Herbert Ammon, Gastautor / 30.04.2024 / 14:00 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

Der deutsche April

Zu Frohsinn besteht in diesen schönen Frühlingstagen wenig Anlass. Der zu Ende gehende Monat warf ein paar bezeichnende Schlaglichter auf den Zustand des Landes. 

Die Verszeile "April is the cruellest month" schrieb T.S. Eliot in seinem Gedicht the „The Waste Land". Tatsächlich mochte der keineswegs ungewöhnliche Wintereinbruch Klimaskeptikern (a.k.a. „Klimaleugner") für ein paar Tage ein schwaches Argument liefern. Doch ging es T.S. Eliot nicht um die unberechenbare Natur, sondern um Selbstreflexion und den geistigen Zustand des Abendlands nach dem Großen Krieg. Mehr als hundert Jahre nach seiner Entstehung erweist sich das Poem in seinen so düsteren wie bitter-ironischen Passagen im Blick auf die gründeutschen Lande, auf EU-Europa und die Außenwelt als zeitlos aktuell. 

Als erstes fällt uns, die schon länger hier leben, das Erscheinungsbild deutscher Großstädte ins Auge: Vermüllte Bürgersteige und Bushaltestellen, „Graffiti“, sprich Schmierereien, allerorten, an frisch getünchten Fassaden, an den Rollläden noch bestehender oder leer stehender Geschäfte, an U-Bahn-Waggons, an Straßenschildern, Briefkästen usw., dazu monokulturell verhüllte Frauengestalten inmitten des multikulturellen Gewoges auf Straßen und Plätzen und eine wachsende Zahl von Obdachlosen in schmuddeligen Schlafsäcken unter Brücken und Unterführungen.

Als nächstes kommen andere Phänomene des politischen Alltags in den Sinn: die Statistiken zu Wirtschaft und Finanzen, zu Demographie und Sicherheit. Mit einem auf knapp über null Prozent geschrumpftem Wachstum befindet sich Deutschland am unteren Ende der Skala in Europa. Die Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienennetz) liegt darnieder, das flache Land leidet an fehlender Verkehrsanbindung, Ärztemangel und dergleichen. Die Staatsschulden liegen mit 2,6 Billionen Euro exorbitant hoch, die deutschen Privatvermögen hingegen niedriger als anderswo. Das Rentensystem ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar, die Geburtenquote ist 2023 mit 1,46 Kinder pro gebärfähiger Frau erneut gesunken, während die registrierte Zahl der Abtreibungen anno 2023 mit 106.000 gegenüber dem Vorjahr erneut gestiegen ist. Die – um petty crimes bereinigte – Kriminalitätsrate ist seit 2015 zwar gesunken, doch ist eine "neue Gewaltdynamik" (FAZ v. 08.04.2024, S. 1) zu verzeichnen, die – um politisch unerwünschte Nachfragen zu vermeiden – statistisch nicht weiter aufgeschlüsselt wird. 

Missmut und Mahnungen

Ungewissheit überlagert die große Politik. Wie es im Gaza-Krieg – und danach – weitergehen soll, weiß Israels Ministerpräsident Netanjahu womöglich selbst nicht. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht abzusehen. Besorgnis bereitet die schwindende Widerstandskraft der Ukraine, während Putin eine Sommeroffensive vorbereitet. Damit schwinden von Tag zu Tag Aussichten auf einen Waffenstillstand, der von realen oder vermeintlichen „Putinverstehern“ beschworen wird. 

Mehr noch: Wir („Wir“ – der peinlich kollektivistisch, „rechts“ klingende – Titel des Buches unseres Bundespräsidenten), wir, die friedensgewohnten Deutschen, werden von dem – laut Umfragen – populären Verteidigungsminister Pistorius ermahnt, wieder „kriegstüchtig“ zu werden. Ob „wir“ – gemeint ist die Bundesregierung unter Kanzler Scholz – bereit sind, die von Selenskyj geforderten „Taurus“-Raketen zu liefern, um Putins Sieg zu verhindern, hängt nicht von „uns“, sondern vom politisch-strategischen Kalkül der westlichen Führungsmacht USA und unserer NATO-Verbündeten ab. Immerhin gibt es auch in und außerhalb der Ampelregierung hinreichend Befürworter einer – naturgemäß als defensiv deklarierten – Eskalation der Kriegstechniken zum Schutz der Ukraine. Wie reagiert der Westen, wenn sich der militärische Zusammenbruch der – in Teilen kriegsmüden – Ukraine abzeichnen sollte? 

