Lieber Herr Pöhlig, entschuldigen Sie bitte, aber da haben Sie ein bisserl Unsinn geschrieben. Wagner kann keinen Staub ansetzen, ebenso wenig wie beispielsweise die Asamkirche, nur weil Putten momentan aus der Mode sind. Kunstwerke von transzendentaler Größe brauchen nicht die Masse zur Bestätigung. Auch läßt Rockmusik vielleicht nicht die dramatische Wucht, aber doch eine gewisse Komplexität vermissen. Und das sage ich als treuer Type O Negative Fan. Herr Etscheid, danke, danke, danke. Warum ein Kunstwerk aus seinem historischen und sinngemäßen Kontext reißen? Wagners klanggewordene Mystik spricht durch die Zeiten die Zuhörer im Innersten an, aber wie die “richtigen” Religionsgemeinschaften glauben, sich an die Generation Videoclip ranwanzen zu müssen, versucht auch die Hochkultur, die Ausgaben für eine im Grunde genommen wirtschaftlich bald nicht mehr tragbare Kunstform durch sich immer peinlicher am Zeit(un)geist orientierende Inszenierungen doch noch irgendwie rechtfertigen zu können.
Kein Bericht zu Richard Wagner, der ohne den floskelhaften Hinweis auf seinen Antisemitismus auskommt. Das nervt nur noch. Warum tun Sie das, Herr Etscheit? Wo ist der Zusammenhang zu Ihrem Bericht aus Bayreuth? Käme jemand auf die Idee, Bruckner herabzusetzen, nur weil beim Tod Hitlers auf seine Anordnung hin der Reichsrundfunk den zweiten Satz aus Bruckners Siebter spielte? Und was konnte Franz Liszt dafür, daß die Wehrmachtsberichte mit seiner donnernden Fanfare aus Les Préludes eingeleitet wurden? Lassen wir das. Ansonsten habe ich Ihre Zeilen mit Interesse gelesen. Da scheint es in Bayreuth ja drunter und drüber zu gehen. Vielleicht wird es Zeit, daß die Flammen beim Weltende in der Götterdämmerung auch aus dem Bayreuther Festspielhaus schlagen. Und schade, daß es im Festspielhaus nicht zur Prügelei gekommen ist. Da hätte das Orchester dann schnell auf den zweiten Akt der Meistersinger umstellen müssen. Das wäre eine Gaudi gewesen! Und vermutlich interessanter als die gequälten Opernabende unserer Destruktivisten.
Nachtrag: für die gefallenen Held:Innen geht das Leben - nachdem sie von den Walküren nicht nur im übertragenen Sinne “abgeschleppt” wurden - in Wallhall erst richtig los.
In “Wagner” und “Wagnis” liegt eine Wortverwandtschaft. Ein Wagnis wäre es gewesen, wenn man/frau/div den Walkürenritt tatsächlich als Geschlechtsakt auf der Todeserektion der gefallenen Held:Innen in Szene gesezt hätte. Die beiden größten Mysterien der Menschheit - Liebe und Tod - brutalstmöglich in eine Szene hineinkomprimiert. Auch diese Gelegenheit “starke Bilder” zu erzeugen wurde versäumt.
Nein, Herr Etscheit, nur wegen einer verpatzten Inzenierung – im Falle des Rings derer vier – zerbröselt nicht der Mythos von Bayreuth. Es hat immer schon Regisseure gegeben, die dem Werk nicht gerecht wurden. 1983 zum Beispiel war ich in Bayreuth der Romantik“-Inzenierung des Engländers Peter Hall, der im Rheingold tausende Liter Wasser in ein Schwimmbecken füllen ließ, in dem sich die Rheintöchter dann vergnügten, ausgesetzt und nach dem Rheingold entsetzt die Restkarten verkauft und nach Hause gefahren. „The best is yet to come“ – Es wird sich schon wieder ein Regisseur finden, der das Bayreuther Publikum zu elektrisieren weiß. Ich war übrigens sehr überrascht, wie mich die letzten Lohengrin-, Meistersänger- und Holländer-Inzenierungen bereits als 3sat-Fernsehübertragung begeisterten. Es geht also doch. In einem aber muss ich Ihnen Recht geben: Auf in die Provinz! Ich habe in den vergangenen Jahren eine umwerfende und so schnell auch von großen Häusern nicht zu überbietende Ring-Aufführung in dem „kleinen“ Städtchen Minden erleben dürfen, in dem vermutlich kleinsten Theater, in dem jemals der Ring dargeboten wurde. Das wird für mich auch für die nächsten Jahre die „definitive“ Ringinzenierung bleiben. Komme da in Bayreuth, was wolle…
Der Fehler war einfach der, daß das Rheingold nicht mit Uran 235 etikettiert wurde (als umweltkritisches Element gegen die Laufzeitverlängerung) und Alberich daraus keinen Cockring schmiedete, den er hätte überziehen können vor den Augen des Publikums (als Hinweis auf die toxische Männlichkeit). Wie echte Wagnerianer:Innen wissen, wechselt der Ring seine/n Besitzer:In während der 4 Tage, sodaß der Überziehakt mehrfach zu sehen gewesen wäre. Die Besitzer:Innen währen dann nicht nur im übertragenen Sinne “verstrahlt”. Schade - eine Chance wurde vertan.
Sang man*in wenigstens genderkonform und konnten die Schau- und Sangesbarden*innen jederzeit das Geschlecht während der Aufführung wechseln? Nein? Welch Frevel an den Diversen*innen.
“... der privatim vielleicht ein sächselnder, antisemitischer Kotzbrocken gewesen ist ...” Bevor das so populistsich rausgehauen wird, sollte man bedenken, dass das heutige Verständnis von “antisemitisch” (- oder auch das der Nazis) nichts mit dem zu tun hat, wie damals über “die Judenfrage” gedacht und argumentiert wurde. Damals meinte man (- auch Wagner), dass die bewusste Aufrechterhaltung kultureller und ritueller Besonderheiten Integration unmöglich machte; man forderte die Integration durch Assimilation. Das hat mit den Rassenideen der Nazis und mit dem Anti-Israelismus der Linken nichts zu tun. Natürlich wird man aus heutiger Sicht die Forderung nach Abkehr von den kulturellen Besonderheiten ablehnen, in Deutschland wird ja sogar das Ziel “Integration” von Typen wie Ataman abgelehnt. Und auch Erdogan appelliert ja an “seine” Bürger in Deutschland, sich nicht zu integrieren, geschweige denn zu assimilieren. Vielleicht war Wagners (und anderer Zeitgenossen) Forderung nach Assimilation nicht so verkehrt. (Andererseits: Kulturelle und religiöse Assimilation schützte Juden nicht, als die National-Sozialisten mit ihrem Rassenwahn kamen.)
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