Es ist üblich, über Subventionen die Nase zu rümpfen. Sie gelten als Zuwendung, die ohne Gegenleistung gewährt wird und nur zu einer bequemen Bereicherung derer führt, die Subventionen erhalten. Dies Negativ-Urteil trifft in besonderer Weise die Agrar-Subventionen, insbesondere die flächenbezogenen Förderungsgelder. Das liegt offenbar daran, dass diese Subventionen existenzsichernde Subventionen sind – Basis-Subventionen, konservative Subventionen. Sie sind nicht auf irgendeine „Innovation“ gerichtet, auf die Entdeckung eines Neulands. Die sogenannte „Innovationsförderung“ kann Unmengen von Geld verbrennen, ohne in Verruf zu geraten.
Die neue EU-Kommissions-Vorsitzende von der Leyen verkauft ihren „Green Deal“ bekanntlich unter dem Markenzeichen „Das europäische Mondfahrt-Programm“. Natürlich könnten wir bei Subventionen auch vom Mantra „Mehr Geld für die Bildung“ sprechen, das trotz notorischer Erfolglosigkeit immer weiterläuft. Es bleibt ja immer eine offenbar unausrottbare Resthoffnung, dass da ganz neue Menschen mit ganz neuen Fähigkeiten entstehen.
Demgegenüber haben die Agrarsubventionen schlechte Karten. Sie können ehrlicherweise nicht den Titel „Zukunftsinvestitionen“ (im Sinn von etwas ganz Neuem) beanspruchen. Ihre Logik ist eher eine erhaltende Logik, eine Sockellogik, eine konservative Logik. Sie haben damit aber durchaus eine wichtige Funktion, die über ein rein privates Interesse der geförderten landwirtschaftlichen Betriebe hinausgeht.
Diese Subventionen sind Entlastungs-Investitionen. Sie entlasten zunächst die landwirtschaftlichen Betriebe von dem Zwang, im vollen Umfang ihre Bilanz über die Erzeugerpreise sicherstellen zu müssen. Diese Entlastung macht es möglich, dass die Verbraucherpreise und die Ernährungskosten der Bevölkerung nicht so stark steigen müssen, und weiter, dass diese Kosten nicht so stark in die gesamte Volkswirtschaft durchschlagen. Der Effekt der Agrarsubventionen endet also nicht in der Privatschatulle des Bauern.
Der Lebensmittelmarkt ist sehr wechselhaft
Man könnte natürlich im Sinne der Kostentransparenz („Kostenehrlichkeit“, „Kostengerechtigkeit“ sagen manche) kostendeckende, existenzsichernde Erzeugerpreise fordern. Aber meines Erachtens – aber ich bin mir da nicht vollkommen sicher – spricht einiges gegen den Weg, alle Schwierigkeiten und Mühen der Bewirtschaftung des Landes über Preise abzubilden und allein über Tauschbeziehungen am Markt zu organisieren. Die Frage ist ja hochaktuell: Man will die bisherigen Subventionen massiv kappen und verspricht den Bauern höhere Preise, die dann „irgendwie“ die großen Handelsketten oder halt die Endverbraucher zahlen sollen. Dass eine Preiswelle bei den Nahrungsmitteln die gesamte Branchenverteilung der Volkswirtschaft rückwärts drehen würde, verschweigt man.
Nehmen wir an, die Erzeugerpreise erhöhen sich stark. Kann der Handel diese Preiswelle auffangen und neutralisieren? Das ist sehr zweifelhaft. Es gibt tatsächlich sehr große Konzerne des Lebensmittel-Handels – aber das heißt nicht, dass die Spielräume bei ihnen gleichfalls groß sind. Denn es handelt sich nicht um Unternehmen in sicheren Positionen auf leicht beherrschbaren Märkten (was man im Volksmund „Gelddruckmaschinen“ nennt), sondern der Lebensmittelmarkt ist sehr wechselhaft mit komplexen Sortimenten, die ständig neu kalkuliert und komponiert werden müssen.