Kurz: Zu Frohsinn besteht in diesen schönen Frühlingstagen wenig Anlass. Was den Missmut befördert, sind die wie stets auf Kritiklosigkeit des Wahlvolks zielenden Plakate der Parteien zur Europa-Wahl im Juni. Die Banalität der Slogans (SPD: „Mitte, Maß und Frieden“; In Stadt und Land – und Wir-Gefühl (sic!) Grüne: „Klima schützen, Wirtschaft stärken“; CDU: „Europa braucht uns“, FDP mit Konterfei von Strack-Zimmermann: „Europas Rückgrat“ usw.) soll über die Fehlentscheidungen, Unterlassungen und Anmaßungen deutscher Politik seit der Ära Merkel – Nährstoff der „in Teilen rechtsextremen“ AfD – hinwegtäuschen. In zentralen Fragen – obenan Migration, Energiegewinnung, innere und äußere Sicherheit – hat die etablierte Politik seit langem an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verloren. 

In deutschen Feuilletons vertrocknet

Last but not least geht es um den Kern der immer deutlicher werdenden Misere. Ungeachtet des historischen Glücksfalls der Wiedervereinigung fehlt es der deutschen res publica – entgegen aller Betonuung „unserer Werte“ – an innerer Substanz. Sinnfällig wurde die geistige Leere der Bundesrepublik beim jüngsten Staatsbesuch des Bundespräsidenten, als er dem türkischen Präsidenten Erdogan als Gastgeschenk einen gefrorenen Dönerspieß überreichte. Dass sich hierzulande niemand über diese peinliche Geste mokierte, bestätigt nur das Bild – das beschädigte Selbstbild – eines waste land.

So führt jegliche Betrachtung der deutschen Gegenwart auf den von Deutschen inszenierten „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) im Zweiten Weltkrieg zurück, der wiederum – von seinen tiefliegenden ideologischen Wurzeln abgesehen – aus der europäischen Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs hervorging. Im Zeichen der jüngsten ideologischen Mode der decolonization, die – bittere Ironie – de facto in der radikalen Kriminalisierung der neuzeitlichen Geschichte Europas die geschichtliche Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen relativiert, ist nicht zu hoffen, dass es noch zu einer Regeneration des „öden Landes“ in der Mitte Europas kommen könnte. In den Bologna-Universitäten Westeuropas und in den deutschen Feuilletons vertrocknet alles, was nicht lila-grün-wokem Saatgut entsprungen ist. 

 

Herbert Ammon, geb. 1943 in Brieg (Schlesien), ist ein deutscher Publizist, Historiker, Studienrat a.D. Er engagierte sich in den 1980ern in der damaligen Friedensbewegung, u.a. als Repräsentant des „Offenen Briefes“ des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. 1981 zusammen mit Peter Brandt Herausgeber des Buches „Die Linke und die nationale Frage“. Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa.

Foto: Pixabay

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Sigrid Leonhard / 30.04.2024

“Das Rentensystem ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar, die Geburtenquote ist 2023 mit 1,46 Kinder pro gebärfähiger Frau erneut gesunken, ” 1. Das Rentensystem ist so was von finanzierbar, wenn endlich andere Mondscheinausgaben gecancelt wären. 2. Die Geburtenquote der schon seit langem hier lebenden Frauen wird und wurde schon seit Jahrzehnten mit Absicht versucht gegen Null zu lenken.

Fridolin Kiesewetter / 30.04.2024

“Ein Land, das seine Vergangenheit nicht ehrt, hat keine Zukunft.”  Joh. Wolfgang Goethe

Dolph Steinert / 30.04.2024

Statt verteidigungsfähig müssen wir lt. Herrn Pistorius jetzt “kriegstüchtig” werden. Pistorius ist jetzt also nicht mehr Verteidigungsminister, sondern zum Kriegsminister aufgestiegen.

Klara Altmann / 30.04.2024

“Mehr noch: Wir („Wir“ – der peinlich kollektivistisch, „rechts“ klingende – Titel des Buches unseres Bundespräsidenten), wir, die friedensgewohnten Deutschen, werden von dem – laut Umfragen – populären Verteidigungsminister Pistorius ermahnt, wieder „kriegstüchtig“ zu werden.” Das ist auch so etwas, was ich wirklich nicht verstehe, bei wem genau sollte Pistorius denn beliebt sein? Haben sie in seiner Verwandtschaft gefragt oder bei seinen Schulfreunden? Das ist so wie bei all den damaligen Umfragen zur Beliebtheit Merkels. Die fielen alle immer gleich gut aus, aber ich kannte praktisch niemanden, der diese Frau nur im Ansatz schätzte. Und was sollte Pistorius populär machen, seine Versuche, uns auf einen Krieg vorzubereiten, der faktisch unser programmierter Untergang wäre? Und dann diese Floskeln mit der “in Teilen rechtsextremen” AfD, pardon, ich bin dessen so müde. Ich sah und hörte die Tage Wagenknecht sinngemäß sagen, sie sei keine Linke mehr, wenn links sein das bedeutet, was uns unsere “linken” Altparteien so fordern und zeigen, so geht es doch wirklich vielen. Sie machen uns nicht den Hauch eines Angebots, außer zu schuften und sinnlos schikaniert zu werden und beschimpfen dann unsere einzige Hoffnung als rechtsextrem. Als wären wir selbst nicht urteilsfähig. Mit Verlaub, es ist genau andersherum - die Erwachsenen, das sind wir. Ihr aber, ihr seid die unmündigen Kinder.

