Herbert Ammon, Gastautor / 21.11.2020 / 10:30 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

Berg-Karabach: Vernehmliches Schweigen

Wenn in diversen Regionen des Globus Kriege oder als "Bürgerkrieg" klassifizierte, blutige Konflikte eklatieren, kommt es hinsichtlich deren weiteren Verlaufs nicht unwesentlich darauf an, wie die Regierungen, Medien und NGOs im Westen darauf reagieren. Ein jüngstes Beispiel ist der Krieg im Kaukasus, der im September 2020 mit dem Angriff Aserbaidschans auf die – nach einem zwei Jahre währenden Krieg und Vertreibung von mehr als 600.000 "Aseris" 1994 von Armenien de facto angegliederte – Region Berg-Karabach begann. Ausgestattet mit modernstem Kriegsgerät – Drohnen aus der Türkei und Israel – wählte der aserbaidschanische Präsident Ilhan Alijew den politisch günstigsten Moment für den Revanchekrieg. Dieser endete nach sechs Wochen mit einer vollständigen Niederlage der militärtechnisch unterlegenen Armenier und mit einem am 10. November von Russland als "Vermittler" durchgesetzten Waffenstillstand.

Dessen Vereinbarungen besiegeln die Gebietsgewinne Aserbeidschans, festigen die Position Russlands im Kaukasus und öffnen der Türkei einen Korridor durch Armenien zur turksprachigen "Brudernation" am Kaspischen Meer. Verfügt Russland bereits seit 1992 in Armenien wieder über Militärbasen, so haben sich nach dem jüngsten Krieg, dem Putin über Wochen hin ungerührt zusah, die geopolitischen Gewichte im Kaukasus erneut zu seinen Gunsten verschoben. Angesichts der so geschaffenen Fakten befürchtet man nun auch in Georgien, wo anno 2009 der "westlich" orientierte Präsident Micheil Saakaschwili fahrlässig einen Krieg mit Putin riskierte, den Verlust der prekären Unabhängigkeit und die erzwungene Rückkehr ins russische Imperium.

Unzählige Opfer, gefallene Soldaten und getötete Zivilisten, haben dieses Mal die Armenier zu beklagen. Brennende Häuser, die Flüchtlinge ohne Hoffnung auf Rückkehr selbst angesteckt haben, illustrieren den Fortgang der kaukasischen Tragödie.

Analyse des traurigen Geschehens

Angesichts dieser Szenen stellt sich die Frage, warum während der vergangenen Wochen in Europa, insbesondere in Deutschland – außer eines schwachen Appells des Bundestags – von allgemeiner Entrüstung über Krieg und unschuldiges Leiden wenig zu spüren war. In den Medien okkupierte der amerikanische Wahlkampf und die Entrüstung über Donald Trump, der seine Niederlage nicht eingestehen will, die Seenotrettung im Mittelmeer sowie der islamistische Terror die Berichterstattung. Darüber geriet der Krieg im Kaukasus offenbar in eine Randlage. Dass in der Rede zum "Volkstrauertag", in der Bundespräsident Steinmeier das Totengedenken über den nationalen Rahmen an alle Opfer von Hass, Gewalt und Krieg auszuweiten bestrebt war, jegliche Konkretion fehlte, mag in dem nunmehr universalen Anspruch des deutschen Trauerns begründet sein.

Zwar brachte Außenminister Heiko Maas Besorgnis zum Ausdruck und mahnte die Kriegsparteien zum Frieden. Davon abgesehen übte sich die Bunderegierung in Zurückhaltung. Es wird vermutet, dass Merkel ihr wackeliges "Flüchtlingsabkommen" mit Erdogan nicht weiter gefährden will. Es mag offen bleiben, ob sich Merkel auch an Macron orientierte, der in all den Wochen nicht einziges Mal Frankreichs historische Rolle als westliche Schutzmacht der Armenier in Spiel brachte. Immerhin verhängte Macron ein Verbot der "Grauen Wölfe", die im Lande Hass auf Armenier verbreiteten. Ansonsten allgemeines Schweigen im Westen. Die Erklärung ist leicht zu finden: Man will nicht riskieren, Erdogan – ungeachtet seines Zusammenspiels mit Putin – zu verärgern und die Militärmacht Türkei, noch immer Eckpfeiler der NATO im östlichen Mittelmeer, als Bündnispartner zu verlieren. Diskret übergeht man die Kooperation Israels mit Aserbaidschan, während Armenien aufgrund seiner geographischen und politischen Nähe zum Mullah-Regime im Iran nicht auf Sympathien rechnen darf.

An den realpolitischen Fakten kommt die Analyse des traurigen Geschehens nicht vorbei. Das Nichthandeln des Westens wird dadurch verständlich. Unverständlich bleibt das Schweigen all derer, die in jedem anderen Fall kriegerischer Gewalt als Mahner zum Frieden die Stimme erheben. Wo bleiben die Kirchen? Warum hüten sie sich vor Worten, die als Parteinahme verstanden werden könnte?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Globkult.