Die alternativen Formen (Genossenschaften, Kleinhändler, Hofläden...) sind nach aller Erfahrung nur für spezifische Funktionen günstiger, aber keine billigere Generallösung. Auch die Entwicklung der Verbraucherpreise in dieser Branche – im Vergleich mit anderen Branchen – scheint mir nicht dafür zu sprechen, dass hier so große Spielräume entstanden sind, wie sie zum Auffangen kostendeckender Erzeugerpreise notwendig wären. Wenn aber die Erzeugerpreise dort nicht aufgefangen werden können, müssten sie – wenn allein der Preismechanismus regiert – von den Endverbrauchern bezahlt werden. Das würde entweder zu Einbußen bei der Ernährung führen oder zu Streichung bei anderen Konsumausgaben – oder zu Lohnerhöhungen.
Das hat Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Was für die Ernährung mehr ausgegeben werden muss, fehlt als Kaufkraft für andere Produkte. Die große Verschiebung, die den Anteil der Nahrungsmittel an den Gesamtausgaben eines Haushalts im Laufe der letzten 100 bis 150 Jahre so sinken ließ, müsste teilweise rückgängig gemacht werden. Man denke an Bekleidung, Möbel, Fahrzeuge, Gesundheit, Bildung, Vereinsleben, Ausgehen, Sport, Reisen… Die Vielfalt, zu der es die Entwicklung der modernen Zivilisation gebracht hat, müsste teilweise zurückgenommen werden.
Agrarsektor ist ein typischer Sektor langsamen Fortschritts
An dieser Stelle wird gerne das Argument vorgetragen, dass der technische Fortschritt die Lösung bringen wird. Aber daran sind Zweifel angebracht. Der Agrarsektor ist ein typischer Sektor langsamen Fortschritts, und das liegt nicht an den dort tätigen Menschen. Wir müssen insgesamt davon ausgehen, dass es in den modernen Volkswirtschaften Sektoren mit unterschiedlichen Entwicklungs-Geschwindigkeiten gibt.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Agrar-Subventionen in einem neuen Licht: Kann es nicht volkswirtschaftlich, ordnungspolitisch und kulturell sinnvoll sein, im Sektor Landwirtschaft/Ernährung eine Basis-Subvention zu haben, die die drohende Preiswelle in Schach hält? Die Subvention verkleinert das relative Markt-Gewicht dieses Sektors und gibt damit anderen Branchen mehr Luft. Genau das beschreibt ja die gegenwärtige Situation: Wir haben seit langem einen relativ großen Topf an landwirtschaftlichen Basis-Subventionen.
Angesichts der erheblichen Subventionen auf sogenannten „Zukunftsfeldern“ (gemeint sind High-Tech-Bereiche mit schnellem Wandel) scheint mir das volkswirtschaftliche Entlastungsargument auch schlagend zu sein: Warum sollen Subventionen nur gut sein, wenn sie „an der Spitze“ des Produktions- und Zivilisationssystems erfolgen? Sind sie nicht auch notwendig und gut, wenn sie an der Basis vorgenommen werden und dadurch das Gesamtsystem in seiner Breite entlasten?
Wenn man das bejaht, wird man die flächendeckenden Agrarsubventionen nicht mehr als „veraltet“ und „verschwendet“ abtun, sondern sie verteidigen. Natürlich bedeutet das auch, dass man für bestimmte, besonders schwierige Aufgaben und Lagen der Land-Bewirtschaftung (Bergregionen, entlegene Regionen, schwierige Böden, Wasserknappheit, extremes Klima, bäuerliches Kleineigentum, Abwanderungsdruck…) zusätzliche Sonderfonds bildet.
Damit die Subventionen ihre Entlastungswirkung erzielen können, müssen sie den Bedingungen der jeweiligen Volkswirtschaft angepasst sein. In Europa sind die Bedingungen der Nahrungsmittel-Erzeugung und das relative Gewicht, das dieser Bereich in den einzelnen Volkswirtschaften hat, sehr unterschiedlich. Das Niveau der Basis-Förderung und die Ausstattung von Einzelprogrammen muss daher auch sehr unterschiedlich ausfallen. Das kann nur im nationalstaatlichen Rahmen geschehen. Nur in diesem Rahmen kann es demokratisch legitimiert und kontrolliert werden.
