generalverdacht zu stellen. Außerdem existiert keine Statistik, die belegt, dass Bürger freiwillig weniger abgeben würden als unfreiwillig. Vielmehr müssen sich die Panikmacher fragen lassen, was sie mit ihrer unbelegten Behauptung bezwecken.

In den vergangenen Tagen hat Angela Merkel uns mehrfach versichert, dass sie weiß, was sie tut, auch wenn sie vielleicht nicht jede Zahl parat hat. Nach den Worten der Kanzlerin geht es auch weniger um Zahlen als vielmehr um Zuversicht, Vertrauen und Glaube.

Jetzt ist die Zeit gekommen, um aus umgekehrter Richtung um Vertrauen zu werben. Liebe Angehöre der politischen Klasse, begreift es als Chance, die teure und umständliche Steuerzahlungspflicht endlich hinter euch zu lassen. Das System stammt noch nicht mal aus dem 19. Jahrhundert, es ist sogar deutlich älter, hoffnungslos überholt und nicht zukunftsfähig. Nicht nur die Finanzämter, auch riesige Ressourcen würden frei, wie die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie jederzeit belegen könnte. Vertraut uns Einwohnern! Glaubt daran, dass wir vernünftig handeln.

Ich finde, die Kanzlerin sollte schon wissen, wer ihre Bürger sind.

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Leserpost

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Wilfried Paffendorf / 13.10.2015

Guter Vorschlag, lieber Herr Wendt: Den Staat an sich abschaffen und den Bürgern überlassen, ob sie Steuern zahlen wollen. Ordnungskräfte zur Durchsetzung von Gruppeninteressen könnten die einzelnen Interessierten privat organisieren. Ebeno müssen die Polizei, die Schulpflicht, die Ausweispflicht, die GEZ, die StVO, das StGB, das BGB u.v.a.m. abgeschafft werden. Sozialleistungen werden nur noch auf freiwilliger Basis und an Zugehörige der einzelnen Gruppen gewährt. Abgeschafft werden muss auch die Kirchensteuer, die Umsatzsteuer, die Lohn- und Einkommensteuer. Straßen und Wege werden regional gebaut und Maut-pflichtig. Der Aufbau bewaffneter Kräfte wird endlich Gruppeninteressen überlassen. Das würde die internationalen Rüstungsindustrien freuen. Aber keine Sorge: Alle Menschen sind “gut” und ihr Handeln wird seit je her und ausschließlich von edlen Motiven und der Vernunft bestimmt. Der Traum aller radikalen Linksideologen und Weltbeglücker wird endlich wahr. Anarchie ist machbar, Herr Nachbar! Bakunin & Co. lassen grüßen! Oder bin ich jetzt auf dem falschen Dampfer unterwegs?

Gerhard Sponsel Lemvig / 13.10.2015

Den Krankenkassenbeitrag und vorallem die Zwangsbeiträge in den Kammern und die GEZ-Gebühren werden natürlich auch der Selbsteinschätzung überlassen. Die Kanzlerin hat eben tiefsten Vertrauen in ihr Volk.  Ist das nicht großartig ?

Max Wedell / 13.10.2015

P.S. Finanzbehörden und Polizei behindern übrigens auch in ganz hohem Maße eine Hauptfunktion des Staates: Sympathisch zu wirken!

Helfried Richter / 13.10.2015

Ein phantastischer Vorschlag. Nur für den recht unwahrscheinlichen Fall, daß Merkel und Schäuble Angst davor haben, daß bei freiwilliger Steuerzahlung zu wenig rüberwächst: Dann rufe ich Ihnen zu: “Angst ist ein schlechter Ratgeber” Zitat von Merkel, 3. September 2015 in der Schweiz.

Max Wedell / 13.10.2015

Herr Wendt, das ist ein Vorschlag, der schon längst überfällig war. Daß das System, bei dem der Staat mit akribischer Hinterherschnüffelei hinter jeder Einzelperson die Steuern selber eintreibt, überhaupt nicht funktioniert, zeigen doch die Schätzungen der Beträge, die jährlich an Steuern hinterzogen werden. Es ist reinweg unmöglich, Steuerhinterziehungen zu verhindern, und deswegen wäre es nur rational, wenn der Staat auch alle seine vergeblichen Bestrebungen endlich aufgibt, die Steuern selber vollständig einzutreiben. Und überhaupt… Haben die Menschen in jedem Einzelfall einer Steuerhinterziehung nicht gute, nachvollziehbare Gründe, Steuern zu hinterziehen? Ich sehe ähnliche Geldverschwendung wie im Steuersystem übrigens auch bei der inneren Sicherheit. Die hohen Dunkelziffern in der Kriminalität, die teils sehr hohen Raten an unaufgeklärten Fällen zeigen doch deutlich, daß es nicht praktikabel ist, mit Spezialpersonal namens Polizei akribisch hinter jedem einzelnen Fall hinterherzuschnüffeln… Hinzu kommt, daß im Einzelfall oft auch sehr verständlich ist, wieso der oder die Betreffende extralegal handelte. Der Größenwahn, der hinter der Idee Polizei steckt, und der in der Realität nicht funktioniert, wie die Dunkelziffern klar aufzeigen, sollte uns langsam mal klar werden, und wir sollten die Polizei daher abschaffen… was das an Aufwand und Geld spart! Wir sollten daher künftig darauf setzen, daß sich Straftäter freiwillig stellen, denn das ist sehr viel kostengünstiger als ihnen hinterherzuschnüffeln. Aber es sind nicht nur die großen Themen, die Riesen-Einsparpotential haben. Wer seinen Führerschein mal vorzeigen muß, aber sagt “Ich habe meinen Führerschein verloren”, sollte umgehend und ohne weitere Nachprüfungen einen neuen ausgestellt bekommen. Alternativ wäre auch die Abschaffung des Führerscheins zu erwägen, denn wie die vielen Fälle des Fahrens ohne Führerschein zeigen, ist die Idee des Führerscheins an sich ja schon unsinnig und kann nicht funktionieren. Und überhaupt… ist es nicht völlig verständlich, ohne Führerschein fahren zu wollen? Wer von uns wäre nicht gern schon ohne Führerschein gefahren?

Gerhard Sponsel Lemvig / 13.10.2015

Die Freiwilligkeit muß natürlich auch für die Krankenkassenbeträge gelten.

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