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Leserpost

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Dr. med. Jesko Matthes / 21.11.2020

Ich verstehe nicht, was so viele an dem Artikel herumzumeckern haben. Selbstverständlich konnte Russland als “Friedensmacht” seinen Einfluss in der Region erheblich ausbauen, ohne selbst in größerem Maßstab eingreifen zu müssen. Armenien ist geschwächt, Aserbaidschan, der “Sieger”, aber genau damit wieder näher in den Einflussbereich Russlands geraten, Erdogan hat sich gegenüber dem “Brudervolk” und zuhause außenpolitisch und militärisch profiliert, muss jetzt aber ebenfalls mehr Rücksichten auf Russland nehmen, weil dessen Einfluss auf Armenien gestiegen ist. Auch Georgien sieht sich von Norden und Süden wieder stärker in der russischen Zange. Armenien pflegt wie Russland gute Beziehungen zum Iran, und damit dürfte der ganze Kaukasus sich von einer Unabhängigkeit von Russland noch weiter entfernt haben. Und Moskau sucht gleichzeitig ein gutes Arrangement mit Ankara, um die NATO zu schwächen. “Corona” und das US-Interregnum bildeten für all das eine günstige Gelegenheit. - Dagegen stehen das menschliche Drama und die Demütigung, armenische Dörfer aufgeben und gedanklich zwischen Flucht und Pogrom wählen zu müssen wie in der Türkei ab 1915. Eine vernünftige Reaktion der NATO könnte wahrscheinlich nur der Spagat sein, Griechenland, Rumänien, Bulgarien und der Türkei den Rücken zu stärken - und dabei Hegemonialansprüche der Türkei behutsam einzuhegen, um Russland zu demonstrieren, dass das Bündnis hält. Deutschland ist hierbei als militärische Null und migrantisches Hauptziel auch der Ostroute schlicht bedeutungslos. Diese Rückbesinnung auf die eigene Bedeutungslosigkeit ist das einzig Positive, das ich in der Tragödie zu erkennen vermag; sie rückt die Moralmaulhelden in Berlin an ihren eigentlichen Platz, den Katzentisch.

Giovanni Brunner / 21.11.2020

Leider kann ich Ihrer aus meiner Sicht unausgereiften Analyse nichts abgewinnen. Eine politische Nähe Armeniens gegenüber dem MullahRegime im Iran - wirklich nett. Abgesehen davon erklären Sie uns aufmerksamen Lesern nirgendwo, wieso der russische Präsident Vorteile aus der Situation im Kaukasus ziehen sollte. Sie bemängeln auch mit der Begründung Erdogan, dass sich Russland, ich nehme an Sie meinen militärisch eingemischt hätte. Aha - hätten sie das, würde ich gerne sehen, was Sie dann geschrieben hätten.

K Bucher / 21.11.2020

Wozu die Aufregung ? Passt schon so läuft doch eh Alles nach Plan .Aber nicht nur Putin der STOLZE Moscheen Eröffner alias pseudo Hobby Islamist und Kriegs Material Verkäufer -Quelle you tube +++ DW | Putin eröffnet Moschee in Moskau+++und der Sultan vom Bosporus sind Sieger sondern vor Allem der ISLAM und seine 57 Islam Staaten sind DIE SIEGER ,und wieder ein weiterer Erfolg in dieser Unglaublichen Erfolgsgeschichte ,Die wo Eigentlich jeder Beschreibung spottet Quelle : you tube +++Islam: eine Mords-Ideologie—-: 548 Schlachten mit 278 Millionen Toten+++Und mal Ehrlich kommt es jetzt da auf eine Schlacht mehr oder weniger auch noch darauf an ? . Abgesehen davon was im 21 Jahrhundert passiert ist , nur als Beispiel 9/11 und vieles weiteres ? Und Die Antwort darauf kann man inzwischen Tag Täglich in gewissen Medien Lesen .

Dr. Hans Christ / 21.11.2020

Eine alte Fabel über Anbiederung: “Ich bringe Dir das Beste,  das ich habe”,  sagte die Maus zur Katze, “ein Stück Käse!” Dummerweise fraß  die Katze nicht den Käse,  sondern die Maus. Die politische Haltung der EU,  respektive Deutschlands,  ist nur mehr ein beschämendes Schaustück hohler Phrasen und Duckmäusertums,  wenn es um die Verteidigung angeblicher Werte geht.  Gewiss gibt es Feindbilder, die man öffentlichwirksam an den Pranger stellt wie Polen und Ungarn (sind ja auch konservativ regiert),  ein Westentaschendiktator und Kriegstreiber wie Erdogan fällt nicht darunter.  Während die “befreundete” USA das Nordstream-Projekt durch offene wirtschaftliche Erpressung zu torpedieren versucht,  wird Russland Interventionismus im eigenen Interesse vorgeworfen bzw. sanktioniert. Matthäus, 7/15 : Hütet Euch vor vor falschen Propheten! Kann ich als Agnostiker nur unterschreiben!

Burkhard Mundt / 21.11.2020

Keine EU-Sanktionen gegen die Türkei. Shame on you, EU und Israel. Eines Tages vereinigen sich Türkei und Aserbaidschan zum Großtürkischen Sultanat. Armenien wird eliminiert werden.

Frank Volkmar / 21.11.2020

Armenier sind Christen und Aserbaidschaner Muslime. Das dürfte einer der Gründe sein. Der andere Grund dürfte die Wahl zwischen Faktum und “Sau” sein. Da man sich schon vor längerer Zeit entschieden hat nur noch Sauen durch Dörfer zu treiben, spielt die reale Welt wie zum Beispiel dieser historische Konflikt mit unter anderem Massakern an Armeniern, nur noch eine untergeordnete Rolle.

F. Auerbacher / 21.11.2020

Und was, verehrter Herr Ammon, hätte Deutschland denn tun sollen?

Albert Pflüger / 21.11.2020

Hier wird die trump’sche Wahlniederlage wie eine Tatsache behandelt, die der nur nicht eingestehen wolle. Kann man sich vielleicht, wenigstens außerhalb der Propagandamedien, daran gewöhnen, daß erst nach dem Votum der Wahlmänner ein neuer Präsident ausgerufen werden kann? Aus dem Artikel wird mir auch überhaupt nicht klar, worin für Putin der Gewinn liegen soll, wenn die Türkei einen Korridor bekommt ans Kaspische Meer. Er ist ja bisher nicht gerade als Erdogan-Unterstützer in Erscheinung getreten.

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