Weder kann man ein einheitliches Maß für das gesamte EU-Gebiet finden noch kann man die Dinge den einzelnen Regionen anhängen, die alleine oft gar nicht die notwendigen Mittel haben. Die nationale Ebene ist als mittlere Ebene dazwischen die richtige Ebene. Ich habe den Eindruck, dass die Kritik am gegenwärtigen System der Agrarförderung oft gar nicht so sehr das Flächenprinzip an sich meint, sondern vielmehr den zu großen EU-Gesamtrahmen, der das Flächenprinzip zu grob, zu gleichförmig, zu realitätsfern macht. Die Subventionskritik ist oft eine unaufgeklärte Kritik an einer sachfremden EU-Zuständigkeit: der Zuständigkeit in der Agrarpolitik.
Das Wort von der „Bauernlobby“
„Was soll dieser ganze Aufwand für das Land?“ ist ein verbreiteter Einwand. „Subvention“ und „Landwirtschaft“ ist fast ein Synonym. Jedenfalls in Großstädten, wo man dazu neigt, Subventionen als eine extra für das Land erfundene Sonderleistung anzusehen. Das Wort von der „Bauernlobby“ ist auf das Vorurteil zugeschnitten, dass bei den Subventionen für die Landwirtschaft besonders mächtige Interessengruppen und Besitzständler am Werk sind, die sich an öffentlichen Mitteln bereichern. Ja, da sollte man wirklich einmal eine Rechnung aufmachen.
Dann müsste man allerdings Dinge auf die Rechnung setzen, die der Großstädter gar nicht im Blick hat und als eine Art „Naturausstattung der Stadt“ ansieht: Zum Beispiel die Tatsache, dass ihm mit seiner Stadt eine ungleich dichtere, vielfältigere, aufwändigere Infrastruktur zur Verfügung steht, als sie auf dem Land vorhanden ist oder irgendwann vorhanden sein könnte. Da gibt es die Dichte der Verkehrswege und öffentlichen Verkehrsmittel, die Zahl der Bildungs-, Gesundheits- und Kultureinrichtungen auf gehobenem Niveau. Die ganze, großenteils unterirdische, Versorgungs-Infrastruktur für Wasser, Energie, Telekommunikation, die Abwasser und Müllentsorgung. Natürlich gibt es das heute auch auf dem Land, aber nicht in der vergleichbaren Dichte.
Wenn man diese Dinge berücksichtigt, dann ist die Existenz des Großstädters eine hochsubventionierte Existenz. Und interessanterweise wird diese Subvention ganz ähnlich legitimiert, wie man es auch bei den Agrarsubventionen machen kann: Die Infrastrukturausstattung der Städte entlastet von Kosten, die sonst das Leben und die Arbeitsleistung der Städter schwer beeinträchtigen würden. Die große Stadtmaschine ist eine Entlastung der Volkswirtschaft, und in dieser Hinsicht rechnen sich die kolossalen öffentlichen Investitionen und laufenden Betriebsgelder, die in die Großstädte fließen. Aber es ist tatsächlich eine Subvention. Eine, wohlgemerkt, sinnvolle Subvention, denn sie würde – wenn die gesamte urbane Infrastruktur über Marktpreise bezahlt werden müsste – sehr schwer auf der Volkswirtschaft lasten.
Es geht also nicht darum, nun eine Neid-Diskussion zu entfachen, in der Stadt und Land sich jeweils gegenseitig ihre Förderung durch die öffentliche Hand – es sind die vereinigten, steuerzahlenden Bürger des Territorialstaates – streitig machen. Beide Förderungen sind im Grundsatz sinnvoll. Aber hier ist heute auch eine nationale Diskussion fällig, ob die Relationen in der Zuwendung für Stadt und Land stimmen. Seit einiger Zeit gibt es bekanntlich einen Großstadt-Hype, der die großen Städte aus den Nähten platzen lässt, während es auf dem Land vielfach Schwierigkeiten gibt, die Arbeitsplätze zu besetzen, die medizinische Versorgung zu gewährleisten, die Mobilität zu sichern und die Bevölkerung zu halten. Die Schieflage hat ein Ausmaß erreicht, die für beide Seiten (und für Deutschland als Gesamtheit) zur Belastung wird.
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