Lutz Liebezeit / 30.04.2024

sorry, nicht “verfassungswidrig”, “völkerrechtswidrig” war gemeint

Lutz Liebzeit / 30.04.2024

@ Thomin Weller - Angela Merkel hat 2003 George W. Bush bei der Vorbereitung eines Angriffskrieges tatkräftig unterstützt. Es gab damals einen Skandal, denn Peter Müller, Ex-Ministerpräsident und Justizminister des Saarlandes, war empört und bezeichnete den Krieg als verfassungswidrig und kompromittierte Merkel und Bush damit. Auch der Chef der UNO, Kofi Annan, sagte, der Krieg sein “illegal”. Kurz drauf änderte Müller seine Meinung, Merkel wollte sogar dt. Soldaten schicken (den Spiegel-Artikel gibt es noch), beide pilgerten nach Washington und versicherten Bush ihre Unterdstützung. Der Paragraph 80 StGB ist zwar 2017 einfach abgeschafft worden, aber das gilt nicht rückwirkend. Als Merkel und Müller sich für den illegalen Krieg im Irak einsetzten, war der $ 80 in Kraft. (im Übrigen sind da ja auch anderen interessante Paragrapen im StGB, mit denen Merkel und Müller aus dem Verkehr gezogen werden könnten). Schröder regierte düpiert und warf Merkel vor, sie sei ihm in den Rücken gefallen. Peter Müller wurde nach der Pilgerfahrt von der CDU wegen seiner herausragenden juristischen Qualifikationen zum Verfassungsrichter vorgeschlagen. Danke. / Wegen “Friedensverrat” könnte man die jedenfalls heute noch drankriegen, wie aktuell auch gewisse andere Kreise.

Irene Luh / 30.04.2024

Schon wieder die Argumentation, die anderen sind schuld (“westliche Führungsmacht USA”). So wird das nichts. Wer regiert denn in den USA? Wer hat vor den Wahlen die Wahlgesetze aufgeweicht, um Wahlbetrug einfacher zu ermöglichen, in besagter USA? Wer beging vorsätzlichen Wahlbetrug (Biden hat das zusätzlilch bestätigt auf Twitter, einen Monat vor den Wahlen im Nov. 2020)? Wieso werden die Gemeinsamkeiten zwischen Biden und Scholz negiert, nicht wahrgenommen? Wer kontrolliert die Medien in den USA? Wer etabliert einen Polizeistaat in den USA? Wer verfolgt die dortige Opposition? Wer führt Schauprozesse gegen die Opposition? Linkes, gottloses Gedankengut: das atheistische Weltbild dominiert, sitzt an der Macht und will nicht mehr von dort lassen. Wer hat kürzlich kundgetan, die Wahlen 2024 “könnten” die letzten dort sein? Der Vize hinter Biden, eine menschenverachtende Marxistin: Kamala Harris. ++ Biden cancelt, Biden verleumdet, Biden lässt verfolgen. Biden provoziert Kriege, Biden lügt, Biden ist erpressbar, Biden ist hochkriminell. Das ist ein offenes, nachprüfbares “Geheimnis”. ++ Die Mär, alle anderen haben uns diese Lage eingebrockt, kann logisch nicht ziehen. ++ Es wird Zeit sich eine neue Weltanschauung zu “kaufen”, anzueignen, denn Gott cancelt auch, Gott diskriminiert. ++ Wahr ist, wer sich auf den christlichen Gott verlassen will, schläft immer noch sehr gut. ++ Seit langer, langer Zeit steht geschrieben: das Aufbäumen aller Gottlosen ist vergeblich, keine Gemeinschaft wird lange bestehen, wenn diese gegen Gott arbeiten will. ++ Daß der Koran nicht von Gott stammen kann, ist logisch, hat sich aber in den Köpfen der Unzufriedenen nicht eingenistet. Das macht nichts, die Realität wird sie eines besseren belehren.

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