Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte einmal, dass Politik für den Schweizer „stets mehr eine Kunst, für den Deutschen dagegen mehr einen Glauben“ darstelle. Er lieferte damit eine ganz gute Erklärung, warum das geplante Steuerabkommen von deutschen Ideologen so bekämpft und torpediert wird. Es müssen nämlich Schuldige für die Euro- und Bankenkrise gefunden werden - und ein kluger Kompromiss in Steuersachen mit der Schweiz wäre dabei nur hinderlich. Es ist viel einfacher die Schweiz und ihre Bankkunden zu stigmatisieren, als einmal die Frage zu stellen, warum denn so viele Menschen dort ihr Vermögen in Sicherheit bringen wollen.
Doch eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Ideologen Selbstzweifel kommen. Statt dessen wird das betrieben, was der österreichische Psychologe Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ so humorvoll beschrieb. Er erkannte, dass viele Menschen sich wiederholende unangenehme Ereignisse in ihrem Leben deshalb nicht bewältigen, weil sie zur Lösung immer in den gleichen Reflex verfallen. Dies führt meist zu der Lösungsstrategie „Mehr vom Selben“. Ein Chef, der durch Druck versucht demotivierte Mitarbeiter zu mehr Leistung zu bringen, wird eher den Druck weiter erhöhen, als einzusehen, dass seine Mitarbeiter genau wegen diesem Druck in die innere Emigration gehen.
Und genau dieser Logik folgen viele Lösungsvorschläge, die in Deutschland (aber auch in Frankreich) derzeit populär zu sein scheinen. Mehr vom Selben und mehr vom Falschen. Oder wie es Einstein einmal formulierte: “Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.” Statt darüber nachzudenken, ob Steuerbelastung und Staatsquote nicht eine kritische Grenze erreicht haben, wird daran gearbeitet, sie munter weiter zu erhöhen. Die Gewerkschaft Verdi kommt zusammen mit Wohlfahrstverbänden und Attac zum Schluss, die Zeit sei Reif für eine „Umfairteilung“, der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger will „absurden Reichtum abpumpen“ und Kriminelle und Steuerhinterzieher „sofort ausbürgern“ (so wie das in der DDR üblich war). Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion fordert, dass am deutschen Steuerwesen gleich die ganze Welt genesen soll: „Wir wollen den Sumpf der Steuerkriminalität in Deutschland, europaweit, weltweit austrocknen“. Jenseits des Bodensees beginnt für solche Herrschaften das Reich des Bösen. Die totalitärste Kontrollvision ist aber dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble eingefallen. Schäuble will am liebsten das Bargeld abschaffen: Dies sei ein „intransparentes Zahlungsmittel“, das vor allem „Geldwäschern“ zugute komme, die die Herkunft des Geldes verschleiern wollten. Schäuble sagt so etwas nicht unbedacht oder aus einer Laune heraus - sondern um anzutesten, wie groß der Aufschrei der Empörung ist. Die Tatsache, dass es keinen Aufschrei gab, lässt nichts Gutes erwarten.
Wir dürfen uns die Essenz der obigen Vorschläge dann wohl so vorstellen: Wer mit mehr als fünf Euro Bargeld in der Tasche erwischt wird, dem droht die sofortige Ausweisung aus deutschen Landen. Da diese Idee am besten weltweit umgesetzt werden soll, ergibt sich lediglich ein praktisches Problem: Wohin soll man die betreffenden dann noch ausweisen? Zum Mars? Deutsche Behörden, die in der Schweiz heute schon Bank- und Steuerdaten klauen lassen, könnten das bargeldlose Volk in einem Maße kontrollieren, gegenüber dem die Stasi ein Verein von Blinden und Tauben gewesen wäre. Die Europäische Union, deren Vertreter ja mittlerweile rechtsgültige Verträge wie die No-Bail-Out-Klausel gleich im Dutzend gebrochen haben, werden sich keine 30 Sekunden um den Datenschutz scheren, wenn das ihre klammen Kassen füllt. Der Zweck heiligt die Mittel, siehe Datenklau.
Die Deutschen dürfen sich dann auf nette Fragebögen vom Finanzbeamten ihres Vertrauens freuen: „Sie haben Ihrer Mutter 300 Euro überlassen. Woher stammt dieses Geld? Welchem Zweck dient diese Zahlung? Wie wurde das Geld verwendet? Hat ihre Mutter diese Summe versteuert?“ Oder auch: „Wovon haben sie ein Abendessen für über 250 Euro in einem Restaurant bezahlt? Wer war noch dabei (Die Rechnung weist vier Hauptgänge auf, bitte Namen und Adresse angeben…). Haben Sie jemanden eingeladen? Wurde der geldwerte Vorteil durch den Eingeladenen versteuert?“ Vielleicht auch etwas in dieser Art, schließlich ist die Schwarzarbeit am Bau die Schweiz des kleinen Mannes: „Sie haben in einem Baumarkt ein WC erworben. Wo wurde dieses WC eingebaut? Wird es selbst oder durch einen Dritten benutzt? Bitte reichen sie entsprechende Nachweise ein und weisen sie nach wer die Toilette nutzt.“
Man braucht keine große Phantasie, um sich die Reaktion des Bürgers auf solche Repressionen vorzustellen: Wer kann, haut ab, beispielsweise über den Bodensee. Wer nicht kann, arbeitet nur noch das Nötigste. Schwarzarbeit wird durch diskreten Tauschhandel ergänzt. In Handwerksbetrieben wächst der Materialschwund. Das ist alles schon mal dagewesen: Vor 1989, weiland in der DDR. Ob der deutschen Politik oder den Eurokraten dieses Licht irgendwann aufgeht? Wohl eher nicht. Ganz im Gegenteil. Die Glühbirne wurde ja gerade verboten. Was findige Händler eine Gesetzeslücke aufspüren ließ: Sie verkaufen die Lampen jetzt als „stoßfeste Spezialglühlampen für Handwerk und Bergbau“. Deshalb sollen die Birnen jetzt nicht mehr im gleichen Regal wie Haushaltslampen liegen dürfen. Und das muss natürlich kontrolliert werden. Das Land Berlin, ansonsten pleite, kündigte bereits an, sieben neue Stellen für Kontrolleure zu schaffen.
Erschienen in der Baseler Zeitung vom 24.8.2012